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Volkswagen: Weniger Wolfsburg für mehr VW

Von den großen deutschen Autobauern hatte Volkswagen wohl das bewegteste erste Halbjahr. Besonders der öffentlich ausgetragene Machtkampf an der Spitze des Konzerns hielt die Beobachter in Atem. Vorstandschef Winterkorn wurde durch ein gutes Quartalsergebnis gestärkt, doch zuletzt musste VW wieder stärkere Rückschläge im Absatz hinnehmen. Ein Konzernumbau zur Viererkette soll zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

BÖRSE am Sonntag

Von den großen deutschen Autobauern hatte Volkswagen wohl das bewegteste erste Halbjahr. Besonders der öffentlich ausgetragene Machtkampf an der Spitze des Konzerns hielt die Beobachter in Atem. Vorstandschef Winterkorn wurde durch ein gutes Quartalsergebnis gestärkt, doch zuletzt musste VW wieder stärkere Rückschläge im Absatz hinnehmen. Ein Konzernumbau zur Viererkette soll zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

Volkswagen, das ist Wolfsburg. Und Wolfsburg, das ist Volkswagen. Das gilt nicht nur in der Fußball-Bundesliga, wo der Konzern den Pokalsieger VfL „betreibt“, sondern seit jeher auch in der Automobilbranche. In Zukunft könnte sich das jedoch ändern, denn die Pläne von Vorstandschef Martin Winterkorn zum Umbau des Unternehmens nehmen immer konkretere Formen an. Volkswagen soll einer Schlankheitskur unterzogen und dezentralisiert werden. Bei einer Betriebsversammlung ließ Winterkorn kürzlich verlauten: „Wir müssen und wir werden noch mehr Verantwortung in die Marken und Regionen geben.“ Damit ging der 68-Jährige auf eine zentrale Forderung von Betriebsratschef Bernd Osterloh ein. Osterloh zufolge ermöglichen es die geplanten Maßnahmen, näher an den Kunden zu sein und Produkte bestimmten regionalen Bedingungen anzupassen. 

Zudem sollen die zwölf Marken, darunter Audi, Porsche, Seat und Lamborghini, in vier übergeordneten Segmenten gefasst werden. Entsprechendes hatte die Nachrichtenagentur Reuters von Insidern erfahren. Durch eine Umorganisation allein seien die Probleme von Volkswagen aber nicht zu lösen, resümierten mehrere Analysten im Laufe der Woche. Vor allem die Kernmarke VW leide unter Renditeschwäche und einer zu großen Breite an Modellvariationen. Die von Bernd Osterloh geforderte Optimierung des Baukastensystems müsse schnellstmöglich vorangebracht werden. Momentan wirkt Volkswagen wie ein zu schnell gewachsenes Kind, dem plötzlich die Schuhe zu klein und die Hemden zu eng geworden sind. Das rasante Wachstum der letzten Jahre, für das Martin Winterkorn maßgebliche Verantwortung trägt, wurde offensichtlich nicht mit den nötigen Anpassungen begleitet. Ein neues Outfit ist hier ein erster Schritt in die richtige Richtung, es fehlt aber noch die langfristig optimale Strategie.

VW, der renditeschwache Klotz am Bein von Volkswagen

Dass es immer schneller immer weiter voran gehen muss, dafür ist der hohe Konkurrenzdruck verantwortlich. Die Volkswagen AG ist ein sehr breit gefächertes Markenimperium. Zu beobachten ist das beispielweise in den Geschäftsberichten, wo den Verfassern vor lauter neuen Modellen schon die Synonyme zu vorstellen, präsentieren und zeigen ausgehen. Doch mindestens ebenso vielfältig sind die regionalen Absatzmärkte. Die deutschen Hersteller Daimler und BMW setzen VW mit ihrer ständigen Rekordjagd unter Zugzwang, doch auch in fernen Landen steht der Konzern vor zahlreichen Herausforderungen.

Die Wolfsburger kommen in den USA weiterhin kaum aus der Nischenrolle heraus, verbesserten den Absatz zwischen Januar und Mai aber immerhin um 1,61 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Damit standen rund 241.800 ausgelieferte Fahrzeuge zu Buche. Insgesamt kam Volkswagen in den ersten fünf Monaten auf 4,2 Millionen Verkäufe. Problematisch ist die Lage in Zentral- und Osteuropa sowie Russland, wo die Absatzzahlen jeweils deutlich zurückgingen. Während Westeuropa ein Plus über 6 Prozent lieferte, setzte es in Südamerika ein fettes Minus von 23,3 Prozent. 

