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Spotify: Flucht nach vorn

Vor drei Wochen wagte Spotify in New York den Sprung an die Börse. Seither präsentiert sich der Kurs schwankungsanfällig. Viele Investoren schrecken vor der hohen Bewertung zurück. Die könnte sich langfristig aber noch als niedrig erweisen, denn die Schweden haben ehrgeizige Pläne. Mit ganz großer Klappe und einem deutlich verbesserten Gratis-Angebot wagen sie den Angriff auf Google und Youtube.

BÖRSE am Sonntag

Vor drei Wochen wagte Spotify in New York den Sprung an die Börse. Seither präsentiert sich der Kurs schwankungsanfällig. Viele Investoren schrecken vor der hohen Bewertung zurück. Die könnte sich langfristig aber noch als niedrig erweisen, denn die Schweden haben ehrgeizige Pläne. Mit ganz großer Klappe und einem deutlich verbesserten Gratis-Angebot wagen sie den Angriff auf Google und Youtube. 

Es war der bislang vielleicht spannendste Börsengang des Jahres, den Spotify vor rund drei Wochen in New York in die Tat umsetzte. Für nicht wenige sind die Schweden so etwas wie das „Netflix der Musikbranche“, weshalb gleich zu Beginn die Hoffnungen groß waren, der Streaming-Dienst könne auch zum „neuen Netflix an der Börse“ werden. Diese Hoffnungen kamen Gründer und CEO Daniel Ek freilich mehr als recht. Und so unterstützte er sie, indem er Barry McCarthy, der 2002 für den Netflix-IPO verantwortlich zeichnete, als Finanzchef zu Spotify holte.

Der Plan ging auf. Ebenso wie der, nicht per klassischem IPO, sondern per Direktplatzierung ohne die Hilfe von Investmentbanken, an die Börse zu gehen. Auch das hatte zuvor unter Anlegern für ein gewisses Maß an Spannung gesorgt. Am Ende schaffte Spotify mit 27 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung die wertvollste Direktplatzierung der Börsengeschichte, zudem ein Kursplus von zwölf Prozent am ersten Handelstag. Im Anschluss geriet der Kurs ein wenig ins Schwanken. Inzwischen steht er mit zirka 155 Dollar aber wieder deutlich über dem Referenzpreis am Ausgabetag in Höhe von 132 Dollar. An den Eröffnungskurs von 165,90 Euro ist man drei Wochen nach dem Gang aufs Parkett allerdings noch nicht wieder herangekommen.

Wie es für die Aktie weiter geht, dürfte erst einmal unklar bleiben. Spotify unterliegt einer hohen Bewertung, war am ersten Handelstag doppelt so viel wert wie einst Facebook beim Gang an die Börse. Und das soziale Netzwerk hatte damals bereits Gewinne erzielt und ein vielversprechendes Geschäftsmodell aufzuweisen. Spotify dagegen hat bislang in jedem Jahr Verluste geschrieben, ist zudem in hohem Maße abhängig von seinen „Musikzulieferern“, den Labels und damit den Rechtinhabern. Nach Abzug der Gebühren, die Spotify an Sony, Universal und Co. zahlen muss, bleiben dem Unternehmen gerade mal noch 20 Prozent seines Umsatzes übrig. Unter diesem Gesichtspunkt hakt auch der Vergleich mit Netflix. Die Amerikaner nämlich produzieren immer mehr Filme und Serien selbst, werden damit immer unabhängiger von den großen Filmstudios. Negativbeispiele wie Twitter oder Snapchat zeigen zudem recht eindrucksvoll, was passieren kann, wenn man an der Börse mit hoher Bewertung startet und dann nicht zügig aus der Verlustzone herauskommt.

Wie geht's denn nun weiter?

Unter Analysten herrscht daher vor allem eines: Uneinigkeit. Während die Experten von Freedom Finance ihr Kursziel bei niedrigen 80 Dollar setzen, glauben die Analysten bei RBC Capital Marktes an einen Sprung auf bis zu 220 Dollar. Beides erscheint möglich. Ein Investment in die Spotify-Aktie mag aus genannten Gründen ein gewisses Risiko darstellen, jedoch fährt der europäische Tech-Krösus auch eine klare Strategie, die nicht nur nachvollziehbar ist, sondern bei einem Aufgehen auch Erfolg und schwarze Zahlen verspricht.

Spotify nämlich expandiert, koste es, was es wolle. Immer mehr Menschen nutzen das Streaming-Angebot der Schweden. 159 Millionen an der Zahl, davon 71 Millionen über sogenannte „Premium-Abos“, an denen Spotify monatlich einen festen Betrag verdient. Ende 2018 will man eine Gesamtzahl von 200 Millionen Abonnenten erreichen.

