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Die Eurokrise 2.0 bricht aus und die D-Mark leuchtet am Horizont

Die Zutaten sind da, und die Konjunkturforscher warnen fast einmütig: Inflation, Rückgang der Wirtschaftsleistung und die notwendige Geldpolitik der EZB bilden ein unbekömmliches Gebräu für die Staaten der Eurozone und ihre gemeinsame Währung. Die Euro-Krise ist wieder da. Die ersten sehnen sich bereits nach der D-Mark.

(Bild: Shutterstock)

Die Zutaten sind da, und die Konjunkturforscher warnen fast einmütig: Inflation, Rückgang der Wirtschaftsleistung und die notwendige Geldpolitik der EZB bilden ein unbekömmliches Gebräu für die Staaten der Eurozone und ihre gemeinsame Währung. Die Euro-Krise ist wieder da. Die ersten sehnen sich bereits nach der D-Mark.
 
Das Dilemma ist vor einigen Tagen so richtig sichtbar geworden: Die Zinsen für börsengehandelte italienische Staatsanleihen stiegen auf über vier Prozent. Im weiterhin existierenden Niedrigzinsumfeld ist dieser Wert sehr hoch – zum Vergleich: Deutsche Anleihen notieren zum Zinssatz von unter zwei Prozent. Die Anleger sprachen also dem italienischen Staat unverblümt das Misstrauen aus. Und der Europäischen Zentralbank wohl gleich mit: Offenbar zogen die Märkte zumindest in Erwägung, dass es zu Schwierigkeiten mit den Zinszahlungen oder der fälligen Rückzahlung kommen könnte. Den Beleg lieferte der Markt dann, als die EZB ein neues Instrument ankündigte, das Abhilfe schaffen werde, ohne dies näher zu präzisieren. Sogleich neigte die Zinskurve nach unten. Und diejenigen der übrigen südlichen Euroländer gleich mit: Griechenland, Portugal, Spanien, auch Frankreich. In all diesen Ländern ist die Staatsverschuldung besonders hoch, die Wirtschaftsleistung dagegen nicht gerade auf stabilem Wachstumskurs. Was auf Dauer der einzige anerkannt solide Weg zu einer Sanierung der Staatsfinanzen wäre.
 
Darauf zu setzen, scheint derzeit mal wieder überaus optimistisch. Und so wirkt das mysteriöse künftige „Instrument“, das die Zentralbank im Juli enthüllen möchte, als Beruhigungspille - etwa in Zusammenhang mit der für dann bereits angekündigten Leitzinserhöhung um wohl nur 0,25 Prozent. Gleichzeitig will die EZB ihre Geldflutungspolitik etwas zurückfahren: Bisher gab sie Geld in die Volkswirtschaften, indem sie Staatsanleihen der Eurozone aufkaufte – und damit zum einsamen Großgläubiger vieler Mitgliedsländer wurde. Nun allerdings kritisieren Ökonomen bereits, dass die Maßnahmen zu zögerlich, zu spät kommen. Lars Feld etwa, früherer Vorsitzender des Sachverständigenrats, sähe das Anleihekaufprogramm am liebsten ganz beendet. Dies vor dem Hintergrund, dass die Inflationszahlen besorgniserregende Höhen erreichen. Acht Prozent waren es zuletzt, eine solche Geldentwertung hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Dies einzudämmen sei die oberste und wichtigste Aufgabe der EZB, keineswegs die Steuerung von Anleihezinsen. Die EZB müsse aufpassen, ihr Mandat nicht zu überschreiten, nämlich statt Geldpolitik für die Eurozone zu gestalten in die Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten einzugreifen.
 