Geplanter Konzernumbau: Schafft Volkswagen so den Befreiungsschlag?

In einigen Fällen ist Volkswagen natürlich externen Faktoren unterworfen, wie etwa geopolitischen Spannungen oder Wirtschaftskrisen. Auch mit dem Dämpfer im größten Markt China, wo VW zeitweise nur Steigerung kannte, war über kurz oder lang zu rechnen. Die Schwerfälligkeit des Automobilriesen zeigt sich aber zum Beispiel in Brasilien, wo ganze 30 Prozent weniger Fahrzeuge abgesetzt werden konnten. Eine Schlankheitskur und Dezentralisierung dürfte da genau richtig kommen. Auch Martin Winterkorn selbst, der aus dem Duell mit Piëch gestärkt hervorgegangen war, wird wohl Macht abgeben. Im Spätsommer soll der Aufsichtsrat über die Umbaupläne entscheiden, danach könnte es im Konzernmanagement eine umfangreiche Neuausrichtung geben. Die fahrbaren Untersätze sind längst in aller Welt verteilt, nun folgt ihnen womöglich geteilte Verantwortung. 

Von der Konzernzentrale in Wolfsburg aus wurde der Aufstieg von Volkswagen gesteuert, im letzten Jahr erreichte der Umsatz mehr als 202 Milliarden Euro. Im ersten Quartal 2015 hatte sich dieser Trend noch fortgesetzt, was Martin Winterkorn in der heißen Phase des Machtkampfes sehr zugute kam. Unterstützt durch positive Wechselkurseffekte war der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 10,3 Prozent auf 52,7 Milliarden Euro gestiegen. Doch die jüngsten Absatzzahlen offenbaren erneut die Problematik mit der Marke VW. Heißt die Lösung also tatsächlich weniger Wolfsburg für mehr VW-Verkäufe? Die Finanzwelt jedenfalls hat auf diese Veränderung schon lange gewartet, so der Analyst Zafer Rüzgar von Independent Research. Die Volkswagen-Vorzugsaktie hat seit dem bisherigen Jahreshöchststand über 35 Euro an Wert eingebüßt und notierte am Ende einer turbulenten Börsenwoche zuletzt bei 210 Euro. 

VW-Vorzugsaktien weiter im Abwärtstrend

Sie trägt damit zum allgemein negativen DAX-Klima bei, könnte aber schon bald eine Trendumkehr erfahren. Rüzgar bewertet die Pläne zum Konzernumbau außerordentlich positiv und erhofft sich starke Impulse für den Aktienkurs. Das Kursziel belässt er in einer aktuellen Studie bei 270 Euro, begleitet von einer klaren Kaufempfehlung. Im Hinterkopf werden die meisten Anleger aber noch die Kritik von Ferdinand Piëch haben, der neben der schwachen Rendite der Marke VW auch die Modellpolitik in den USA bemängelt hatte. Erst in den nächsten beiden Jahren wird Volkswagen dort – typisch amerikanisch – mit Geländewagen auf den Plan treten. Besser spät als nie? Michael Horn, US-Chef von VW, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: „Wir werden bis 2017 eine Phase mit begrenztem Wachstum haben, in der wir unsere Position verteidigen müssen.“ Mehr Kompetenzen für ein flexibles Agieren könnte er bald aus Wolfsburg bekommen.

Bis 2018 will Volkswagen natürlich auch noch den Mega-Konkurrenten und Weltmarktführer Toyota überholt haben. In den letzten Jahren hat man mit zahlreichen Zukäufen den Anspruch auf die Spitze bekräftigt. Ehrgeizig ist das Ziel allemal, aber seien wir ehrlich: Wer hat zu Beginn der Saison mit dem VfL Wolfsburg als DFB-Pokalsieger gerechnet? Oder als Tabellenzweiter der Bundesliga? Eine kompakte Viererkette könnte also auch Volkswagen als Grundlage einer effizienteren Konzernstruktur helfen. Den Erfolgsfans unter den Anlegern würde es gefallen.

Marius Mestermann