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Kultur!

Unersetzliches Menschheitserbe, 2.700 Jahre alt, wird mit dem Presslufthammer barbarisch zerstört. Ein Film darüber gelangt in die sozialen Netzwerke weltweit. Ein Zufall? Mitnichten! Der Westen soll zu einem perversen Tauschhandel gezwungen werden. Die Gutmenschen dürfen erschauern – der Islamische Staat zeigt sein wahres Gesicht.

BÖRSE am Sonntag

Sie handeln mit Aktien? Wofür eigentlich? Weswegen legen Sie Ihr Geld in Zertifikaten, Fonds und Optionsscheinen an? Geht es Ihnen um die Maximierung Ihres Vermögens? Wirklich nur darum? Dann können Sie hier schon auf die nächste Seite blättern.

Falls Ihr Engagement an den Finanzmärkten aber irgendeinen ethischen Aspekt hat, dann lassen Sie uns auf eine gedankliche Reise gehen. Aus Mossul im Norden des Irak erreicht die übrige Welt ein entsetzlicher Film. Fünf Minuten lang ist zu sehen, wie streng nach islamischer Sitte gekleidete Männer im Museum der Stadt Mossul Kunstwerke zerstören. Es handelte sich um unersetzliche Schätze des kulturellen Welterbes der Menschheit, um höchst wertvolle Werke aus altorientalischer Zeit, die Mehrzahl aus den nahen Grabungsstätten, denn das heutige Mossul ist das biblische Ninive.

Zu erkennen ist unter anderem, wie Männer mit Vorschlaghämmern wild um sich schlagen. Wie eine einzigartig schöne assyrische Skulptur, ein Lamassu, etwa 2.700 Jahre alt, mit einem Presslufthammer zu kleinen Steinbröckchen geschreddert wird. Der Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, Markus Hilgert, ordnet diesen Verlust für die Menschheit ein: „Das ist so, als würde jemand die Sphinx in Ägypten zerstören.“

Im Video erklärt ein IS-Mitglied, die Statuen hätten Assyrern und anderen Völkern der Vielgötterei gedient, daher seien sie zu vernichten. Das sei Allahs Wille. Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit – auch hier geht es um einen Handel. Nicht Aktien, nicht Optionen, nicht Rohstoffe werden hier taxiert, sondern es geht um ein perverses Tauschgeschäft. Der grauenerregende Film wurde wohl genau jetzt lanciert, weil die Vereinten Nationen den Handel mit antiken Kulturgütern gebrandmarkt und verboten haben. Durch den Verkauf von Antiken finanzierte der „Islamische Staat“ aber zu größeren Teilen seinen Völkermord. Der andere große Teil der Einnahmen dieses selbsternannten Kalifats auf irakischem und syrischem Boden war übrigens der Verkauf von Rohöl – auch der wurde nun wohl deutlich eingedämmt.

Die Einbußen scheinen Wirkung zu zeigen, und deswegen greifen die Männer des „Islamischen Staat“, die sich selbst als strenggläubige Sunniten sehen, zu neuen Waffen. Auch in Mossul ist offenbar bekannt, wieviel Geld derzeit an den Börsen der Welt verdient wird. Sie und ich – wir alle sollen gezwungen werden, einen möglichst großen Teil unserer Gewinne als Gegenleistung für die Rettung des gemeinsamen Menschheitserbes – der Kultur! – exakt denjenigen in die Hand zu geben, die die Welt augenscheinlich in ein bildungsloses Zeitalter zurückbomben wollen wie einst die Roten Khmer in Kambodscha. Ganz nebenbei: Am 2. Februar 2015 wurde mutmaßlich auf Befehl derselben Menschen, die das Museum von Mossul schänden ließen, eine der größten und ältesten chaldäisch-katholischen Kirchen der Welt, die „Kirche der Jungfrau Maria“ in die Luft gesprengt. Hätten Sie’s gewusst?

Und lassen Sie uns einen kleinen gedanklichen Abstecher nach etwas weiter südlich machen. Rein hypothetisch gedacht – was würden die Schergen des Islamischen Staates wohl mit der Grabeskirche in Jerusalem machen, falls sie Israel militärisch besiegen könnten und nachdem sie dann – zweifelsohne! – unter den Menschen jüdischen Glaubens ein Blutbad, das sich wohl nur mit Auschwitz vergleichen ließe, angerichtet hätten? Was geschähe dann mit der Geburtskirche Christi in Bethlehem? Mit dem Baha’i-Tempel in Haifa? Mit dem Georgskloster im Wadi Qelt?