Der Streit ums Mandat ist natürlich nicht neu. Vor fast genau zehn Jahren, auf dem Höhepunkt der letzten Eurokrise, sprach EZB-Präsident Mario Draghi die berühmten Worte vom „whatever it takes“ und signalisierte den Märkten: Was auch immer getan werden müsse, um den Bestand des Euro zu sichern, das werde getan, und vor allem: Es werde ausreichen. Schlagartig zogen sich die Spekulanten gegen den Euro zurück, Draghi musste seinen Werkzeugkoffer gar nicht erst ganz auspacken. Mit den Euro-Stützungsfonds und weiteren Hilfen, für Griechenland vor allem, ebbte die Krise ab. Allerdings verhallten sowohl Draghis Begründungen für die Staatshilfen als auch Forderungen aus Brüssel an die betroffenen Länder ungehört. Nämlich: Man solle die Zeit der niedrigen Zinsen und des billigen Geldes dazu nutzen, die Staatshaushalte zu sanieren, die Schulden zurückzufahren. Wäre dies geschehen - man müsste heute nicht über die „Eurokrise 2.0“ sprechen. Genau das ist aber der Ausdruck, der den Ökonomen derzeit einfällt: „Die Zinsanstiege sind dramatisch, das ist ganz klar die Rückkehr der Euro-Krise“, sagt Clemens Fuest, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München. „Die Gefahren für die Euro-Zone sind allzu real“, warnt auch der italienischstämmige US-Ökonom Nouriel Roubini. Die Deutschen dürften dann als erste wieder auf ihre alte D-Mark schielen. Ein Drittel hat Sehnsucht nach ihr, ergab eine Umfrage zur Jahreswende. Dabei war damals die Welt noch vergleichsweise in Ordnung.
 
Die Daten und Fakten sprechen dabei auch Deutschland nicht die Musterknabenrolle zu. Offiziell beträgt der Schuldenstand je nach Lesart nur 65 bis 70 Prozent der Wirtschaftsleistung. Allerdings existieren inzwischen derart viele Schattenhaushalte und künftige Renten- und Pensionslasten, dass Ökonomen glatt das Doppelte errechnet haben. Da hilft es dann auch nicht, ein 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr als „Sondervermögen“ zu bezeichnen, wenn es sich in Wahrheit um ein Schuldenkonto handelt. Auch 60 Milliarden für wohltuende Klimazwecke bleiben, was sie sind: Milliardenschulden.
 
So wird wohl kein Weg daran vorbeiführen, es auf die harte Tour tun zu müssen. Denn dass die EZB weiter ganze Staaten über Wasser halten kann, ist für Ökonomen wie Clemens Fuest vom Münchener Ifo-Institut undenkbar. Fortgesetzte Schuldenpolitik würde den Euro in seinem Bestand gefährden. Ablesbar ist die sinkende Wertschätzung der Finanzmärkte für den Euro natürlich am Kursverfall gegenüber dem US-Dollar. Setzt sich die Talfahrt fort, so ist bald die 1-zu-1-Parität erreicht. Eine traurige Marke – hatten doch viele Europapolitiker vom Euro als der weltweit zweitwichtigsten Reservewährung geträumt, womöglich gar einer, die den Dollar in den staatlichen Depots der Welt einst ablösen könnte. Davon ist keine Rede mehr.
 
Nun stehen die Euroländer vor der Wahl, ihre Haushalte zu sanieren, damit eine Rezession in Kauf zu nehmen, oder aber mit geborgtem Geld und geliehenen Vertrauen so weiterzumachen wie bisher – und zu hoffen, dass die Maßnahmen der EZB zur Inflationsbekämpfung nicht schon allein in den Abschwung führen. Ein durchaus realistisches Szenario: Angesichts hoher Inflation verlangen die Gewerkschaften entsprechend hohe Lohnabschlüsse. Die Kosten müssen am Ende entweder durch höhere Produktivität erwirtschaftet werden – oder sie landen über die Preissteigerungen beim Verbraucher. Die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale beginnt sich zu drehen.

So mehren sich denn auch die Stimmen in den Reihen der Wirtschaftsforscher, nun zum zehnjährigen unangenehmen Jubiläum der Eurokrise endlich den harten Fakten ins Auge zu sehen und durch das ohnehin kommende Tal der Tränen zu marschieren. Es fehlt jedoch am gemeinschaftlichen Willen der Politik, kein Wunder: Niemand, der ein radikales und schmerzhaftes Sanierungsprogramm in Gang setzen würde, müsste sich noch groß Gedanken um eine Wiederwahl machen. Bleibt das geheimnisumwitterte „Instrument“ der EZB. Auf Wunder darf also weiter gehofft werden. Bis Juli erst einmal.

Reinhard Schlieker