Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Märkte >

Trügerische Ruhe an den Aktienmärkten

Für Anleger sind es gefühlt derzeit alles andere als ruhige Zeiten: Die Bankenkrise in Italien, der Brexit, das politische Patt in Spanien und eine mögliche Zinsanhebung in den USA sorgen zu Recht für eine Verunsicherung vieler Marktteilnehmer. Da erscheint es nur logisch, dass sich dies auch in stärkeren Schwankungen an den Kapitalmärkten niederschlagen müsste. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, wie Ulrich Stephan von der Deutschen Bank feststellt.

BÖRSE am Sonntag

Für Anleger sind es gefühlt derzeit alles andere als ruhige Zeiten: Die Bankenkrise in Italien, die Diskussionen um den Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union, das politische Patt in Spanien und eine mögliche Zinsanhebung in den USA sorgen zu Recht für eine Verunsicherung vieler Marktteilnehmer. Da erscheint es nur logisch, dass sich dieser Mangel an Orientierung auch in stärkeren Schwankungen an den Kapitalmärkten niederschlagen müsste. Doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Von Ulrich Stephan

Krisen und Risiken beherrschen die Schlagzeilen. Die Aktienmärkte müssten Achterbahn fahren. Stattdessen bewegte sich die Volatilität – also die Schwankungsintensität von zum Beispiel Aktien- oder Anleihekursen – sowohl in Europa als auch in den USA über den Sommer auf historisch niedrigen Niveaus. Für diese scheinbar widersprüchliche Situation gibt es gute Gründe: Zum einen waren aufgrund der Urlaubssaison in den vergangenen Wochen weltweit weniger Marktteilnehmer aktiv. Zum anderen gab es für sie kaum Handlungsbedarf. Denn über die Sommermonate waren überraschende politische oder wirtschaftliche Neuigkeiten – trotz der Vielzahl potentieller Risikoquellen – nicht zu verzeichnen.

Das Ausbleiben von Nachrichten sorgte dafür, dass die wesentlichen Einflussfaktoren an den Kapitalmärkten unverändert blieben. Der Aktienmarkt beispielsweise profitierte weiterhin von konstanten Kapitalzuflüssen, da viele Investoren nach wie vor keine interessante Anlagealternative zu finden schienen. Auf der Anleiheseite beherrschte die Europäische Zentralbank wie bereits seit geraumer Zeit das Geschehen: Aufgrund ihres umfangreichen und langfristig aufgestellten Anleiheankaufprogramms gab sie klar die Richtung vor und nahm dadurch viel Unsicherheit aus dem Markt.

Nun stellt sich die Frage: Müssen Anleger nach dem ruhigen Sommer mit einem stürmischeren Herbst an den Kapitalmärkten rechnen? Einige Anzeichen scheinen zumindest für eine spürbare Belebung der Märkte zu sprechen. Die politischen und ökonomischen Herausforderungen dürften zum Jahresende wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. In Spanien könnte sich die politische Lage noch weiter zuspitzen, wenn es nach den zuletzt gescheiterten Regierungsbildungen im Dezember zu einer neuerlichen, dann bereits dritten Parlamentswahl kommen sollte.

Die USA werden einmal mehr den Takt angeben

Bereits Anfang November finden die stark im medialen Fokus stehenden Präsidentschaftswahlen in den USA statt – mit nach wie vor ungewissem Ausgang. Und aus China, das im zweiten Halbjahr 2016 seine zum Teil wachstumshemmenden Reformbemühungen verstärken will, werden in den kommenden Monaten mit Spannung die Daten zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts erwartet.

Entsprechend der zunehmenden Unsicherheitsfaktoren ist am Markt tatsächlich ein Anstieg der Schwankungserwartungen zu beobachten: Die zukunftsgerichtete sogenannte „implizite Volatilität“ hat seit Anfang September bereits spürbar angezogen. So legte beispielsweise der Volatilitätsindex VIX, der die vom Markt erwartete kurzfristige Schwankungsintensität anhand von Optionspreisen auf den Aktienindex S&P 500 über 30 Tage angibt, allein am 9. September um rund 40 Prozent zu. Der Anstieg verdeutlicht, dass die Marktteilnehmer in den kommenden Wochen und Monaten mit spürbar mehr Bewegung an den Kapitalmärkten rechnen – nach oben sowie nach unten.

Anleger sollten sich in den kommenden Wochen und Monaten also zumindest auf die Möglichkeit einer erhöhten Schwankungsbreite der Kapitalmarktkurse einstellen. Für die Geldanlage bedeutet das konkret, dass unter den dann gegebenen Umständen Handlungsschnelligkeit gefragt sein könnte, um den neuen Herausforderungen zu begegnen beziehungsweise Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren. Voraussetzung dafür ist die intensive Beobachtung der relevanten Marktthemen und ein aktives Management des Depots.

Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.