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Twitter-CEO tritt ab: Ausgezwitschert

Twitter wechselt seine Führung aus und steht vor dem Nichts. Wie der Kurznachrichtendienst jemals schwarze Zahlen schreiben soll, steht in den Sternen.

BÖRSE am Sonntag

Twitter wechselt seine Führung aus und steht vor dem Nichts. Wie der Kurznachrichtendienst jemals schwarze Zahlen schreiben soll, steht in den Sternen.

Vor ein paar Monaten schien die Twitter-Welt noch in Ordnung. So konnte der Kurznachrichtendienst im vierten Quartal 2014 seine Einkünfte mit 479 Millionen Dollar fast verdoppeln und damit sämtliche Analystenerwartungen übertreffen. Nun ist alles anders. Die Luft in der Führungsetage wurde so dünn, dass Konzernchef Dick Costolo kurzfristig seinen Posten räumen muss – quasi fristlos, zum 1. Juli. Nachfolger wird vorläufig der Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey. Das ist ein deutliches Signal, denn Dorsey saß schon einmal im Chefsessel, von Mai 2007 bis Oktober 2008. In einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters sagte Dorsey, er gehe nicht davon aus, dass sich an Twitters Strategie oder Ausrichtung etwas grundsätzlich ändern werde. Die Suche nach einem neuen Twitter-Chef habe noch nicht begonnen. Das Unternehmen wolle aber jemanden finden, der Twitter jeden Tag nutze und liebe. Costolo, der im Direktorium bleiben soll, sagte, es würden sowohl interne als auch externe Kandidaten in Betracht gezogen.

Die Liebe, die Dorsey einfordert,  dürfte allein aber kaum reichen, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Schließlich schreibt das Unternehmen nach wie vor rote Zahlen. Zwar konnten die Netzwerker ihren Umsatz kontinuierlich steigern – zuletzt von 665 Millionen US-Dollar (2013) auf 1,4 Milliarden Dollar (2014). Unterm Strich gab es jedoch Verluste. 2013 waren es 645 Millionen Dollar und im vergangenen Jahr 578 Millionen Dollar. Nachdem nun im ersten Quartal dieses Jahres immer noch ein Minus in Höhe von 162 Millionen Dollar eingefahren wurde, muss Costolo wohl oder übel seinen Hut nehmen.

Das Problem sind nicht nur die roten Zahlen. Die Anzahl der Nutzer, die Twitter im Schnitt monatlich hat, wuchs langsamer als von Marktexperten erwartet. Das schürte die Sorge, Twitter werde gegen Konkurrenten wie Facebook, Instagram oder Snapchat weiter an Boden verlieren. Und das obwohl Twitter Hunderte Millionen Dollar für Werbung und Marktforschung ausgibt, um noch mehr über die Nutzer herauszufinden.

2012 kamen zu Twitter 66 Millionen neue Nutzer. Das entsprach einer Wachstumsrate von rund 50 Prozent. Nach der anfänglichen Euphorie ist Ernüchterung eingekehrt. Die Twitter-Aktie ist seit 2013 an der Börse notiert. Seitdem spürt das Unternehmen den Druck der Wall Street. Die Börsianer dulden keine Stagnation, sie wollen schnelle Erfolge sehen. Seit dem Börsengang hat sich jedoch das Wachstum verlangsamt. 2013 kamen 51 Millionen User dazu (+25 Prozent) und im vergangenen Jahr 47 Millionen (+18 Prozent). Mittlerweile zählt Twitter rund 300 Millionen Nutzer. Das klingt nach viel, doch im Vergleich zu Facebook, das über 1,4 Milliarden User verfügt, ist das ein Klacks. Ende 2014 zog sogar die Fotoplattform Instagramm an Twitter vorbei.

Viel Phantasie im Kurs

„Twitter hat seinen Nutzern nie wirklich einen Grund gegeben zurückzukehren“, sagt Nate Elliott von der Beraterfirma Forrester Research. Während andere Dienste neue Funktionen einführten, habe Twitter praktisch auf der Stelle getreten. „Das Ergebnis war ein unsäglich langsames Nutzerwachstum“, so der Experte. Twitter ist derzeit an der Börse rund 25 Milliarden Dollar wert. Doch darin steckt eine Menge Kursfantasie, die bislang von der Hoffnung lebte, dass der Konzern in naher Zukunft Gewinne erwirtschaftet.

Costolo erklärte diese Woche, den Verwaltungsrat bereits im vergangenen Jahr erstmals über seine Pläne informiert zu haben. Er erhält laut Unternehmensangaben keine Abfindung und gibt durch seinen Abgang Aktienoptionen über etwa 16 Millionen Dollar auf. Zum Jahreswechsel war allerdings bekanntgeworden, dass Costolo sich bereits von Aktien im Wert von etwa zehn Millionen Dollar getrennt hatte.

