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AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART Prof. Sinn: Sehr stark. Die deutsche Wirtschaft hat sich nach ihrer Krise vor eineinhalb Jahrzehnten ganz ordentlich berappelt und braucht das Stimulanz der niedrigen Zinsen nicht. Sie braucht auch nicht den niedrigen Wechselkurs des Euro. Das alles führt zu künstlichen Wettbewerbsvorteilen, die auch zu einer gewissen Selbstsicherheit und Vernachlässigung weiterer Innovationen führen können. BÖRSE am Sonntag: Worin bestehen – neben den von ihnen angesprochenen niedrigen Zinsen – die größten Risiken für die deutsche Volkswirtschaft der nächsten Jahre? Prof. Sinn: Die größten Risiken könnten in der Rückkehr zu mehr Protektionismus liegen. Sie kommen einerseits aus den USA, wo der amerikanische Präsident schon erklärt hat, dass ihm eben die deutschen Exportüberschüsse ein Dorn im Auge sind. Sie gehen aber auch von der EU aus, die jetzt gegenüber Großbritannien ein protektionistisches Regime aufbauen möchte. Unter dem Motto „Rosinenpicken dürfte nicht erlaubt werden“. geht im Hinblick auf den Freihandel von der EU eine ähnliche Gefahr aus wie von Trump. Unser wichtigster Exportmarkt ist wegen Trump in Gefahr, und unser drittwichtigster wegen der angedrohten EUReaktion auf den Brexit. BÖRSE am Sonntag: Erstaunlicherweise wirken die Finanzmärkte nicht etwa geschockt von der Trump-Wahl wie anfangs vermutet. Im Gegenteil, sie zeigten sich zunächst beflügelt. Ist Präsident Trump langfristig eher ein Segen oder Fluch für die Weltwirtschaft? Prof. Sinn: Die Abkehr vom Freihandel ist sehr nachteilig für die Weltwirtschaft. Sie könnte natürlich der Klientel, die ihn gewählt hat, Vorteile verschaffen. Denn das ist das Wesen des Freihandels: Es entsteht ein Vorteil für die beteiligten Länder insgesamt, aber es gibt immer starke Verlierergruppen, die, wenn man sie nicht durch einen Sozialstaat entschädigt, dazu neigen, das Ganze zu blockieren. Das sehen wir jetzt in der Wahl von Trump. BÖRSE am Sonntag: In ihrem Buch „Der schwarze Juni“ schreiben Sie, dass der Brexit und andere geopolitische Entwicklungen zu einer Art Neo-Nationalismus und Neo- Protektionismus führen. Woher kommt der neue Isolationismus der USA und anderer Länder? Prof. Sinn: Die Globalisierung hat sich immer in Wellen abgespielt. Wir hatten auch schon einmal viel Globalisierung im 19. Jahrhundert, dann kamen die Kriege und alles wurde wieder zurückgedreht. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine zweite Welle, die vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an Kraft gewann. Eine Globalisierung kann schließlich nicht immer weitergehen, sie ist ein Prozess zu einem Gleichgewicht. Und wenn dieses Gleichgewicht erreicht ist, wenn also die Weltmärkte globalisiert sind, ist spätestens Schluss mit der Globalisierung. Momentan scheint sich die Entwicklung freilich zurückzudrehen – und das ist sehr bedauerlich. Foto: @ route55 - Fotolia.com // Anlagetrends · 2017 | 2 36


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