Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Aktien >

So trotzt Volkswagen der Branchenkrise

Daimler und BMW brechen die Gewinne weg, VW dagegen befindet sich auf Rekordjagd. Der größte Automobilhersteller der Welt könnte im Gesamtjahr neue Bestmarken bei Absatz, Umsatz und operativem Ergebnis setzen. Die Aktie klettert in Richtung Jahreshoch.

BÖRSE am Sonntag

Daimler und BMW brechen die Gewinne weg, VW dagegen befindet sich auf Rekordjagd. Der größte Automobilhersteller der Welt könnte im Gesamtjahr neue Bestmarken bei Absatz, Umsatz und operativem Ergebnis setzen. Die Aktie klettert in Richtung Jahreshoch.

Ausgerechnet Volkswagen, der Konzern, der mit seinen Abgasschummeleien 2015 eine ganze Branche in Bedrängnis brachte und bis heute bringt, ihr einen unumkehrbar scheinenden Imageverlust zufügte, deutsche Ingenieurskunst mutwillig verspottet hat und sich nicht zuletzt selbst dem Abgrund gefährlich nahe brachte, ist auf einmal eine Art letzter Hoffnungsschimmer an dem sich zunehmend verdunkelnden deutschen Industriehorizont. Nicht nur die Automobilbranche schließlich bereitet Sorgen, auch der Chemiesektor scheint in Not. Immer mehr Maschinenbauer warnen darüber hinaus vor einem drohenden Auftragsschwund.

Doch während Daimler, BMW oder Continental zuletzt eine Gewinnwarnung nach der nächsten produzierten, fahren aus Wolfsburg Zahlen an die Öffentlichkeit, die selbst Analysten positiv erstaunen. VW habe im ersten Halbjahr relative Stärke gezeigt, schrieb so NordLB-Experte Frank Schwope in einer ersten Einschätzung nach Vorlage der Zahlen zum zweiten Quartal und dem ersten Halbjahr 2019. Der Konzern, gab sich Schwope zuversichtlich, könnte im Gesamtjahr neue Rekorde bei Absatz, Umsatz und operativem Ergebnis einfahren. Sein Kursziel für die Aktie des nach wie vor größten Autobauers der Welt hob er sogleich von 165 auf 175 Euro an. Bei einem derzeitigen Kurs von knapp 160 Euro entspräche dies zwar nur einem Aufwärtspotenzial von rund sechs Prozent – angesichts der großen Herausforderungen, denen die Branche unterliegt, bleibt man unter Experten vorsichtig – doch was Volkswagen da am Donnerstag an Zahlen präsentiert hat, darf schon aufhorchen lassen.

Kernmarke VW stark – Audi schwach

So stieg der Betriebsgewinn von April bis Juni um 30 Prozent auf 5,1 Milliarden Euro, der Umsatz machte einen Satz um sieben Prozent auf 65 Milliarden Euro. Der starke Gewinnanstieg rührt zwar auch daher, dass im Vergleichszeitraum des Vorjahres hohe Kosten im Rahmen des Dieselskandals anfielen, dennoch darf er als Ausrufezeichen gelten. Gerade, blickt man auf die die operative Marge in Höhe von 7,9 Prozent, was im Branchenvergleich derzeit viel ist. Gemessen an den ersten sechs Monaten des Jahres kletterte der operative Gewinn von 8,2 auf neun Milliarden Euro, ohne Sondereinflüsse wegen des Abgasskandals stünden gar zehn Milliarden Euro zu Buche. Der Umsatz legte um 4,9 Prozent auf 125,2 Milliarden Euro zu. Besonders stark präsentiert sich der Volkswagen-Konzern mit Blick auf seine Kernmarke. Im ersten Halbjahr steigerte VW den Umsatz um 3,4 Prozent auf 44,1 Milliarden Euro, der operative Gewinn legte um fast zehn Prozent auf 2,3 Milliarden Euro zu. Mehr schlecht als recht lief es dagegen bei Premiumtochter Audi. Die Ingolstädter mussten in Sachen Umsatz einen Rückgang von 31,2 auf 28,8 Milliarden Euro ausweisen, der operative Gewinn ging von 2,8 auf 2,3 Milliarden Euro zurück. Ähnlich wie bei Daimler und BMW belastet Audi eine schwächelnde Nachfrage aus China, dazu Produktverzögerungen und der Dieselskandal.