Dabei soll nun auch die Neustrukturierung der eigenen Smartphone-App helfen. Bislang war es nur den Inhabern von Premium-Abos vergönnt ihre Playlists auch auf mobilen Geräten abspielen zu können, nun wird diese Funktion frei verfügbar. Die Nutzer müssen nur ein bisschen Werbung über sich ergehen lassen. „Je besser unsere Gratis-Erfahrung ist, desto besser die Chancen, dass die Nutzer später auf unseren Bezahldienst umstellen.“, erklärt Forschungs- und Entwicklungschef Gustav Söderström den Schritt. Zudem könne man nur so die angestrebte Zahl von einer Milliarde Nutzern erreichen.

Damit wagt Spotify den Angriff auf Google und dessen Video-Portal Youtube. Der Silicon-Valley-Gigant plant sein Angebot demnächst ebenfalls in einen Bezahlservice zu verpacken. Durch den Ausbau des kostenfreien Angebots könnte Spotify hier womöglich Nutzer abwerben. Und wer einmal bei Spotify ist, der bleibt dort auch. Zumindest größtenteils. In Sachen Nutzerbindung sind die Schweden Extraklasse. Die Kündigungsrate im Premium-Segment liegt gerade einmal bei 5,7 Prozent. Durch das Streben nach Größe verstärkt sich zudem die Marktpositionierung. Die Musikindustrie wird immer abhängiger von den Schweden. Gut möglich, dass Daniel Ek bald geringere Lizenzgebühren durchsetzen kann.

Hinzukommen dürften eine steigende Anzahl von Premium-Kunden und mehr Werbeeinnahmen, was wiederum Balsam für die Bilanz wäre. Während Spotify die westlichen Märkte klar dominiert, droht allerdings Ungemach aus China. Die Tencent Music Entertainment Group kommt bereits auf 700 Millionen Nutzer und bereitet nun ebenfalls einen Börsengang vor. Als Tencent-Tochter haben die Chinesen zudem einen kapitalstarken Konzern im Rücken. Die Schweden setzt das nicht nur unter Druck, es gefährdet auch deren globale Expansion.

Spannend bleibt es bei Spotify also auch noch nach dem Börsengang. Und nun muss erstmal das neue Konzept aufgehen. Musikfans sollen ab sofort 15 verschiedene Listen erstellen können, die sich in jeder beliebigen Reihenfolge direkt abspielen lassen. Auf „Start“ werden alle Playlists algorithmisch für die Nutzer individuell zusammengestellt, und zwar basierend auf den erkannten Hörgewohnheiten, die sich aus den Daten speisen, die Spotify erhalten hat. Darunter finden sich von Spotify kuratierte Playlists, die unter Titeln wie „Modus Mio“, „Pop Brandneu“ oder „Indie Radar“ firmieren, aber auch beliebte personalisierte Playlists wie „Dein Mix der Woche“, „Dein Release Radar“ und „Dein Mixtape“.

Personalisierung steht an erster Stelle

Mit der kostenlosen App finden Nutzer ihre Playlists sowie neue Musik schneller und einfacher. Spotify personalisiert dabei das Musikangebot vom ersten Tag an. So werden Nutzer bei der Erstanmeldung nach Künstlern gefragt, die sie gerne hören, wodurch natürlich die Listen, die der Dienst vorschlägt, besser zu Geschmack des Hörers passen – aber die Menge an Daten, die die Hörer preisgeben, ist erheblich. Die Playlists werden auf der neu gestalteten Startseite angezeigt, die sich wiederum fortlaufend aktualisiert, basierend auf den aktuellen Hörgewohnheiten – also der neu gewonnenen Daten. Ab sofort können Nutzer auch in der kostenlosen Version mit einem „Gefällt-mir“-Button und einem responsiven Element, das dessen Gegenteil signalisiert, direkt Feedback geben, welche Songs und Künstler ihnen gefallen. Weil Spotify dann noch mehr Daten bekommt, werden auch die Musikempfehlungen und personalisierte Playlists noch exakter. Tippt nämlich der Nutzer auf den Gefällt-mir-Button, fügt er den Song außerdem direkt seiner Favoriten-Playlist hinzu.  Spotify hat zudem einen neuen Datensparmodus entwickelt, der weniger Daten beim Streamen von Musik und Podcasts verbraucht. Die neue kostenlose App ist für iOS und Android verfügbar. Oliver Götz