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Brutaler Rückschlag für die Thyssen-Aktie

Kaum hatten die Anleger nach dem Aufspaltungsentscheid wieder Hoffnung kommt eine Hiobsbotschaft vom Kartellamt. Mutmaßliche Kartellabsprachen bei Grobblech und Qualitätsflachstahl haben bittere Konsequenzen. Die Aktie stürzt ab.

BÖRSE am Sonntag

Kaum hatten die Anleger nach dem Aufspaltungsentscheid wieder Hoffnung kommt eine Hiobsbotschaft vom Kartellamt. Mutmaßliche Kartellabsprachen bei Grobblech und Qualitätsflachstahl haben bittere Konsequenzen. Die Aktie stürzt ab.

Der Industriekonzern Thyssenkrupp rechnet wegen Risiken aus einem Kartellverfahren im Geschäftsjahr 2017/18 kaum noch mit Gewinn. Die Aktionäre reagierten am Freitag mit einem massiven Abverkauf auf die Nachricht. Neben den Risiken für die aktuelle Bilanz (Es drohen Massive Strafzahlungen) sorgen sich die Anleger auch um einen Vertrauensverlust in das Unternehmen und die geplante Aufspaltung des Konzerns. In den laufenden Ermittlungen des Bundeskartellamts hätten sich neue Entwicklungen ergeben, so dass "erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns" nicht ausgeschlossen werden könnten, teilte der Konzern mit. Es sei lediglich ein Überschuss von 100 Millionen Euro zu erwarten, teilte der Konzern am Donnerstagabend nach Börsenschluss in Essen mit. Im Vorjahr hatte das Unternehmen noch 271 Millionen Euro eingefahren - und auch das war damals schon ein Minus von 24 Prozent.

Das Bundeskartellamt hatte bereits einige Firmensitze durchsuchen lassen. Die Preisabsprachen sind offenbar groß dimensioniert. Thyssen treibe die peinlichen Untersuchungen zu Preisabsprachen „mit externer Unterstützung“ voran, heißt es nun eilfertig aus dem Unternehmen. In einem Mitarbeiterbrief (den das Handelsblatt veröffentlicht hat), der von Compliance- und Rechtsvorstand Donatus Kaufmann unterzeichnet wurde, heißt es: „Wir haben diese Angelegenheit von Anfang an sehr ernst genommen und haben mithilfe einer externen Anwaltskanzlei eine eigene interne Untersuchung vorangetrieben.“ Dabei seien Erkenntnisse gewonnen worden, die eine Rückstellung im Konzernjahresabschluss notwendig machten. Es gehe bei dem Korruptionsverdacht um „Altfälle“, so Kaufmann: „Die handelnden Personen arbeiten bereits allesamt nicht mehr in ihren Verantwortungsbereichen beziehungsweise sind nicht mehr im Unternehmen.“

Bereits kurz nach dem Führungswechsel und dem Rücktritt des damaligen Vorstandschefs Heinrich Hiesinger war eine Gewinnwarnung herausgegeben worden, weil sowohl der Anlagenbau als auch der Marineschiffbau schlechtere Ergebnisse ablieferten als erwartet. Bei dem jetzigen Vorgang handle es sich obendrein um „eine Form der Risikovorsorge, zu der wir als Kapitalgesellschaft verpflichtet sind“.

Hinzu kommen weitere Rückstellungen im Bereich der Komponentenfertigung, bei denen es um „Qualitätsthemen“ gehe, teilte der Konzern in der Mitteilung mit. Zudem drückten Belastungen in der Stahlsparte aus dem vierten Quartal den Gewinn: Das dürfte vor allem auf Effekte durch das anhaltende Niedrigwasser im Rhein zurückzuführen sein, das die Belieferung des Werks in Duisburg erschwert.

Als wäre das alles nicht betrüblich genug, kommen nun auch noch kämen im Geschäftsbereich Components Technology – hier seien ebenfalls Rückstellungen gebildet worden – sowie Probleme bei Steel Europe und Elevator Technology. Die Zahlen für das gesamte Geschäftsjahr, das am 30. September abgelaufen ist, sollen wie bislang geplant am 21. November vorgelegt werden.

