Das Bayer-Desaster
Das Glyphosat-Urteil gegen Monsanto lässt die Bayer-Aktie zeitweise um 14 Prozent abstürzen und den Börsenwert um mehr als acht Milliarden Euro schrumpfen. Seit anderthalb Jahren hat sich der Aktienwert halbiert. Der Fall ist hochbrisant, weil das Gerichtsurteil als Musterentscheidung in einem Massenverfahren gilt. Analysten senken ihre Prognosen. Jetzt wird es eng für den Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann
Das Glyphosat-Urteil gegen Monsanto lässt die Bayer-Aktie zeitweise um 14 Prozent abstürzen und den Börsenwert um mehr als acht Milliarden Euro schrumpfen. Seit anderthalb Jahren hat sich der Aktienwert halbiert. Der Fall ist hochbrisant, weil das Gerichtsurteil als Musterentscheidung in einem Massenverfahren gilt. Analysten senken ihre Prognosen. Jetzt wird es eng für den Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann
Der Aktienkurs bricht drastisch ein. Zeitweise fiel er um 14 Prozent, während der Börsenwert um mehr als acht Milliarden Euro schrumpfte. Manch Analyst sieht in Bayer schon einen Übernahmekandidaten. Insgesamt ist der Börsenwert seit dem ersten Glyphosat-Urteil nun schon um 30 Milliarden Euro gesunken. Die Konsequenz: Analysten äußern große Sorge, warnen Anleger und stufen die Papiere des Bayer-Konzerns ab. So auch Analyst Michael Leacock vom Investmenthaus Mainfirst. Nach der in seinen Augen überraschenden Prozessniederlage stufte er die Bayer-Aktie von „Outperform“ auf „Neutral“ ab und strich das Kursziel von 90 auf 60 Euro zusammen. Der Konzern habe keine überzeugenden Argumente, um die Behauptungen des Klägers zu entkräften, erklärte der Analyst. Auch die DZ Bank hat die Aktie von „Kaufen“ auf „Halten abgestuft und den fairen Wert von 85 auf 62 Euro gesenkt. Das Gerichtsurteil zu Ungunsten von Monsanto habe einen neuerlichen Kurssturz ausgelöst. Außerdem sei das Risiko hoch, dass weitere Negativnachrichten folgen, schrieb Analyst Peter Spengler. Immerhin warten über 11.000 Glyphosat-Klagen auf die Leverkusener. Rosige Zeiten sehen anders aus.
Doch der Reihe nach: Eine Geschworenen-Jury in San Francisco hat diese Woche einstimmig entschieden, dass der Monsanto-Unkrautvernichter Roundup mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat ein entscheidender Faktor für die Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung des Klägers Edwin Hardeman sei. Das Opfer hatte das Herbizid 25 Jahre lang auf seinem Grundstück verwendet. Diese Nachricht sorgt an der Börse für einen Ausverkauf der Bayer-Aktie. Für viele Investoren kam die Entscheidung des zuständigen Bundesbezirksgerichts in San Francisco offenbar unerwartet. Viele wären davon ausgegangen, dass die Aufteilung des Prozesses in zwei Phasen Bayers Chancen verbessere, meint Analyst Richard Vosser von der US-Bank JPMorgen. Denn wäre die Jury zu dem Schluss gekommen, dass Roundup nicht für Hardeman Krebserkrankung mitverantwortlich ist, hätte es keine weitere Prozessrunde gegeben. Das Verfahren in San Francisco gilt als „Bellwether Trial“: So werden in den USA Musterfälle genannt, die genutzt werden, um künftige Vergleichsmöglichkeiten zu bestimmen. In einem weiteren Teil des Musterverfahrens soll nun geklärt werden, ob Monsanto über Risiken des Produkts hinwegtäuschte und wie hoch die Schadensersatzsumme ausfällt.
