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Denkmal und Name: NS-Dokumentationszentrum in München

Nüchtern, ganz in Weiß hebt sich der strenge Kubus ab von seiner historisierenden Umgebung am Münchner Königsplatz. Das ist gewollt. Das NS-Dokumentationszentrum, das am 30. April 2015 mit einem Festakt eröffnet wurde, 70 Jahre nachdem die Amerikaner die „Hauptstadt der Bewegung“ übernahmen, ist als Kontrast konzipiert.

BÖRSE am Sonntag

Nüchtern, ganz in Weiß hebt sich der strenge Kubus ab von seiner historisierenden Umgebung am Münchner Königsplatz. Das ist gewollt. Das NS-Dokumentationszentrum, das am 30. April 2015 mit einem Festakt eröffnet wurde, 70 Jahre nachdem die Amerikaner die „Hauptstadt der Bewegung“ übernahmen, ist als Kontrast konzipiert.

Der klar strukturierte Bau steht auf einem symbolträchtigen Ort, genau hier befand sich von 1931 bis 1945 das „Braune Haus“, die Parteizentrale der NSDAP. Lange hat sich München schwer getan mit diesem Ort, an dem das Grauen der nationalsozialistischen Diktatur ein wichtiges, ein düsteres Zentrum hatte. Erste Anläufe nach dem Zweiten Weltkrieg zur Errichtung eines Erinnerungsortes verliefen im Sande, wieder und wieder. Beharrlichen Stimmen aus der Münchener Bürgerschaft ist es zu verdanken, dass der Stadtrat schließlich, im Jahre 2001, endlich die Kraft für  den Beschluss fand, einen Lern- und Erinnerungsort zu schaffen. Doch sollte es weitere elf Jahre dauern, bis endlich der Grundstein für das NS-Dokumentationszentrum gelegt wurde. Dass München einst die „Hauptstadt der Bewegung“, es schwang doch immer noch nach – unterschwellig, unheimlich.

Die Resonanz auf das Dokumentationszentrum, das so nüchtern wirkt, geradezu aufreizend unspektatulär – sie ist enorm. Die Frage „Wie kam es dazu?“ hat an Aktualität nichts verloren und kennt keine nationalen Grenzen. Angesichts der immer weniger werdenden Menschen, die von der Zeit des Nationalsozialismus aus eigener Erfahrung berichten können, ist das Dokumentationszentrum wichtiger denn je. Nur wenn es gelingt, gerade den Jugendlichen ihre eigene Verantwortung für das „Nie wieder!“ zu vermitteln, haben sich die knapp 30 Millionen Euro für den Bau des Dokumentationszentrums gelohnt.

Die Ausstellung beginnt auf der 4. Ebene, die sich im ersten Abschnitt der Entstehung und dem Aufstieg der NSDAP nach dem Ersten Weltkrieg widmet. Der weitere Weg durch die Geschichte des Nazi-Terrors führt den Besucher sinnfällig Ebene für Ebene nach unten – der Aufstieg der NSDAP wird zum Abstieg umgestaltet. Im dritten Stock wird gezeigt, wie sich die Hitler-Partei München gefügig gemacht hat, wie schnell, brutal und systematisch mit der Ausgrenzung und Verfolgung des politischen Gegners begonnen wurde.

Eine Ebene tiefer werden die Verbrechen von Münchnern im Zweiten Weltkrieg dokumentiert, sowie die Auswirkungen des Vernichtungskriegs, sowohl in den Kriegsgebieten als auch in München. Dazu gehört unter anderem die Rolle Münchens als ein Zentrum der Rüstungsindustrie, wo Zwangsarbeit vor aller Augen stattfand. Der Maschinerie des Terrors werden Beispiele des Widerstands und der Auflehnung aus den verschiedenen politischen, religiösen und gesellschaftlichen Gruppen gegenübergestellt.

Schließlich führt die Dokumentation, immer weiter abwärts, über den Zusammenbruch des Regimes im Jahr 1945 hinaus. Die Nachwirkungen und auch das Wiederaufleben des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart werden nicht ausgespart. Das NS-Dokumentationszentrum bietet ein Lernforum zur Vertiefung des in der Ausstellung Gesehenen, eine Präsenzbibliothek sowie regelmäßige Seminare an.
Thomas Mann, der im benachbarten Palais der Familie Pringsheim seine Frau kennenlernte, gebührt die Ehre, die Geschehnisse zu kommentieren – mit Zitaten an den Wänden, die seine Abneigung gegen das Regime deutlich zum Ausdruck bringen. „ Bombardierung Münchens mit 200 Flugzeugen und größten Kalibern. Die Explosion bis in die Schweiz hörbar, die Erde viele Meilen weit erschüttert. Der alberne Platz hat es geschichtlich verdient.“

Die Ausstellung hat den Anspruch, den Besucher auf einer rein rationalen Ebene mit dem Werden der Täter, den Opfern, den gesellschaftlichen Bedingungen anzusprechen, auf Originalgegenstände wurde fast immer verzichtet. Insgesamt ist alles sehr nüchtern gehalten – es ist eine Dokumentation, kein Museum, das Emotionen wecken will. Das ist auch nicht nötig, die Texte und Bilder sprechen für sich. Auf großen Schautafeln werden die Themen jeweils in Text und Bild vorgestellt und auf  Leuchttischen detailreich vertieft. Original-Filmaufnahmen, die oft mit den Originalschauplätzen korrespondieren, die beim Blick aus dem Fenster real zu sehen sind, vertiefen die Eindrücke.

Eine besondere Qualität bekommt das Dokumentationszentrum durch die Einzeldarstellungen von Personen – sowohl von Tätern als auch von Opfern. Dadurch tritt der Nationalsozialismus aus der Anonymität der Masse, er bekommt Gesichter und Namen. Genauso wichtig ist es, dass die Ausstellung Nähe zu den Opfern aufbaut, indem sie aus deren Briefen zitiert oder auch Fotos aus glücklicheren Tagen zeigt. Der so nüchterne Bau steht im Gegensatz zu den Geschichten, die der Besucher erfährt. Nicht die kühle und abstrakte Architektur ist es, die aufwühlt. Die Fragen entstehen beim Gang durch die Ausstellung – brennend, quälend. Die Stimmen der Opfer, sie hallen nach. Die Nationalsozialisten haben sie nicht zum Schweigen gebracht. 70 lange Jahre danach – endlich gibt es dieses Dokumentationszentrum in München, der einstigen Hauptstadt der Bewegung.

Eva-Maria Dempf

Zur Eröffnung ist der Eintritt bis 31. Juli 2015 frei; Apps für Android und iOS (in Kürze) ist verfügbar; weitere Informationen finden Sie hier.