Im Aufzugsgeschäft werde der Gewinn unter den Erwartungen liegen, heißt es bei Thyssen-Krupp. Erst am Montag war bekannt geworden, dass Spartenchef Andreas Schierenbeck vor der Kündigung steht – auch, weil er hinter dem Rücken des Vorstands einen Börsengang der Aufzugssparte ausgelotet hatte. Die Sparte gilt als Ertragsperle, liegt aber mit einer Ebit-Marge von zuletzt 9,6 Prozent hinter Wettbewerbern wie Kone zurück, die 2017 eine Ebit-Marge von 13,5 Prozent erzielten. Hinter den Kulissen vollzieht sich offenbar ein Machtkampf der starken Bereichsleiter im Konzern.

Damit wird auch die strategische Neuausrichtung des Konzerns erschwert. Der wohl radikalste Umbau in der über 200-jährigen Firmengeschichte - Aufspaltung des Industriekonglomerats in zwei Unternehmen - steht auf der Agenda und ist bereits von den Aufsichtsgremien abgesegnet worden. In einem sollen die Technologiebereiche Aufzüge, Automobilzulieferer und Anlagenbau gebündelt werden, in einem zweiten der Werkstoffhandel und die Stahlproduktion.

An der Börse wurde der Plan zunächst begeistert aufgenommen. Die Aktie des Ruhrkonzerns schnellte von 19,90 Euro kurzzeitig auf bis auf 23,90 Euro empor. Inzwischen ist das alles verpufft. Analysten werden vorsichtig und weisen darauf hin, dass der Aufspaltunsgprozess zwar strategisch richtig sei, aber auch erhebliche Risiken in sich berge.

Der Mann, der den Plan für die Neuaufstellung des Traditionskonzerns entworfen hat, heißt Guido Kerkhoff. Bis zu diesem Sommer war Kerkhoff Finanzvorstand von Thyssen-Krupp. Als dann Vorstandschef Heinrich Hiesinger vor drei Monaten spektakulär zurücktrat, übernahm der 50-Jährige die Leitung des Unternehmens mit seinen 160.000 Mitarbeitern. Kerkhoff sollte den Vorstandsvorsitz nur vorübergehend ausüben, so lange, bis ein dauerhafter Nachfolger für Hiesinger gefunden ist. Nun landete er einen Coup und jetzt muss er auch noch für einen Skandal gerade stehen.

Dabei hat Kerkhoff mit seinem strategischen Plan nicht nur die Aktionäre sondern auch die Gewerkschaften hinter sich. Die IG Metall Nordrhein-Westfalen sieht in der geplanten Aufspaltung von Thyssenkrupp in zwei eigenständige Unternehmen ein Konzept, das die Zerschlagung des Konzerns verhindern kann. "Der Ausverkauf ist damit vom Tisch", erklärte Bezirksleiter Knut Giesler. Das Konzept biete die Chance für alle Geschäftsbereiche, ein "nachhaltiges industrielles Konzept zu entwickeln“.

Es sind die Großinvestoren wie Cevian und Elliott, die seit Monaten auf einen tiefgreifenden Umbau des Konzerns gedrängt haben. Ex-Vorstandschef Hiesinger habe alle seine Ziele für den Konzern verfehlt, kritisierten sie. Hinter vorgehaltener Hand wird ihm nun auch das Kartellamtsproblem noch nachgesagt.
Es bleibe trotz der Kartellamtsproblematik bei dem Aufspaltungsplan, heißt es aus der Konzernzentrale. Unter dem Dach des traditionsreichen Mutterkonzerns, der Thyssen-Krupp Materials heißen soll, bleiben die Geschäfte um den Stahl - alles rund um die Hochöfen, Werkstoffhandel, Weiterverarbeitung von Stahl und Edelstahl. Auch die Marinesparte findet hier ihre neue Heimat. Mit 40.000 Mitarbeitern käme man hier auf einen Umsatz von 18 Milliarden Euro. Wer an das zyklische Stahlgeschäft glaubt, kann sich künftig gezielt für Aktien dieser Gesellschaft entscheiden. Die zweite Hälfte vereint die Industriesparten: die Geschäfte mit Aufzügen, Autoteilen und dem Bau von Industrieanlagen, an denen Thyssen-Krupp Materials AG nur eine Minderheit halten soll. Nach den derzeitigen Zahlen dürfte ThyssenKrupp Industrial ein Geschäft mit 16 Milliarden Euro Umsatz und 90.000 Mitarbeitern vereinen.