Bereits im August 2018 musste der Konzern eine Schlappe einstecken. Ein Gericht hatte dem Hausmeister Dewayne Johnson zunächst rund 254 Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen, später war die Summe aus formalen Gründen auf 78 Millionen Dollar gekürzt worden. Auch damals brach der Aktienkurs ein. Nun geht der Kursverfall weiter. Während Bayer den Vorfall aus dem Vorjahr noch als Einzelfall abtun konnte, weist das jüngste Urteil des US-Gerichts die Richtung für künftige Entscheidungen.
Hat sich Vorstandschef Werner Baumann verzockt?
Klar ist, die Klagewelle wird Bayer sehr viel Geld kosten. Für Konzernchef Werner Baumann, der die Übernahme des Saatgutunternehmens vorangetrieben hatte, könnte es deshalb nun eng werden. Eigentlich wollte der Manager mit der Übernahme „auf revolutionäre Weise“ dabei helfen, die Welt zu ernähren. Doch der Plan, seine 30-jährige Bayer-Karriere zu krönen und das im DAX notierte Unternehmen zum führenden Agrarkonzern der Welt zu machen ging nicht auf. So ist das eben mit den Revolutionen: Sie lassen sich nur schwer kontrollieren. Revolutionsführer Baumann legt sich dabei gleich mit allen gleichzeitig an: Mit Umweltschützern, weil Monsanto gentechnisch verändertes Saatgut verkauft, auf das Landwirte anschließend Glyphosat spritzen können. Und mit den Aktionären, die etwas gegen die Kapitalvernichtung im Zuge der endlosen Rechtstreitigkeiten haben.
Konnte man das Desaster nicht ahnen?
Sicher konnte man. Doch man, in diesem Fall Werner Baumann, wollte es nicht ahnen. Stattdessen wollte Baumann unbedingt und um jeden Preis möglichst schnell wachsen. Dass das Image von der US-Saatguttochter zum Zeitpunkt des Kaufs sehr schlecht war, wusste er. Und trotzdem wollte er das Unternehmen unbedingt kaufen. In Baumanns Worten klingt das so: „Die Agrarwirtschaft ist eine hoch attraktive Wachstumsbranche, in der eine starke Konsolidierung stattgefunden hat.“ Die Marke Bayer, die „weltweit für Vertrauen und Qualität“ steht, zahlt nun die Zeche. Dabei sollten die Synergieeffekte doch eigentlich andersrum fließen: Das saubere Image der Leverkusener sollte auf die Saatguttochter, die alles andere als ein Öko-Bauernhof ist, abfärben. Vorhaben fehlgeschlagen.
Es ist ein schwerer Schlag für Bayer und seinen Vorstandsvorsitzenden. Baumann hat voll darauf gepokert, dass sich in dem Prozess jene wissenschaftliche Meinung durchsetzt, die davon ausgeht, dass Glyphosat nicht krebserregend sei. Da sich die Jury aber einstimmig für einen Zusammenhang zwischen dem meistverkauften Unkrautvernichtungsmittel und der Erkrankung Hardemans entschieden hat, steckt Baumann weiterhin in einer Verteidigungsschleife – gegenüber den Investoren und einer deutschen Öffentlichkeit, die die Monsanto-Übernahme kritisch sieht. Viele Anleger sind angesichts des Kursverfalls von 33 Prozent binnen Jahresfrist alles andere als erfreut. Bereits im Herbst 2018, als die Bayer-Aktie den ersten Absturz hinnehmen musste, grillten große Fonds den erfahrenen Manager mit der Frage, ob das Rechtsrisiko von Monsanto ausreichend genug geprüft wurde. Baumann bejaht dies unermüdlich. In anderen Worten: „Auch wenn der Druck groß bleibt, bleibe ich ruhig und analysiere die Dinge sachlich.“ Bayer-Aktionäre bleiben in diesen Tagen allerdings alles andere als ruhig – zurecht.
Florian Spichalsky