Die Schwäche der Tochter hindert Volkswagen – zumindest für den Moment – jedoch nicht daran an seinen Jahreszielen festzuhalten. Alles in allem rechnen die Wolfsburger mit einem leichten Verkaufsplus, einem Umsatzanstieg in Höhe von fünf Prozent und einer Verbesserung der operativen Marge auf 6,5 Prozent. Keine Gewinnwarnungen also aus Niedersachen, ganz im Gegenteil: Der Konzern ist mal wieder auf Rekordjagd. Zumindest mit Blick auf den Umsatz und den Gewinn. Der Absatz ging im ersten Halbjahr auch bei Volkswagen um 2,8 Prozent auf 5,4 Millionen Einheiten zurück. Damit auch hier am Ende des Geschäftsjahres ein Rekord steht, braucht es schon ein sehr gutes zweites Halbjahr. Und die Herausforderungen durch die globale Konjunkturabkühlung dürften eher mehr, als weniger werden.

Alles in allem jedoch wirkt überzeugend, was VW 2019 bislang abliefert. Wenn Finanzvorstand Frank Witter sagt: „Der Volkswagen-Konzern hat sich im ersten Halbjahr in einem sich insgesamt abschwächenden Gesamtmarkt sehr gut geschlagen“, dann hat er ohne Zweifel recht. Der Erfolg lässt sich so auch am Aktienkurs ablesen. Seit Beginn des Jahres hat das VW-Papier knapp 15 Prozent an Wert zugelegt. Vom Jahreshoch bei 163 Euro aus dem April, ist die Aktie damit nicht mehr weit entfernt. Allerdings ist ihr Kursverlauf bislang ein volatiler. Und es würde wenig verwundern, wenn es bei all den Herausforderungen, denen auch VW gegenübersteht, weniger Schwankungen würden. Der Konzern hat den Abgasskandal noch immer nicht hinter sich gelassen, Tochter Audi steckt jetzt sogar erst richtig tief drin im Schlamassel und der Mobilitätswandel stellt die gesamte Produktion auf den Kopf.

Volkswagen meint es ernst mit der Wende

Für den Moment jedoch scheint es so, als würde es ausgerechnet Volkswagen am schnellsten und erfolgreichsten unter den deutschen Autobauern hinbekommen, diesbezüglich die Wende einzuleiten. Und vielleicht ist es auch ausgerechnet der Dieselskandal, welcher die Wolfsburger im Vergleich und rein finanziell gesehen freilich am härtesten traf, der daran im positiven Sinne „Schuld“ hat. So nämlich stand Volkswagen als erster Autokonzern unter Zugzwang. Einerseits ging es schlicht um die Existenz, Kostensenkungsprogramme mussten her und kamen. Davon profitiert derzeit vor allem die Kernmarke VW. In den kommenden Jahren sollen die Maßnahmen noch intensiviert werden. Gut möglich, dass auch Audi bald strenger sparen muss. Zudem leitete der Konzern seinen Umbau ein und setzt ihn unter seinem neuen Vorstandschef Herbert Diess weiter konsequent um. Erst ging die LKW-Sparte Traton an die Börse, nun will man sich wohl auch von Motorenbauer MAN Turbo und der Beteiligung an Renk trennen. Mit Blick auf die E-Mobilität macht Diess darüber hinaus Nägel mit Köpfen, stellt Werke und Wertschöpfungsketten um. Ebenso lässt er in autonomes Fahren und Carsharing-Angebote investieren. Den Klimawandel ergreift man plötzlich als Chance, will auf Dauer CO2-neutral produzieren. Ob letzteres funktioniert sei einmal dahingestellt, doch VWs Imagewandel hin zum innovativen, zukunftsorientierten Mobilitätsanbieter schreitet damit weiter voran. 

Da all das freilich finanzielle Unsummen verschlingt, profitiert Volkswagen von seiner Konzerngröße. Strauchelt wie jetzt gerade der Premiumsektor, hilft eben VW aus. Vor ein paar Jahren funktionierte das noch andersherum. Und Porsche als zuverlässigen Margengarant gibt es ja auch noch.

Entscheidend mit Blick auf die nun vorgelegten Zahlen dürfte so vor allem eine Erkenntnis sein: Trotz groß angelegtem Konzernumbau, Kostensenkungsprogrammen und Dieselskandal ist Volkswagen auf dem Weg zu einem erneuten Rekordgewinn. Das darf als Demonstration der Stärke gelten. Und macht die Aktie bei einem KGV von 5,9 und einer Dividendenrendite von 4,8 Prozent allemal interessant. Ein Großteil der Analysten empfiehlt sie so auch zum Kauf. Ausgerechnet der Volkswagen-Konzern könnte es damit sein, der die Börsenperformance der deutschen Autohersteller 2019 vielleicht noch aufpoliert.

Oliver Götz

Lesen Sie auch: Airbus bald größter Flugzeugbauer der Welt?