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Zeichen und Wunder

Jens Weidmann setzt auf Vernunft und Logik. Zu sagen, dass er damit in Notenbankerkreisen heute eine Minderheit repräsentiert, wäre sicher etwas bösartig, aber es spricht leider manches dafür. In Frankfurt trafen sich am Freitag, wie jedes Jahr, Banker, Analysten, Fondsverwalter und der ein oder andere Politiker zum European Banking Congress, und bei einem solchen Anlass kommen EZB-Chefs ebenso zu Wort wie Bundesbankpräsidenten. Die Unterschiede lassen sich auf engem Raum bewundern.

BÖRSE am Sonntag

Jens Weidmann setzt auf Vernunft und Logik. Zu sagen, dass er damit in Notenbankerkreisen heute eine Minderheit repräsentiert, wäre sicher etwas bösartig, aber es spricht leider manches dafür. In Frankfurt trafen sich am Freitag, wie jedes Jahr, Banker, Analysten, Fondsverwalter und der ein oder andere Politiker zum European Banking Congress, und bei einem solchen Anlass kommen EZB-Chefs ebenso zu Wort wie Bundesbankpräsidenten. Die Unterschiede lassen sich auf engem Raum bewundern.

Weidmann bestätigte das Offensichtliche: Bei einem längerfristigen Potentialwachstum von einem Prozent in der Eurozone kann es sich kein Land leisten, auf denkbare und notwendige Reformen zu verzichten – Europa ließe sich sonst abhängen. Und: „Je länger die extrem lockere Geldpolitik andauert, um so weniger wirkt sie und um so mehr Risiken und Nebenwirkungen kommen ins Spiel.“ Das sind deutliche Worte angesichts der gerade wieder erklärten Bereitschaft der EZB, weitere Lockerungen anzustreben. Dass die Medizin bisher nicht ernsthaft gewirkt hat, will man offenbar nicht so recht wahrhaben – mehr vom Gleichen lautet also unverändert das reichlich phantasielose Rezept der Euro-Doktoren. Das Unternehmen nicht investieren, schon gar nicht auf Fremdkapitalbasis, wenn sie unsichere Absatzmärkte vorfinden, hat sich offenbar nicht herumgesprochen.

In wackeligen Staaten wie Griechenland lässt sich mit günstigen Krediten auch kein Konsum erzwingen, denn die Unsicherheit der Bevölkerung über die Zukunft des eigenen Einkommens ist stärker als jeder Besitzdrang. Die genannten Risiken und Nebenwirkungen allerdings sind klar zu sehen: Eine Neigung zu Reformen, die erst langfristig wirken, besitzt die Politik ohnehin meist nicht. Wen  man sich zu Nullzinsen auch so durchlavieren kann, umso besser. Und der Bankensektor, so wurde es deutlich beim Jahreskongress, steckt in einer bösen Falle. Eine überschäumende Regulierung beklagen gestandene Bankvorstände, die so manchen Geschäftszweig früher oder später schlicht unrentabel machen wird: Man kann den Kunden kein Angebot machen, dass nach Regulierungskosten schlicht völlig überteuert auf den Markt kommen müsste.

Die Nullzins- beziehungsweise Strafzinspolitik verwirbelt einen ganzen Wirtschaftssektor, zwingt Fondsmanager in seltsame Anlagen, macht Staatsanleihen zu Zockerpapieren oder lässt sie gänzlich unattraktiv werden, treibt Aktienmärkte an, die hohe Volatilitäten auslösen und macht Devisenkurs-Charts zu Springprozessionen. Eine Nebenwirkung, die manch einer in der abgelaufenen Woche mit Erleichterung zur Kenntnis nahm, mag eine Ausnahme darstellen: Die angekündigte Fusion der beiden genossenschaftlichen Zentralinstitute DZ und WGZ steht nach fast eineinhalb Jahrzehnten fehlgeschlagener Versuche nun wohl fest. Zeichen und Wunder! An allem möglichen war es bislang gescheitert – nun wirkte offenbar die Aussicht auf Synergien von 100 Millionen Euro. Die soll man sich als Bank sonst erst mal verdienen!

Draghi also, das stellen wir staunend fest, reduziert quasi im Vorbeigehen per Erlass die Komplexität des Volks- und Raiffeisenbankensektors, das muss man sich mal vorstellen. Aber ob die Geldschwemme der EZB deshalb schon ein Erfolg genannt werden kann, müssen wohl nachfolgende Generationen von Sparern und Rentnern beurteilen.

Reinhard Schlieker, ZDF-Wirtschaftskorrespondent