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Rufmord an der Autoindustrie

Ist das politische Magazin aus dem Norden da etwa böse hereingefallen? Es gibt keinen Autokartell-Skandal, es gibt kein Syndikat der Automobilindustrie, es gibt keine Verschwörung. Da hat jemand etwas verwechselt, und der SPIEGEL fällt einfach so darauf herein? „Kartellgate“ nach „Dieselgate“? Nichts davon ist wahr. Ist es gar ein böswilliger Rufmord durch Hamburger Kopf-ab-Journalisten?

BÖRSE am Sonntag

Ist das politische Magazin aus dem Norden da etwa böse hereingefallen? Es gibt keinen Autokartell-Skandal, es gibt kein Syndikat der Automobilindustrie, es gibt keine Verschwörung. Da hat jemand etwas verwechselt, und der SPIEGEL fällt einfach so darauf herein? „Kartellgate“ nach „Dieselgate“? Nichts davon ist wahr. Ist es gar ein böswilliger Rufmord durch Hamburger Kopf-ab-Journalisten?

Von Florian Josef Hoffmann

Die Nation ist in Aufregung, Seehofer schaltet sich ein und warnt vor Schäden für die gesamte Automobilindustrie, Kauder mahnt einen „reinen Tisch“ an, die ideologischen Feinde des Automobils, die in ihrer Jugend auch gegen Privatbsitz und -eigentum generell waren, schäumen ohnehin. Ein Branchenexperte meint, da müssten wohl 60 Autovorstände ihren Hut nehmen, wenn das wahr wäre. Hat da also wirklich bloß jemand etwas verwechselt?

In der Tat, so ist es. Der Jemand, der etwas verwechselt hat, sitzt in der Rechtsabteilung des größten deutschen Autokonzerns. Er hatte wohl – sinnbildlich ausgerückt – die Hosen voll, weil ihm jemand vom Bundeskartellamt gesteckt hat, dass hier eventuell ein Kartellverstoß vorliegen könnte. Die Betonung liegt auf „könnte“! Und wie reagiert darauf ein verantwortungsvoller Jurist? Er sucht nach Absicherung. Und welche Absicherung liefert ihm der Gesetzgeber? Die sogenannte „Bonusregelung“, die kartellrechtliche Selbstanzeige in Verbindung mit der Denunziation aller anderen Beteiligten. Und also schreibt der Denunziant Hunderte Seiten Selbstanzeige mit allen ihm zur Verfügungs stehenden Informationen. Alles Betriebsgeheimnisse. Egal, mit der Anzeige und vollständigen „Offenbarung“ geht der Denunziant straffrei aus und die anderen werden in die Pfanne gehauen, bekommen Milliardenbußen! Ein echter Wettbewerbsvorteil, wenn man Finanzkraft als Wettbewerbsvorteil einordnen will.

Das ist das Strickmuster, der Normalfall, das die Kaffeebranche, die Porzellanbranche, die Autoglasbranche schon hinter sich haben. Nur, was war der Irrtum, was ist falsch gelaufen? Der Irrtum des Wolfsburger Hausjuristen und der von ihm eingeschalteten Anwaltskanzlei(en) liegt darin, dass man den Anwendungsbereich des Kartellrechts beziehungsweise des Kartellverbots falsch gesehen hat. Das Kartellrecht enthält Regeln für Marktverhalten oder genauer: Die Vorstellung des Gesetzgebers zielt darauf, dass auf den Märkten die Preise auf „natürliche“ Weise zustande kommen und nicht abgesprochen werden. Anonym zustande gekommene Marktpreise sind gefragt. Und da es generell auf allen Märkten eine Abhängigkeit zwischen der Angebotsmenge und dem Marktpreis gibt, sanktioniert der Gesetzgeber nicht nur die Preisabsprache, sondern auch die Mengenabsprache. Die gesamte Kartellrechtsliteratur kennt – neben der regionalen Abrede, die auch eine Mengenabrede ist  ausschließlich diese beiden Größen. In der Wirtschaftstheorie wird diese Abhängigkeit in der neoklassischen Angebots- und Nachfragekurve abgebildet. Der Gesetzgeber sieht es also als „unnatürlich“ an, wenn die Kaufleute miteinander Reden und untereinander Marktabsprachen treffen.

