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Die Verlierer des Ölcrashs

Der Ölpreiscrash löst in einigen Staaten bereits schwere Verwerfungen aus. Besonders schlimm trifft es Länder, die sich einseitig auf die sprudelnden Öleinnahmen verlassen haben.

BÖRSE am Sonntag

Der Ölpreiscrash löst in einigen Staaten bereits schwere Verwerfungen aus. Besonders schlimm trifft es Länder, die sich einseitig auf die sprudelnden Öleinnahmen verlassen haben.

Der russische Präsident Wladimir Putin nennt den Preisrückgang beim Rohöl „eine Katastrophe“. Er wittert eine Verschwörung des Westens mit dem Ziel, sein Land in die Enge zu treiben. Die russische Wirtschaft ist bereits in die Krise geschlittert bis hin zu massiver Kapitalflucht und Währungsverwerfungen. Seit Beginn des Jahres hat sich der Wert des Rubels halbiert. Ein Euro kostete heute zeitweise 100 Rubel, zu Jahresbeginn waren es rund 45 Rubel. Im Vergleich zum US-Dollar ist die Entwicklung noch drastischer: ein Dollar kostete 80 Rubel, vor einem Jahr waren es 33 Rubel. Die Regierung räumt selbst ein, dass der niedrige Ölpreis und die Bevölkerung hat mit Hamsterkäufen begonnen, es breitet sich Panikstimmung aus.

Die westlichen Sanktionen schaden Russland obendrein und verschlimmern den Ölcrash. In der Nacht von Montag auf Dienstag hat die Zentralbank den Leitzins auf einen Schlag von 10,5 auf 17 Prozent angehoben – so stark wie zuletzt in der Rubelkrise 1998. Mit der Anhebung der Zinsen wolle man vor allem Spekulanten abschrecken, sagt die russische Zentralbank-Chefin Elvira Nabiullina. Sie meint, dass sich der Rubel bald stabilisieren werde. Das sehen die meisten Analysten anders. Die russische Notenbank geht davon aus, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr deutlich schrumpfen wird. Sollte sich der Erdölpreis bei 60 Dollar einpendeln, werde die Wirtschaftsleistung Russlands wahrscheinlich um rund 4,5 Prozent zurückgehen, erklärte die Zentralbank am Montag.

Auch Nigeria kommt immer mehr in Bedrängnis. Drei Viertel aller Staatseinnahmen in Nigeria stammen aus den Ölexporten. Die gesamte soziale Infrastruktur droht in Schieflache zu geraten und das ohnedies spannungsgeladene Land zu zerreißen. Das gilt auch für Iran. Nach den Berechnungen des „Economist“ bräuchte der Iran einen Ölpreis von rund 135 Dollar je Barrel, um auf einen ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Auch der Iran hat unter dem früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad viel Geld für soziale Wohltaten in die Hand genommen. 2013 gab der Iran rund 100 Milliarden Dollar für Subventionen für Konsumgüter aus – das entspricht etwa einem Viertel der Wirtschaftsleistung.

Venezuela, dessen Staatseinnahmen sich zu 60 Prozent aus dem Ölverkauf speisen, taumelt bereits einer Staatskrise entgegen. Das Land steht vor der völligen Zahlungsunfähigkeit und bräuchte einen Ölpreis von 120 Dollar, um seinen Haushalt auszugleichen. „Wir verteidigen unser Öl, unsere Industrie, unser Leben“, sagt Präsident Nicolas Maduro mit markigen Worten. Venezuela trifft der Ölcrash nach Jahren der sozialistischen Misswirtschaft unter Maduro und seinem Vorgänger Hugo Chavez inmitten einer Krise. Die Wirtschaft erlebt laut Internationalem Währungsfonds (IWF) den stärksten Rückgang seit 2009.  Die Sozialisten haben obendrein wichtige Branchen wie den Energiesektor – etwa den Ölmulti Petroleos de Venezuela SA – verstaatlicht und dringend notwendige Investitionen unterlassen. Bereits jetzt hat Venezuela mit der größten Inflation weltweit zu kämpfen.

