Carbon – der Stoff, aus dem die Albträume sind
Die Zukunft des Werkstoffes Carbon ist unberechenbar. Für manche ist er das Zukunftsmaterial schlechthin, für andere schlichtweg zu teuer und daher unbrauchbar. Viel berechenbarer scheint momentan die Aktie des Herstellers SGL-Carbon zu sein. Denn ihr Trend zeigt seit Monaten nach unten.
Die Zukunft des Werkstoffes Carbon ist unberechenbar. Für manche ist er das Zukunftsmaterial schlechthin, für andere schlichtweg zu teuer und daher unbrauchbar. Viel berechenbarer scheint momentan die Aktie des Herstellers SGL-Carbon zu sein. Denn ihr Trend zeigt seit Monaten nach unten.
Am Anfang des Jahres wollte SGL Carbon eine neue Ära beginnen. Auf Robert J. Koehler, den Großindustriellen vom alten Schlag, folgte der elf Jahre jüngere Jürgen Köhler, der einen Generationswechsel und die Trendwende im erfolglosen Geschäft einläuten sollte. Ursprünglich war angedacht, dass der alte Firmenboss noch ein Jahr länger im Amt bleibt. Doch dabei soll die größte SGL-Aktionärin Susanne Klatten ein Wörtchen mitgesprochen und auf den jüngeren Nachfolger gedrängt haben. Mit gut 27 Prozent ist sie durch ihre Beteiligungsgesellschaft SKion direkt und mit gut 18 Prozent durch die BMW AG indirekt beteiligt.
Die Aktienperformance von SGL ist mehr als mau. Allein in den letzten drei Monaten hat das Papier mehr als 35 Prozent an Wert verloren. Momentan kann man eine SGL-Aktie zum Schnäppchen-Preis von rund 13 Euro bekommen.
Das ist auch ungefähr der Marktpreis für 100 Gramm Carbon-Fasern. Dabei stoppten die Quartalszahlen für das dritte Quartal einen ersten gewaltigen Abwärtstrend, der die SGL-Aktie Ende Oktober mit rund 12 Euro zum schlechtesten Stand seit neun Jahren gebracht hatte. Nun steuert das Wertpapier genau darauf wieder zu. Fußballfans verbinden den Wiesbadener Konzern mit Augsburg. Denn das dortige Stadion des Bundesligisten heißt seit 2011 SGL-Arena. Gebaut wurde die Sportstätte aber ohne jegliche Carbon-Teile. Zwar gab es ursprünglich Überlegungen des Augsburger Ingenieurbüros Reisch eine Carbon-Fassade zu montieren, doch diese wurde dann aus Kostengründen fallen gelassen.
Dieses Beispiel demonstriert ein Kernproblem des Werkstoffes: Er ist schlicht zu teuer. Das Geschäft der SGL Group ist mannigfaltig und beschränkt sich nicht nur auf den „Zukunftsstoff Carbon“, wie der besonders leichte und stabile Werkstoff gerne bezeichnet wird. So ist ein Hauptgeschäft des Unternehmens die Entwicklung von Grafitelektroden. Diese werden für das recyceln von Stahlschrott zu wiederum neuem Stahl benötigt. Leider stagniert das Interesse am Stahlrecycling in den letzten Monaten und ist sogar leicht rückläufig, wie einige Branchenexperten analysieren.
Denn diese Methode gilt zwar als zukunftsträchtig, die Preise für Stahl aus Erz sind aber in der Vergangenheit so billig geworden, dass kaum ein Stahlhersteller aus finanziellen Gründen Interesse an recyceltem Stahl hat. Und das ökosoziale Image des Stahlrecylings allein veranlasst nur die wenigsten Stahlverarbeiter zum Kauf und bringt SGL daher nicht in die Gewinnzone. Nun möchte der Konzern Personalkosten sparen und trennt sich von insgesamt 1400 der weltweit insgesamt 6000 Beschäftigten. Zwei Werke in Italien und Kanada wurden bereits geschlossen: Die Restrukturierung ist in vollem Gange. Nur die Früchte, die sie tragen soll, sind noch nicht richtig saftig. Immerhin konnte das Unternehmen mit der Umstrukturierung „SGL2015“ seit Beginn des Prozesses mehr als 130 Millionen Euro einsparen.