Eine unglaublich miese Recherche?

Nun schreibt der Spiegel von Tausenden von Zusammentreffen unterschiedlichster Abteilungen der Autokonzerne zu den unterschiedlichsten Fahrzeug-Komponenten wie zum Beispiel Luftfederung, Sitzanlage, Kupplung, Motoren, und so weiter. Und er spricht auch von unzähligen Abreden. Allerdings gibt es diesen kleinen, aber bedeutenden Unterschied: Hier treffen sich eben nicht die Kaufleute, die für den Markt zuständig sind, sondern die Techniker der Konzerne der jeweiligen Abteilungen, um sich über technische Details abzusprechen, mit denen sie die Produkte gestalten. Mit dabei sind die externen Lieferanten der technischen Komponenten, also unter anderem so berühmte Firmen wie Bosch, ZF, Conti, Mahle und andere. Technische Details sind Betriebsgeheimnisse, selbstverständlich sind hohe und höchste Geheimhaltungsstufen gegeben. Die Geheimhaltung wird dort aufgegeben, wo technische Abstimmung technisch und wirtschaftlich sinnvoll ist. Und da ein Auto ein hochkomplexes Gerät ist, das gewartet und repariert werden muss, sind auch die Werkzeughersteller mit im Boot und die Anbieter von Werkstatt-Ausstattungen. Dort, wo technische Probleme für alle auftauchen, zum Beispiel engere Verbrauchsvorschriften, setzt man sich zum Ideenaustausch zusammen, um nach technischen Lösungen zu suchen. „Geheim“ sind solche Treffen nicht mehr als andere geschäftliche Vorgänge.

Techniker und Technik kommen im Kartellrecht nicht vor. Auch der Begriff „Qualität“ fehlt im Kartellrecht völlig, weil Technik und Qualität eines Produkts vorausgesetzt werden. Ein Automobil ist ein hochgradig reglementiertes Gerät. Anders lässt es die Zulassungsbehörde in Flensburg nicht auf die Straße, also nicht für den Verkauf zu. Nicht nur das Auto selbst wird kontrolliert, auch viele Komponenten unterliegen aufwendigen Prozeduren. Das Amt hat ein Monopol, dem sich alle beugen. Eine Zusammenarbeit unterschiedlichster Hersteller – horizontal wie vertikal – wird geradezu erzwungen.

Das hier angesprochene Thema ist außerdem das Geheimnis der deutschen Industrie, das kein Geheimnis ist: Die hohe Kompetenz, die Anbieterdichte, die Zuverlässigkeit, das Ineinandergreifen der Lieferketten, der hohe Qualitätsstandard ist weltweit einmalig. Dahinter stecken Tausende technischer Abreden, die überflüssige, kostspielige Dopplungen vermeiden lassen. Hier nur ein Beispiel unter Hunderten: ZF macht nun mal die besten Getriebe der Welt und deshalb werden sie von fast allen Automobilherstellern der Welt eingebaut. Und damit manche Standard-Getriebe oder Teile davon in fast alle Fahrzeuge eingebaut werden können, treffen sich die Auto-Hersteller-Techniker gemeinsam mit dem Getriebe-Hersteller-Techniker und einigen sich auf einen gemeinsamen Nenner – zum Wohle der Hersteller, der Werkstätten und der Kunden oder aller sonstigen Beteiligten.

Die berüchtigten Arbeitsgruppen...

In den nun so übel verdächtigten „60 Arbeitsgruppen“ technische wurden Absprachen getroffen, die nichts mit dem kaufmännischen Kartellrecht zu tun haben, obwohl sie „natürlich“ Auswirkungen auf Preise und Kosten haben. Aber man stelle sich vor, es gäbe sie nicht, in welchem Dilemma die Zulieferer stünden, die für jeden Autohersteller eine eigene Produktlinie aufbauen müssten und welche Kostennachteile für alle Beteiligten, vor allem auch die Endkunden, entstünden.

