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Cricket, Oldtimer-Rennen und Fritten

Es ist nicht schwer zu raten, welche Leidenschaft der Mann hat. Auto- und Flugzeugmodelle bevölkern den gläsernen Schreibtisch und die metallenen Designer-Regale, Oldtimer aus Blech stehen zwischen Broschürenstapeln auf dem Konferenztisch, historische Rennplakate hängen an der Wand.

BÖRSE am Sonntag

Es ist nicht schwer zu raten, welche Leidenschaft der Mann hat. Auto- und Flugzeugmodelle bevölkern den gläsernen Schreibtisch und die metallenen Designer-Regale, Oldtimer aus Blech stehen zwischen Broschürenstapeln auf dem Konferenztisch, historische Rennplakate hängen an der Wand.

Charles March veranstaltet Oldtimer-Rennen auf einer ehemaligen Formel-1-Strecke und betreibt einen Flugplatz mit historischen Maschinen. Das Besondere ist: Er tut das auf seinen eigenen Ländereien. Der korrekte Titel des 50-Jährigen lautet Earl of March and Kinrara. Er ist der Sohn des Duke of Richmond, Lennox and Gordon, der als Einziger im britischen Königreich drei Herzogtitel trägt. „Aber das ist alles nicht so wichtig", sagt er mit einem Lachen.

Wichtig ist dem Mann mit der jugendlichen Haartolle und unternehmungslustig blitzenden Augen, dass er es in kaum einem Jahrzehnt geschafft hat, den Familiensitz Goodwood in Südengland zum Mekka des Motor- und Reitsports zu entwickeln. Er ließ die Familientradition wieder aufleben und machte Goodwood zur Marke für exklusive, typisch englische Sportevents. Das Schloss ist ein Musterbeispiel dafür, wie britische Adelsfamilien rund um ihre Schlösser und Ländereien florierende Unternehmen betreiben. Sie befriedigen die Neugier, einen Blick in die glanzvolle Vergangenheit der höfischen Gesellschaft zu werfen. Und die Familien erhalten dringend benötigtes Geld, um millionenschwere Reparaturen zu finanzieren.

„Die Familien haben doch jahrzehntelang von der Substanz gelebt", sagt James Hervey-Bathurst, Herr auf Eastnor Castle und Präsident der Historic Houses Association. "Immer wenn sie Geld für Renovierungen brauchten, haben sie ein paar holländische Meister verkauft." Als alle Schätze verkauft waren, kam oft das Ende. 1 200 Herrenhäuser, so Hervey-Bathurst, seien alleine von 1945 bis 1975 verloren gegangen.

Dieses Schicksal ist Goodwood erspart geblieben. Der Earl of March bietet auf dem mehr als 3000 Hektar großen Gelände rund um das gedrungene Schloss Platz für stilvolle Veranstaltungen. Auf der Pferderennbahn mit Meeresblick finden Renntage statt, die in der Society gleich nach denen von Ascot kommen. Das "Festival of Speed" und das "Goodwood Revival" zelebrieren jedes Jahr die glorreiche Vergangenheit des Motorsports. Hunderttausend Besucher und mehr flanieren dann über die samtig grünen Rasenflächen. Um diese Veranstaltungen herum hat der Earl of March ein Familienunternehmen mit 40 Millionen Pfund Umsatz aufgebaut, das nicht nur die Unterhaltung des Hauses und der Anlagen finanziert, sondern auch 250 Menschen beschäftigt und schöne Gewinne abwirft.

James Hervey-Bathurst packte erst spät der Ehrgeiz, seine Ländereien zu vermarkten. Er erlebte zwar, dass seine Familie von den 97 Zimmern des trutzigen Eastnor Castle im westenglischen Herefordshire nur vier Räume nutzen konnte, weil sie kein Geld hatte, alle zu erhalten und zu heizen. Doch nach dem Studium in Cambridge drängte es ihn erst einmal hinaus. Er machte Karriere als Investmentbanker bei Kleinwort Benson und als Partner einer Headhunting-Firma. Erst danach entschloss er sich, auf den Familienstammsitz zurückzukehren. Er steckte einen Gutteil seiner Rücklagen in die Renovierung und machte einen Deal mit den Behörden: Sie beteiligten sich an der mehr als eine Million Pfund teuren Restaurierung des Daches. Und er verpflichtete sich, das Schloss an mindestens 45 Tagen im Jahr für Besucher zu öffnen. So fing er 1990 an.