In den Geschäften mangelt es an allem- vom Toilettenpapier über die Seife bis zu Autobatterien, es gärt und soziale Unruhen erfassen das Land. Auch die Währung ist im freien Fall. Während der offizielle Wechselkurs bei 6,3 Bolivar je Dollar liegt, werden am Schwarzmarkt 180 Bolivar je Dollar gezahlt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Venezuela im nächsten Jahr eine Staatspleite erlebt, sehen Fachleute bei 93 Prozent, abzulesen am Kreditausfall-Swap (CDS). Es gibt sogar ein konkretes Datum für den Crash: den 16. März 2015. An diesem Tag muss das Land eine Anleihe über 1,07 Milliarden Euro zurückzahlen. Wenige Tage später wird noch einmal eine milliardenschwere Anleihe fällig. Die Devisenreserven aber schrumpfen rapide, sie reichen nicht mehr, um die Verbindlichkeiten in den kommenden Jahren abzudecken. Auch die Anleiherenditen sind mit 24 Prozent deutlich in die Höhe geschossen.

Zu den Verlierern der Ölbaisse zählt auch die aufstrebende Fracking-Branche, insbesondere in den USA. Das Billigöl bewegt ganze Konzerne zur Umkehr. So hat ConocoPhillips, der drittgrösste US-Ölkonzern, verkündet, seine Investitionen in die Erschließung neuer Vorkommen massiv zu drosseln. Auch viele regionale Ölproduzenten wollen momentan kein Geld mehr in neue Bohrtürme stecken. Experten gehen davon aus, dass bereits ein Ölpreis unter 80 Dollar viele neue Produktionen in den USA unprofitabel machen würde. Damit platzen auch allerlei Spekulationen und Investments rund um das Fracking-Geschäft.  Die Ratingagentur Standard & Poor's hat die Kreditwürdigkeit von 95 Ölkonzernen unter die Lupe genommen, die Fracking-Anleihen ausgeben. Das Resultat ist ernüchternd: 75 erhielten Junk-Status.

Allein in diesem Jahr werden mehr als 150 Milliarden Dollar in die Erschließung und Produktion neuer Fracking-Felder fließen, so die Investmentbank Barclays. Um das zu finanzieren, geben viele der Firmen nicht nur Aktien, sondern auch Anleihen aus. Deren Risikoaufschläge sind in den vergangene Wochen gewaltig gestiegen. Analysten warnen bereits vor einem Platzen der Finanzierungsblase. Aufgrund der Fremdfinanzierung geben die Firmen im Schnitt für jeden Dollar, den sie verdienen, zwei Dollar wieder aus, hat die Investmentbank Barclays errechnet.

Einige sogar bis zu vier Dollar, sagt Deborah Lawrence Rogers. Öl würde oft nur weiter gefördet, damit die Firmen ihre Gläubiger bedienen können. Große Geldgeber wie Renten- und Pensionsfonds haben sich schon aus der Finanzierung zurückgezogen. James Williams von der Energie-Beratungsfirma WTRG Economics warnt, ein weiterer Preisverfall habe das Potential, den Energie-Boom in den USA platzen zu lassen.

Doch die Luft wird auch für klassische Ölkonzerne zusehends dünner. Sie werden bei sinkenden Preisen ihre Margen kaum halten können. Erste Gewinnwarnungen machen die Runde. Die Aktienkurse der Giganten von Exxon über Chevron bis Royal Dutch sind zehn bis 20 Prozent hinter ihre Jahreshochs zurückgefallen. Bei Spezialdienstleistern und kleineren Produzenten sieht es schlimmer aus. Allerdings: Sollte der Ölpreis drehen, dann bieten sich für spekulative Gemüter hier die besten Schnellgewinnchancen der Jahreswende.