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AKTIEN & MÄRKTE  UNTERNEHMEN  FONDS  ZERTIFIKATE  Rohstoffe   Lebensart Kolumne Ölförderländer, anders als in vergangenen Krisenzeiten, auf die sinkenden Preise nicht mit einer Drosselung ihrer Fördermengen reagierten. Im Gegenteil: Neben den USA erhöhten auch Russland sowie die 13 Mitgliedsstaaten der Organisation erdölexportierender Länder, kurz OPEC, ihre Produktion immer weiter. Zum einen kann selbst bei den stark gesunkenen Preisen mit dem Verkauf von Erdöl noch Geld verdient werden. In Saudi- Arabien zum Beispiel liegen die marginalen Produktionskosten – also die Förderkosten in einem erschlossenen und infrastrukturell ausgebauten Gebiet – bei 3 bis Dr. Ulrich Stephan Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank 4 US-Dollar pro Barrel. In den USA sind sie mit durchschnittlich 17 US-Dollar zwar deutlich höher, liegen aber immer noch unter den aktuellen Verkaufspreisen. Ähnlich günstig wird auf dem russischen Festland gefördert. Zum anderen müssen Länder wie Russland und Saudi-Arabien schlichtweg weiter produzieren, da ein wesentlicher Teil ihrer staatlichen Sozialleistungen über die Einnahmen aus dem Ölgeschäft finanziert wird. Schon heute reißen die gesunkenen Ölpreise erhebliche Löcher in ihre Staatshaushalte. Ein weiterer Wegfall dieser Erträge hätte gravierende gesellschaftliche und innenpolitische Folgen. Ein weiteres Problem wird deutlich, wenn man die Vollkosten eines Barrels Erdöl betrachtet – also Produktionskosten inklusive Exploration und Erschließung: Mit mindestens 55 US-Dollar liegen diese deutlich über den derzeitigen Verkaufspreisen. Als Folge haben nach Angaben der Beratungsgesellschaft Wood Mackenzie Ölfirmen weltweit im Jahr 2015 Investitionen von 380 Milliarden US-Dollar aufgeschoben. Das ist für die Ölindustrie und deren Zulieferer, aber insbesondere für die einst florierenden US-Fracking-Unternehmen ein Hemmschuh: Denn anders als bei klassischen Förderverfahren bedarf es beim Fracking ständiger Investitionen, da die einzelnen Bohrlöcher sich vergleichsweise schnell zusetzen und daher regelmäßig neu „gefrackt“ werden müssen. Das macht die Technik zunehmend unrentabel. Die Fördermengen werden in diesem Jahr vermutlich entsprechend signifikant sinken. Derzeit rechne ich für das laufende Jahr mit einer langsamen Erholung auf dem Ölmarkt. Der Boden bei den Ölpreisen dürfte spätestens zur Jahresmitte erreicht sein und der Verkaufspreis sich im Jahresmittel bei rund 50 US-Dollar pro Barrel einpendeln. Ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erwarte ich erst 2017. Selbst diese moderaten Erholungstendenzen sind allerdings mit einigen Unsicherheiten behaftet. So bleibt es abzuwarten, wie die OPEC sich in den kommenden Monaten verhalten wird und welche Rolle insbesondere die Ölgroßmacht Saudi-Arabien und der Iran, nach dem Fall der gegen ihn gerichteten Sanktionen, dabei spielen werden. Aus Anlegersicht ist in der momentanen Situation ein Engagement im Ölsektor weiterhin nur begrenzt zu empfehlen. Einzig besonders innovative und damit anpassungsfähige Energieunternehmen mit starken Bilanzen könnten derzeit aus meiner Sicht möglicherweise für ein Investment infrage kommen. Voraussetzung dafür sind jedoch eine vorherige intensive und genaue Marktanalyse sowie eine professionelle und sorgfältige Auswahl möglicher Unternehmen. Den Notenbanken lässt ein nur moderat steigender Ölpreis weiterhin Spielraum für eine lockere Geldpolitik, da der Inflationsdruck gering bleiben dürfte. Insgesamt könnte das Zinsniveau insbesondere in der Eurozone dadurch über das Jahr hinaus niedrig bleiben – vorausgesetzt der Ölpreis zieht nicht überraschend stark an. Die Notenbanken werden den Ölmarkt daher sehr genau im Auge behalten und entsprechend reagieren – etwas, was ich auch jedem Privatanleger nur ans Herz legen kann. 11 BÖRSE am Sonntag · 09/1 6


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