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Polen 2025: Der übersehene Superstar unter den Börsenmärkten

Polens Börse zündet den Turbo – Anleger feiern Rekordrenditen, doch der große Run hat gerade erst begonnen. (Foto: shutterstock)

Polens Aktienmarkt wächst rasant und schlägt selbst Deutschland. Warum Investoren jetzt nach Warschau blicken.

Europas Börsen erleben derzeit ein ungewohntes Hoch. Wer sich beruflich mit ihnen beschäftigt, äußert sich oft ungläubig – so viel Aufmerksamkeit von internationalen Investoren ist lange her. Der Grund dafür ist kein Rätsel: Gemessen in US-Dollar hat der europäische Stoxx-600-Index im Jahr 2025 um 16 % zugelegt, im Vergleich zu lediglich 3 % beim MSCI World.

Wesentlich überraschender ist hingegen, dass Europas am stärksten steigender Aktienmarkt von vielen Investoren übersehen wurde. Allgemein bekannt ist, dass die Kurse in Deutschland stark gestiegen sind – insbesondere die der Rüstungsunternehmen. Doch der deutsche DAX-Index legte lediglich um 27 % zu (ebenfalls in Dollar gerechnet). 

Polens WIG-Index hingegen stieg um über 40 % und hat sich seit seinem Tiefpunkt im Jahr 2022 nahezu verdreifacht. Still und leise hat sich ein lange stagnierender Markt zum Star Europas entwickelt.

 

„Polen ist das neue Deutschland“, meint Peter Bosek, Vorstandschef der österreichischen Erste Group Bank, die gerade Santander Bank Polska – Polens drittgrößtes Institut – übernimmt.

Der Vergleich passt in mehrfacher Hinsicht. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion – und insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten – hat Polen einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufstieg erlebt, der an Deutschlands Transformation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert. Nach Maßstäben der Weltbank hat Polen die „middle-income trap“ – eine Wachstumssackgasse, die viele Schwellenländer bremst – erfolgreich umgangen und binnen 15 Jahren den Status einer Hochlohnwirtschaft erreicht. 

Laut IWF wird Polens kaufkraftbereinigtes Pro-Kopf-BIP in diesem Jahr das Japans übertreffen. Im Jahr 2005 lag das Einkommen der Polen noch bei 50 % des EU-Durchschnitts; 2025 soll es laut IWF auf 85 % steigen.

Bis vor Kurzem allerdings wirkte sich dieser wirtschaftliche Erfolg kaum auf die Attraktivität des polnischen Aktienmarkts aus. Zwischen 2010 und 2020 bewegten sich die Kurse in Dollar gerechnet kaum. Während der Covid-Pandemie und dem Einbruch von 2022 verhielt sich der Markt analog zu anderen – er geriet ins Taumeln. 

Doch 2023 änderte sich das Bild: Die Polen agierten zum zweiten Mal „wie die Deutschen“ – indem sie ihre populistische, interventionistische und EU-skeptische Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) abwählten.

An deren Stelle trat eine investorenfreundliche Koalition unter Donald Tusk, dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates. PiS hatte unter anderem einen Parteigünstling an die Spitze der polnischen Zentralbank gesetzt, die während des Wahlkampfs 2023 die Zinsen drastisch senkte – trotz einer Inflation von 10 %. Gleichzeitig senkte Orlen, ein PiS-kontrollierter Staatskonzern, auffällig günstig die Spritpreise. Tusks zurückhaltendere Regierungspolitik hingegen hat Polen für Investoren deutlich attraktiver gemacht – und sie hat bisher 21 Mrd. € an EU-Hilfen freigeschaltet, die zuvor wegen der Eingriffe der PiS in die Justiz blockiert waren.

So konnten polnische Aktien in der europaweiten Börsenrallye nicht nur teilnehmen, sondern sie sogar anführen – gerade als Anleger begannen, ihre übermäßige Fokussierung auf US-Märkte zu hinterfragen. Warum nicht in einem mittelgroßen, wohlhabenden Land investieren, das durch fiskalische Impulse und Wiederaufrüstungspläne neues Wachstumspotenzial schafft?

Die Argumente, die viele Investoren nach Deutschland führten, lassen sich auch auf Polen anwenden. Im Jahr 2025 plant Polen, 4,7 % seines BIP für Verteidigung auszugeben – mehr als jedes andere NATO-Mitglied und fast das Doppelte der 2,2 % von 2022. 

Ein Großteil dieser Mittel floss bislang in Importe zur Ersetzung von Ausrüstung, die an die Ukraine geliefert wurde. Doch das wird sich bald ändern, denn Polen baut auch eigene Kapazitäten zur Herstellung und Wartung auf. Die Regierung plant, 50 % ihrer Mittel zur technologischen Modernisierung in im Inland produzierte Ausrüstung zu investieren. Das sollte das Wachstum zusätzlich beschleunigen.

Kurzfristig, so betont Mai Doan von der Bank of America, dürfte Polen auch vom deutschen Wachstum profitieren, das an Fahrt gewinnen soll – durch höhere Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur. Laut ihren Berechnungen überträgt sich das deutsche Wachstum nahezu eins zu eins auf Polen, da es zu höherer Nachfrage nach polnischen Exporten – einschließlich Investitionsgütern und Rüstung – führt.

Zwar gibt es Grenzen für den Kapitalzufluss, denn der WIG-Index hat eine Gesamtmarktkapitalisierung von nur 520 Mrd. Dollar. Doch rund 40 % davon entfallen auf Finanzunternehmen, die besonders gut positioniert sind, um von einer starken Konjunktur zu profitieren. Zudem ist der Markt verlockend günstig bewertet: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei nur dem Zehnfachen der erwarteten Unternehmensgewinne – verglichen mit 15 in Europa insgesamt und 22 in den USA. Bislang verläuft der Aufstieg der Warschauer Börse weitgehend unbeachtet. Rechnen Sie nicht damit, dass das so bleibt.

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© 2025 The Economist Newspaper Limited. All rights reserved.

Aus The Economist, übersetzt von der Börse am Sonntag Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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