Heute sind 70 Zimmer renoviert und nutzbar. Voller Elan führt der drahtige 55-Jährige durch die prachtvollen Säle, Salons und Schlafräume, reiht mit näselndem Upper-Class-Englisch Anekdote an Anekdote über Ahnen, Feldzüge und königliche Besucher. Doch es sind nicht die Touristen und Veranstaltungen von der Kinderwoche bis zum Open-Air-Rockkonzert, die das Geld bringen. Vor allem Hochzeitsgesellschaften und Unternehmensseminare sorgen für den Jahresumsatz von gut einer Million Pfund.

Während Hochzeitsgäste wie Davina McCall, Moderatorin der englischen Big-Brother-Show, in den prunkvollen Sälen nächtigen, wohnt Hervey-Bathurst vergleichsweise bescheiden in einem Seitenflügel der Burg. Aber das stört ihn nicht. "Wenn wir unsere Häuser für Gäste öffnen", ist er sich sicher, "helfen wir nicht nur, sie zu erhalten, wir erhöhen auch die soziale Akzeptanz der Anwesen."
Um die muss sich Alexander Thynn, der siebte Marquess of Bath, keine Sorgen machen. Im Gegenteil: An Ferientagen funkeln rund um den Palast Longleat in der Nähe von Bath viele hundert Autodächer in der Sonne. Die Familie Thynn ist Pionier des Schlösser-Tourismus: Schon 1949 öffnete sie als Erste – wegen der hohen Steuern – ihr Anwesen für Besucher. 1966 machte sie den ersten Safari-Park außerhalb Afrikas auf. 1994 folgte ein Center-Parcs-Feriendorf mit 700 Häusern.

Wer die prächtigen Gemächer des 1580 erbauten Schlosses besichtigt, findet zwischen antiker Kunst auch reichlich Familienfotos und Ölgemälde, auf denen der Marquess mit wallendem Haar, weißem Spitzbart und regenbogenbunten Westen und Strickjacken posiert. Auch der Privatflügel steht Besuchern offen, damit sie die ausgedehnten farbenfrohen Wandgemälde bestaunen können, auf denen der 73-jährige Marquess laut Hausbroschüre unter anderem seinen Ausbruch aus sexuellen Hemmungen verarbeitet hat.

Durch den Innenhof und die ehemaligen Gärten schieben sich derweil Tausende Ausflügler in T-Shirt und Badelatschen. Sie stehen Schlange vor "König Arthur?s Spiegelkabinett" und "Old Joe?s Mine". Eine Attraktion reiht sich an die nächste - und dazwischen gibt es Hamburger und Fritten. „Schrecklich", schüttelt sich da der Earl of March. Auch bei ihm kommen zu den großen Veranstaltungen Besucher mit 20-Pfund-Tickets aufs Gelände. Doch sie werden angehalten, sich zum Oldtimer-Rennen stilgerecht mit Jackett und Hut einzufinden.

Wie man eine Marke inszeniert, hat der Graf gelernt. Mit 17 zog er von Goodwood weg und suchte in London sein Glück. Er arbeitete als Fotograf und assistierte Stanley Kubrick beim Film „Barry Lyndon". Mit 21 gründete er eine Fotoagentur und setzte Werbekampagnen für Benson & Hedges und Glenfiddich Whisky ins rechte Licht. „Das alles hat mich zwar nicht direkt auf das Familienunternehmen vorbereitet, aber irgendwie hilft es doch", schmunzelt March. Die Produkte des Hauses Goodwood spiegeln sein Stilempfinden wider. Ein Hochglanzkatalog bietet luxuriöse Accessoires rund um den Rennsport feil, ein regelmäßiges Magazin für Goodwood-Fans ist gespickt mit Anzeigen von Luxusfirmen.

Doch die Krönung steht noch bevor. Edle Broschüren im weinroten Pappschuber erläutern das neueste Projekt des Grafen: den „Goodwood Club". Er soll alle Attraktionen – Autorennen und Rundflüge mit historischen Maschinen, Pferdesport, Golf, Cricket und Jagd - für Top- Gäste großer Unternehmen zu einem Paket nobler englischer Leibesertüchtigung zusammenbinden. Preis für die "Full Sporting Membership" im Jahr: 175 000 Pfund.