Die Idee, aus einem Gemischwarenkonzern schlagkräftige Einzeluntetrnehmen zu machen und so den Wert des Ganzen für Anleger zu erhöhen, haben andere bereits vorgemacht. Vom Metro-Konzern bis zur Deutschen Bank und Bayer, die ihre Kunststoffsparte mit Covestro erfolgreich an die Börse gebracht haben, reicht die Bandbreite der Vorbilder. Siemens spaltet sogar serienweise Geschäftsfelder in Einzelunternhmen ab. Sei es mit Ausgründung wie Infineon und Osram oder über die Fusion der Windkraftsparte mit dem spanischen Wettbewerber Gamesa. Die Medizintechniktochter Healthineers wurde im März mit einem Aktienkurs von 28 Euro an die Börse gemacht. Jetzt notiert das Papier bereits bei 39 Euro. Nicht nur Siemens hat alles richtig gemacht: Auch Anleger, die seit dem Börsengang bei Healthineers dabei sind, freuen sich bereits über ein Plus von mehr als 30 Prozent. Die Aussichten bleiben gut, die Branche wächst und Healthineers ist gut positioniert. Und für den Mutterkonzern Siemens, der noch 85 Prozent der Aktien hält, hat sich die Abspaltung ebenfalls rentiert.

Christian Kames, der Leiter des Investmentbankings von JPMorgan in Deutschland, glaubt, dass es davon mehr geben wird: „Die meisten Spin-offs und Börsengänge von Unternehmensbereichen haben sich sehr positiv entwickelt.“ Manch Aschenputtel wie die Bayer-Töchter Lanxess und Covestro entwickelte sich zur Börsen-Schönheit. Die nächsten Anwärter stehen bereits in den Startlöchern. Volkswagen und Daimler dürften die nächsten sein. In Wolfsburg und Stuttgart wird man genau schauen, wie das nun bei ThyssenKrupp läuft.
Nach dem Schock in Sachen Preisabsprachen werden Anleger erst einmal abwarten müssen, wie sich der Konzern innerlich findet und sich die Geschäfte der beiden Sparten tatsächlich entwickeln. Denn am Ende kann man spalten und abspalten, es zählt aber das Geschäftsergebnis für nachhaltigen Börsenerfolg. Eine einfache Teilung der Geschäfte reicht etwa dem Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Thomas Hechtfischer, noch nicht aus. Das "macht das Geschäft ja nicht profitabler", erklärte er gegenüber Reuters. "Da braucht man schon eine weiterführende Strategie und die sehe ich noch nicht.“ Grundlegende Bedenken hinsichtlich der Ertragsschwäche würden durch Kerkhoffs Pläne nicht ausgeräumt, mahnen auch Experten von Barclays. Und die IG Metall pocht darauf, dass die Aufspaltung ohne betriebsbedingte Kündigungen über die Bühne geht. Viele Fragen sind also noch offen und bedeuten jeweils sich ein Risiko: Die genaue Ausgestaltung der Teilung - wie Transaktionsstruktur, Finanzierungskonzept und die Führung beider Gesellschaften. Auch sei noch unklar, wie Schulden und Pensionsverpflichtungen genau zwischen den beiden neuen Unternehmen aufgeteilt werden, erklärten die HSBC-Analysten. Die Kosten für die Aufspaltung schätzen sie auf rund eine Milliarde Euro. Und nun kommen Kartellstrafen noch hinzu.   

Wim Weimer