Genug, genug. Die Realität ist schrecklich genug. Mit Menschen wird genauso verfahren wie mit unersetzlichen Kunstwerken, das sei hier nicht vergessen. Ein Blick nach Nigeria genügt. Die legitimen Erben der kambodschanischen Khmer nennen sich dort Bokor Haram. Täglich werden dort junge Männer entführt und bestialisch ermordet, zumeist Christen, und die Täter sind fast ausnahmslos Menschen, die den Koran buchstabengetreu auslegen und daraus die Notwendigkeit ableiten, ihre Mitmenschen abzuschlachten wie Vieh. Junge Frauen werden übrigens auch entführt, doch sie werden zwangsislamisiert und zwangsverheiratet. An die rund 200 Schülerinnen einer christlichen Schule im Norden Nigerias, alle unter 14 Jahre alt, die im letzten Jahr verschleppt worden, erinnern wir uns noch so eben. Natürlich wurden sie nicht freigelassen. Die Eltern der Mädchen bekommen stattdessen von Bokor Haram regelmäßig gemeldet, wie viele ihrer Töchter bereits schwanger sind – um Krieger zu gebären.

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Ja, in Deutschland wäre all dies undenkbar. Und ja, die Form des Islam, die in Mossul so entsetzliche Folgen zeitigt, wird hierzulande von islamischen Verbänden so wortreich wie glaubwürdig kritisiert. Erschreckend ist indes, dass auch das entsetzlichste Handeln des „Islamischen Staates“ durch die medinische Lesart des Koran gedeckt ist. Die unersetzlichen Kulturgüter wurden also von Männern zerstört, die – auch – als Moslems anzusprechen sind. Die Gutmenschen unter uns dürfen nun erschauern, doch das ändert nichts an den Tatsachen.

Wie grundlegend anders ist doch die Daseinsperspektive im sonnigen und oberflächlich so idyllischen Kalifornien! Dort erstaunt die Firma Hyperloop Transportation Technologies (HTT) in diesen Tagen mit der konkretisierten Vision einer Art Rohrpost für Menschen, mit deren Hilfe Passagiere in einer guten halben Stunde von Los Angeles nach San Francisco katapultiert werden könnten. Zum Jahresende möchte Elon Musk, der Mann hinter dem noblen E-Auto-Hersteller Tesla, dies Projekt an die Börse bringen. Ein acht Kilometer lange Strecke entlang des Highway number one in Kalifornien hat sich HTT jetzt gesichert, hier soll eine Teststrecke für den Hyperloop entstehen.

Gut 100 Millionen US-Dollar nimmt Elon Musk dafür in die Hand. Mit der Vision einer menschlichen Rohrpost, die nahezu in Überschallgeschwindigkeit durch die kalifornische Wüste rast, können also auch Sie bald bares Geld verdienen – vielleicht. Doch was nutzt es der Menschheit, wenn für privilegierte Passagiere die Metropolen Los Angeles und San Francisco nur noch 34 Minuten voneinander entfernt sind, wenn zugleich unser aller kulturelles Erbe, unsere Herkunft, unsere Identität mit banalen Vorschlaghämmern zu Steinbrocken zermörsert wird?

Ich wage die Prognose: Markus Hilgert hat, auch wenn er das vielleicht selbst nicht meint, prophetische Worte gesprochen. Wenn sich der Islam nicht überall – weltweit! – von einer medinischen zu einer mekkanischen Grundrichtung bekehrt, wird die Sphinx die nächsten Jahre wahrscheinlich nicht überstehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die IS-Terrormilizen, falls ihnen nicht bald mit massiver militärischer Macht Einhalt geboten wird, auch in Ägypten einfallen werden. Oder zumindest dort verheerende Bombenanschläge verüben.

Ob der hypertrophe Hyperloop in Kalifornien je Passagiere befördern wird? Das ist völlig offen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sphinx in absehbarer Zeit mittels geschätzter 100 Kilogramm TNT in die Luft gejagt wird, erscheint auch angesichts der Kirchensprengung von Mossul ungleich größer. Und nun frage ich Sie nochmals, warum Sie mit Aktien handeln, warum Sie Ihr Depot bei Bedarf sorgfältig umschichten, warum Sie Ihr Vermögen maximieren.

Natürlich – Ihre Altersvorsorge ist wichtig, und in Zeiten des Nullzinses ist die aktiv gemanagte Geldanlage ein Gebot der Vernunft. Das sei unbenommen! Aber die Kurssteigerungen sind derzeit mancherorts exorbitant, der DAX steht bei sagenhaften 11.400 Punkten. Schauen Sie nun genauer hin, wenn Sie ihre Vermögenswerte umschichten? Als Chefredakteur einer Börsenzeitung steht es mir eigentlich nicht zu – aber blicken wir doch zum Abschluss nochmals kurz über das Parkett hinaus: Tun Sie vielleicht mit unerwartet großen Gewinnen doch etwas für die Bildung in Ländern, in denen die Jugendlichen mangels schulischem Angebot allzuoft radikalen Rattenfängern in die Hände fallen?

Fördern Sie vielleicht ein Schulprojekt in Kamerun, Nigeria oder im Tschad? Oder engagieren Sie sich möglicherweise im Denkmalschutz, wenn Sie das nächste Mal eine Position in Ihrem Depot glattstellen, die 280 oder 350 Prozent Gewinn ausweist? Den assyrischen Türhüter in Mossul können Sie nicht mehr retten. Aber vielleicht den kleinen Fachwerk-Glockenturm einer mecklenburgischen Dorfkirche.

Wie wichtig sie doch ist – die Kultur.

Dr. Sebastian Sigler, Chefredakteur