Schleudergefahr für die Daimler-Aktie
Vorstandschef Zetsche zieht sich zurück. Die Absatzzahlen schwächeln, und die Dieselkrise belastet. Zusehends werden Schlüsselaktionäre unruhig, der Aktienkurs fällt. Ist das die Chance für einen Einstieg?
Vorstandschef Zetsche zieht sich zurück. Die Absatzzahlen schwächeln, und die Dieselkrise belastet. Zusehends werden Schlüsselaktionäre unruhig, der Aktienkurs fällt. Ist das die Chance für einen Einstieg?
Die Daimler-Aktie hat in einem halben Jahr 20 Prozent ihres Wertes verloren. Zwölf Milliarden Euro an Marktkapitalisierung sind vernichtet und viele Anleger fragen sich - ist die Aktie nun zum Wiedereinstieg reif oder handelt es um das sprichwörtlich fallende Messer, in das man besser nicht hineingreift.
Die Optimisten verweisen auf starke Bilanzzahlen, die Geschäfte liefen nach wie vor gut, die Dividendrendite liege bei fast 7 Prozent. Das Kurs/Gewinn-Verhältnis sei mit weniger als 7 extrem niedrig. Die Netto-Liquidität des Industriegeschäfte liege bei stolzen 14,5 Milliarden Euro. Die jüngsten Quartalszahlen zeigten, das Mercedes-Autos insbesondere in Asien auf weiterhin lebhafte Nachfrage stießen - und das seien die Schlüsselmärkte der Zukunft. In China konnte mit einem Plus von 11% ein Absatzrekord erzielt werden. Südkorea (+9%) und Indien (+34%) verbuchten ebenfalls neue Verkaufsbestwerte. Im ersten Halbjahr 2018 hat Mercedes mehr Fahrzeuge als je zuvor in einem Halbjahr verkauft. Seit Jahresbeginn wurden 1.188.832 Fahrzeuge mit dem Stern an Kunden weltweit ausgeliefert. Kurzum: Es sei Zeit für ein Comeback.
Die Pessimisten warnen hingegen: Der Absatz habe insgesamt seinen Zenit überschritten, in der Dieselkrise kämen ich böse Überraschungen auf Daimler zu und Daimler sehe sich Betrugsvorwürfen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ausgesetzt. Außerdem sei man mit der Entwicklung von Elektroautos zu langsam. Und mit dem Geely-Eigentümer Li Khufu habe Daimler seit Februar einen unangenehmen Großaktionär an Bord. Auch andere Schlüsselaktionäre werden ungemütlich, etwa das Kölner Fondshaus Flossbach von Storch, das mit rund 18 Millionen Aktien etwa 1,8 Prozent der Daimler-Anteile hält. Mit ihrem Investment sind die Rheinländer aber alles andere als zufrieden. Bert Flossbach, Gründer und Chef von Flossbach von Storch, fordert im Handelsblatt eine tiefgreifende Reform der Konzernstruktur. „Man sollte Pkw und Trucks in zwei separate Einheiten trennen“, fordert Flossbach. Die bisherige Struktur sei antiquiert. „Dieser Ansatz dient vor allem dazu, Besitzstände zu wahren und Pöstchen zu verteilen“, befürchtet Flossbach. In seinen Augen gebe es im Vorstand und Aufsichtsrat von Daimler „eine Kultur des Besitzstandswahrens“.
Die Skeptiker befürchten, dass bei Daimler nach den Jahren des Erfolges nun eine Strategiekrise drohe. Der vorzeitige Abgang von Zetsche - der promovierte Ingenieur ist im Mai 65 Jahre alt geworden, regulär läuft sein Vertrag erst Ende 2019 aus - sei daher ein Warnsignal. Tatsächlich heißt es in Daimlers Ad-hoc-Mitteilungder Aufsichtsrat wolle „in Anbetracht der Herausforderungen der Transformation in der Automobilindustrie rühzeitig die Weichen für eine geeignete Nachfolge stellen“. Will heißen: Daimler steht vor tiefgreifenden Veränderungen, die Risiken des Geschäfts steigen.
Zetsche will nach Ablauf einer zweijährigen „Abkühlphase“ den Vorsitz des Aufsichtsrates von Manfred Bischoff übernehmen. Dessen Amtszeit läuft 2021 aus. Zetsches Nachfolger Källenius wurde für eine Amtszeit von fünf Jahren berufen. Markus Schäfer, Bereichsvorstand Produktion und Einkauf bei Mercedes-Benz Cars, übernimmt Källenius' Ressort der Konzernforschung.
Auch Källenius wird um Gewinnwarnungen kaum herum kommen. Ob Daimler, Continental oder BMW. Die Zahl der «Gewinnwarnungen» aus der Autobranche nimmt zu. Ursachen sind der neue Abgasprüfzyklus, Rückrufe und Handelskonflikte. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat allein im August rund 700.000 Mercedes-Autos zurückgerufen. In immer kürzerer Folge werden die Autobosse zu Gipfeln nach Berlin einbestellt, der Ton, den die Politiker dabei anschlagen, wird zunehmend scharf. Die Lösungen in der Diselkrise drohen teuer zu werden. Überrascht sind die Autobauer auch von der hohen Wettbewerbsintensität im Rahmen der Umstellung auf den neuen Abgasprüftzyklus WLTP auf mehreren europäischen Märkten.
Ob die Gewinnmargen beim Übergang in die Elektromobilität gehalten werden können, und wie man sich neuen E-Konkurrenten erwehren kann, wird zur Schlüsselfrage in der Beerteilung der Aktienperspektive von Daimler. Derzeit sieht es nicht so rosig aus, zumal der amerikanische Präsident alles andere als ein Fan des deutschen Premium-Herstellers ist. Im Frühsommer erklärte er nachdrücklich, er wolle keinen Mercedes mehr auf der Fifth Avenue in New York sehen.
So weit kommt es hoffentlich nicht, aber Trumps Handelskriege - insbesondere mit China - belasten schon jetzt die Geschäftsaussichten von Daimler. Ein sicherer Stern für die Börse sieht jedenfalls anders aus. BAS