Aus Anlegersicht ist nun spannend, wie es weitergeht oder vielmehr was erwartet wird, wie es weitergeht. Dass das Geschäft auch in diesem Jahr nicht in den grünen Bereich kommt, ist schon länger klar. Unmittelbar nach Bekanntwerden der enttäuschenden Zahlen für das erste Quartal war der Aktienkurs Ende April von rund 52 auf 38 Dollar gnadenlos abgestürzt. Nachdem nun diese Woche der Wechsel an der Spitze verkündet wurde, reagierte der Titel im nachbörslichen Geschäft mit einem Plus von acht Prozent.

Geteilte Meinung bei den Experten

Experten hatten allerdings einen noch höheren Kurssprung erwartet. Der Gedanke dabei: Wenn ein neuer Chef präsentiert worden wäre, dem man zutraut, dass dieser Twitter endlich aus der Misere holen könnte, wäre die Stimmung noch um einiges besser ausgefallen. Vom alten, neuen CEO Dorsey erwarten die Börsianer offenbar nicht unbedingt, dass er mit neuen Visionen das Wachstum und somit den Ertrag des Unternehmens steigern kann.

Anderseits liegt der Vergleich mit der Apple-Story nahe: Auch Steve Jobs wurde damals bei Apple rausgeworfen und ist später als großer Retter zurückgekehrt. Die Analogie allein reicht jedoch nicht, die Fantasie der Börsianer anzukurbeln. Und: Die Enttäuschung derjenigen, die sich von Beginn an Twitter-Aktien ins Depot gelegt haben, dürfte riesengroß sein. So erreichte der Titel Ende 2013 seinen bisherigen Höchststand von rund 70 Dollar – heute ist er nur noch die Hälfte wert.

Dennoch, es scheint Hoffnung zu geben. Die Aktienanalysten der Deutschen Bank halten in ihrer Twitter-Aktienanalyse am Votum „Kaufen“ fest, ebenso wie an ihrem Kursziel von 60 Dollar. Costolo habe seinen Rücktritt erklärt, was viele Investoren freuen dürfte. Der Aufbau des Geschäfts und die damit verbundene Wertsteigerung von 3 auf mehr als 25 Milliarden Dollar innerhalb von sechs Jahren verdiene allerdings Respekt. Nur wenige andere Unternehmen aus dem Bereich Verbraucherinternet könnten damit Schritt halten. Eine neue Führung, ein großer potenzieller Assetwert und das aktuelle Umfeld mit billigem Geld würden Übernahme-Aktivitäten aus strategischer Sicht etwas wahrscheinlich machen, so die Einschätzung der Experten der Deutschen Bank. Angesichts einer 2016er Umsatzmultiple, also dem Verhältnis der Marktkapitalisierung des Unternehmens zu dessen Jahresumsatz, von 7,5 (gegenüber 10 bei Facebook) und vielen möglichen Katalysatoren halten die Analysten das Chance-Risiko-Profil der Twitter-Aktie für vorteilhaft.

Derzeit wird spekuliert, ob Twitter von einem größeren Wettbewerber übernommen werden könnte. So bietet der schwache Kurs eine günstige Kaufgelegenheit. Chris Sacca, ein langjähriger Twitter-Investor, bezeichnete die Firma als maßgeschneiderten Zukauf für Google. Andere meinen, dass Dorsey als ständiger Chef bleiben werde. Ein weiterer der drei führenden Mitgründer, Evan Williams, werde Twitter bei der Suche nach einem neuen Chef unterstützen, teilte das Unternehmen mit. Die Geschäftsziele für das zweite Quartal stehen schon fest. Twitter geht von einem Umsatz zwischen 470 und 485 Millionen Dollar aus. Unabhängig von dem Chefwechsel kündigte Twitter an, dass die Begrenzung von 140 Zeichen für Direktnachrichten von Nutzer zu Nutzer aufgehoben werde. Für öffentlich sichtbare Tweets bleibt sie jedoch bestehen.


Twitter-Papier nur etwas für starke Nerven


Wie es nun mit dem Kurznachrichten-Dienst weitergeht, ist ungewiss. Einerseits glauben Analysten nach den Einbrüchen der vergangenen Wochen an das Aufwärtspotenzial des Titels. Weiterhin könnten sich verfestigende Übernahmegerüchte den Kurs treiben. Andererseits scheint das Unternehmen keinen Masterplan in der Schublade zu haben. Mit Platzhirschen im Bereich der Internetwerbung wie Google und Facebook wird man es wohl kaum aufnehmen können. Neue Visionen gibt es nicht, eine Aufbruchsstimmung sieht anders aus. Auch dürften die Unsicherheit darüber, ob Mitgründer Dorsey länger an der Spitze bleibt und eine möglicherweise lange Suche nach einem neuen Konzernchef der Aktie nicht unbedingt Auftrieb verleihen.

Momentan ist in keiner Weise klar, wie Twitter jemals auf einen grünen Zweig kommen soll. Die schwarze Null wird vermutlich noch länger ein Wunschtraum der Twitter-Anteilseigner bleiben. Aufgrund der hohen Volatilität des Papiers und der undurchsichtigen Lage scheint die Aktie derzeit eher etwas für Zocker als für sicherheitsorientierte Anleger zu sein.