Amazon-Crash: Zurück in Richtung Kursniveau von 2018
Die Aktie des Tech-Giganten erlebt einen der heftigsten Ausverkäufe ihrer jüngeren Vergangenheit. Die hohen Kursgewinne aus der Pandemie sind bald vollständig aufgebraucht. Die weiterhin starke Cloud-Sparte schafft es nicht mehr, die Probleme im Onlinehandel zu kaschieren.
Die Aktie des Tech-Giganten erlebt einen der heftigsten Ausverkäufe ihrer jüngeren Vergangenheit. Die hohen Kursgewinne aus der Pandemie sind bald vollständig aufgebraucht. Die weiterhin starke Cloud-Sparte schafft es nicht mehr, die Probleme im Onlinehandel zu kaschieren.
Die Amazon-Aktie war das Spiegelbild der Corona-Tech-Rally schlechthin. Nach einem kurzen Knacks zu Beginn rasten die Anteilsscheine des weltgrößten Online-Händlers innerhalb von 15 Monaten von 1.785 auf über 3.700 US-Dollar nach oben – ein Plus von 108 Prozent. Für einen bereits zuvor hunderte Milliarden Dollar schweren Konzern war das ein gewaltiger Anstieg. Tech-Euphorie, Online-Handel-Boom, explosionsartiges Cloud-Wachstum, die Ausweitung der Geldflut der Notenbanken – alles spielte Amazon in die Karten.
Allein, im Mai 2022 ist davon nur noch ein Treiber vorhanden. Das Cloud-Wachstum. In der AWS-Sparte konnte Amazon im ersten Quartal des Jahres den Umsatz erneut kräftig steigern – um 37 Prozent auf 18,4 Milliarden Dollar. Das war sogar stärker als von Analysten erwartet. Retten konnte das den Quartalsbericht diesmal aber nicht. Die Herausforderungen in den restlichen Konzern-Sparten, darunter der nach wie vor mit Abstand größte Umsatzbringer, der Online-Handel, sind größer geworden. Im abgelaufenen Quartal stieg der Umsatz von Amazon um neun Prozent auf 116,4 Milliarden Dollar. Das ist das schwächste Wachstum seit der Dotcom-Krise vor mehr als zwanzig Jahren. Besonders enttäuschend für die erfolgsverwöhnten Anleger: Besserung ist erst einmal nicht in Sicht. Auch für das laufende Quartal erwartet Amazon nur schwaches Wachstum und einen Umsatz zwischen 116 und 121 Milliarden Dollar. Das ist weit weniger als Analysten mit im Schnitt 125,5 Milliarden zuvor erwartet hatten. Gleichzeitig brach der Betriebsgewinn von Januar bis März von 8,9 auf 3,7 Milliarden Dollar ein und könnte im zweiten Quartal des Jahres sogar negativ werden. Unter dem Strich stand schon jetzt ein Verlust von 3,8 Milliarden Dollar, da der Konzern, den inzwischen Andy Jassy als CEO leitet, 7,6 Milliarden Dollar auf die Beteiligung am E-Autobauer Rivian abschreiben musste. Neben dem schwächsten Umsatzwachstum seit über 20 Jahren, stand damit auch der erste Netto-Quartalsverlust seit 2015 in den Büchern.
Bei Anlegern kam all das überhaupt nicht gut an. Direkt nach der Zahlenvorlage schickten sie die Aktie tief ins Minus. Eine Gegenbewegung blieb aus. Im Zuge der allgemeinen Verunsicherung am Markt ob der steigenden Inflationsraten, der strafferen Geldpolitik der Fed und den Wachstumsrisiken infolge des Ukraine-Kriegs und den Lockdowns in China, stürzten die Amazon-Papiere weiter nach unten. Nun kosten die Papiere noch etwas über 2.300 Dollar. Innerhalb eines Monats ist der Kurs um fast 30 Prozent eingebrochen und steht nun fast wieder auf dem Niveau von vor Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020. Auch zu den 2.000 Dollar aus dem Jahr 2018 ist es nicht mehr allzu weit. Ein Crash ist das vielleicht noch nicht, aber zumindest eine unerwartet heftige Korrektur.
Amazon kämpft derzeit im Online-Handel, an vielen Fronten. Der war zwar nie großer Gewinnbringer, aber immer ein Garant für Umsatzwachstum, womit sich wiederum andere Projekte im Konzern quer finanzieren ließen. Dieses Modell gerät nun arg ins Wanken. Der von Jeff Bezos gegründete Weltkonzern braucht dringend Mitarbeiter in den Lagern und muss deshalb die Löhne erhöhen. Die aus dem Ruder laufende Inflation in den USA befeuert dies zusätzlich. Ebenso eine Folge der Inflation: steigende Kraftstoffkosten. Das ist für Amazon aus zweierlei Hinsicht ein Problem. Zum einen schmälert es die eigene Marge, da der Konzern deutlich höhere Logistikkosten zu verzeichnen hat. Zum anderen müssen Verbraucher und Kunden mehr Geld beiseite legen und kaufen weniger bei Amazon ein. Infolge der kletternden Inflationsraten droht den USA nun sogar eine Rezession. Mindestens wird es eine Konjunkturabkühlung geben, sind sich viele Experten einig. Das drückt die Kauflaune weiter.
Das große Dilemma: Nutzerwachstum und Preiserhöhungen vertragen sich nicht
All das führt zu etwas, das nicht nur Amazon, sondern die ganze Tech-Branche bislang kaum kannte. Es geht nun darum die Kosten in den Griff zu bekommen und/oder die Preise deutlich zu erhöhen. Ersteres ist nur bedingt möglich und kurzfristig ohnehin schwer machbar. Zweiteres ist nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für Kunden ungewohntes Neuland. Bislang haben die Verbraucher von der Wachstums-Gier der Tech-Branche profitiert. Zehn Dollar für ein Netflix-Abo, das konnte sich fast jeder leisten. Solche Kampfpreise sind nun nicht mehr möglich. Gleichzeitig haben die Kunden weniger Geld im Geldbeutel. Das bedeutet im Umkehrschluss sinkende oder zumindest stagnierende oder sehr langsam wachsende Nutzerzahlen. Netflix hat das bereits zu spüren bekommen. Auf Amazon könnte ähnliches zukommen. Der Konzern hat jüngst die Preise für das Prime-Abo erhöht. Dazu will man eine Art Inflationszuschlag von Händlern verlangen, die die eigenen Lager benutzen. Amazon steckt wie große Teile der Tech-Branche im Dilemma. Wie haushalten in einer Krise wie dieser, ohne zu viele Kunden zu verlieren? Es droht ein Teufelskreis aus immer weiter steigenden Preisen und immer mehr Kunden, die diese nicht mehr zahlen wollen. Anleger scheinen das erkannt zu haben und trennen sich von ihren Anteilen.
Die Analysten immerhin bleiben bislang mehrheitlich positiv gestimmt. JPMorgan-Experte Douglas Anmuth empfiehlt mit einem trotz Kürzung immer noch sehr hohen Kursziel von 4.000 US-Dollar den Einstieg. Die Aktie bleibe ein „Top Pick“, so Anmuth. Er erwarte, dass Amazon dem Kostendruck schon bald besser standhalten könne. Anlegern empfahl Anmuth „in die Schwäche hinein zu kaufen“.
OG
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