Technische Lösungen haben außerdem eine Gesetzlichkeit, der sich die Techniker nicht entziehen können: Es gibt normalerweise nur eine optimale Lösung. Typisches Beispiel ist unser alltägliches Smartphone: Die unterschiedlichen Marken lassen sich an den Geräten selbst nur mit Mühe identifi¬zieren. Es ist durchaus im Interesse aller, wenn die technisch optimale Lösung allen zur Verfügung steht. Die friedliche Kooperation unter der Motorhaube ist also wichtig. Sie endet üblicherweise dort, wo die Merkmale nach außen sichtbar werden, also in der Gestaltung.

Der SPIEGEL-Skandal-Beitrag beginnt mit einem bezeichnenden Detail, der Höchstgeschwindigkeit, bei der ein Cabrio-Verdeck geöffnet oder geschlossen werden darf. Die Auto-Hersteller-Techniker haben sich für sogenannte SoftTops auf 50 km/h geeinigt. Das ist eine sinnvolle technische Grenze, denn: Der Luftwiderstand beginnt generell erst bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h relevant zu werden. Ablesen kann man diese Tatsache an unseren LKWs, die – ohne dass es einer Absprache bedurfte - jegliche aerodynamische Gestaltung vermissen lassen. Sie sind vorne einfach platt, weil sie eh nicht schneller als 80 km/h fahren dürfen. Bei einem Cabrio-Dach, das bei 80 km/h geöffnet oder geschlossen wird, besteht die Gefahr, dass es abbricht. Und warum dann 50 km/h als Limit und nicht 80 km/h? Ganz einfach: 10 km/h Sicherheitsabzug und 20 km/h Windgeschwindigkeit. Würde man die natürlichen Winde unberücksichtigt lassen, wäre das weltfremd und unverantwortlich. „Es ist eine Absprache, mit der Wettbewerb und Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt wurden“ schreibt das Spiegel-Expertenduo Dohmen und Hawranek. Da sei doch die Frage an die Experten erlaubt: Was ist relevanter, die Naturgesetze oder die Marktgesetze?

„Gott sein Dank haben wir den Diesel-Skandal“ werden die beiden Experten dann gedacht haben, als sie einen emotionalen Aufhänger für das Thema suchten. Und sie wurden fündig: Die normierte Größe des AdBlue-Tanks, die angeblich zu klein und deshalb Anlass für den Abgasskandal gewesen sein sollen. Für die Normierung zuständig waren die „Antriebsleiter“ und die „Fahrwerksleiter“, also marktferne Techniker. Der Beitrag wird unterlegt mit einer „Chronik der Dieselaffaire“ unter dem Titel „Täuschen und vernebeln“, dessen sich uunter anderem diese ehrenwerten Mitarbeiter schuldig gemacht haben sollen. Damit bekommen die fünf bösen Buben Daimler, BMW, Audi, Porsche und Volkswagen erst mal den kriminellen Stempel, der die Bösartigkeit der Absprachen unterstreicht.

Dass die Dieselaffaire einen skandalösen Anstrich haben mag, sei eingeräumt – Ausrutscher gibt es überall –, aber dass hier zulasten unserer wichtigsten Industrie ein Kartellskandal aufgebauscht wird, der auf einer unsinnigen VW-Selbstanzeige beruht und nicht auf einer Meldung des Bundeskartellamtes (das sich bisher des Kommentars verweigert), spricht gegen die Qualität des Blattes. Und falsch ist der Titel „Das Auto-Syndikat“ auch. Bei einem Syndikat werden finanzielle Vorteile und Nachteile untereinander ausgeglichen. Davon ist im Beitrag an keiner Stelle die Rede. Journalisitische Sorgfalt, saubere Fakten – wozu? Hauptsache Klamauk. Und vielleicht ein kleiner Rufmord?

Diese Kolumne ist auch auf dem Debattenportal The European erschienen.

Florian Josef Hoffmann ist Rechtsanwalt in Düsseldorf, er schreibt überdies regelmäßig für überregionale Blätter und Portale, so THE EUROPEAN.