Vor dem Durchbruch?
Im Rahmen der Neuausrichtung des Unternehmens hat im Oktober 2014 eine Kapitalerhöhung stattgefunden. Dazu sammelte der Konzern satte 267 Millionen Euro bei seinen Anteilseignern ein. Damit will SGL Schulden abbauen und seinen finanziellen Spielraum verbessern.„Wir stehen vor dem Durchbruch“, betont der Vorstandsvorsitzende immer wieder. Kleine Fortschritte sind allmählich auch ersichtlich, aber das große Bild stimmt noch nicht. So musste sich das Wiesbadener Unternehmen in diesem Jahr auch eine Demütigung aus New York gefallen lassen: Im August stufte die amerikanische Rating-Agentur Moodys die Kreditwürdigkeit von SGL Carbon auf B2 herunter. Damit wird ein Investment in dieses Unternehmen als „spekulativ“ und verbunden mit „hohen Kreditrisiken“ eingeschätzt. Mit dieser Bewertung als Grundlage, entscheiden sich wohl die wenigsten potentiellen Anleger für einen Aktienkauf. Der Aktienwert ist eigentlich schon seit Jahren auf Talfahrtskurs. Zwar gab es immer mal wieder Ausreißer nach oben, aber der Negativtrend ist überwiegt.
Ein Zeichen für die Unbeständigkeit der SGL-Aktie ist auch die Tatsache, dass das Papier hin und wieder die Indizes wechselt. In den vergangenen Jahren stieg SGL mehrmals vom S- in den MDAX auf und wieder ab. Momentan befindet sich der Wert wieder im SDAX. Doch das kann sich schnell ändern. Es erinnert einwenig an einen Schuljungen, der manchmal mit den größeren Jungs Fußball spielen darf und dann plötzlich doch wieder zum Murmeln verbannt wird. Die Namensrechte am Augsburger Fußballstadion möchte das defizitäre Unternehmen aus Prestigegründen übrigens weiterhin behalten.
BMW ist Marktführer im Carbon-Verbauen und gleichzeitig Großaktionär bei SGL. Und auch andere Firmen haben nach SGL-Angaben ihr Interesse bekundet. Wieso kann ein großer deutscher Werkstoff-Hersteller dann nicht von der florierenden Autoindustrie profitieren? Das liegt daran, dass bisher kaum ein herkömmliches Auto aus Carbon gebaut wird. Nur wenige Sportwagenhersteller wie McLaren, Lamborghini und Bugatti setzen auf den teuren Werkstoff. Die Karosserie des BMW-Elektroautos i3 ist ebenfalls aus Kohlenstoff-Material gefertigt. Insgesamt gehe der Trend in den nächsten Jahren aber allenfalls zu Hybridbauweisen, also Kombinationen aus Carbon, Aluminium und Stahl, prognostiziert Professor Lutz Eckstein, Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge an der RWTH Aachen. Und selbst das werde sich wohl nur auf einem Nischenmarkt für Premiumfahrzeuge durchsetzen, vermuten andere Experten.
Fazit
Dass Carbon ein wichtiges Zukunftsmaterial sein wird, ist unbestritten. Dennoch schafft es SGL heute noch nicht, Gewinne zu erzielen. Kohlefaserverstärkter Kunststoff ist noch zu teuer, der Herstellungsprozess dauert zu lange und ist noch nicht ausschöpfend industrialisiert worden. Erst wenn sich an diesen drei zusammenhängenden Schwächen entscheidend etwas verändert, kann Carbon zu einem Massenprodukt werden und SGL leichter in die Gewinnzone kommen. Leider ist jedoch der edle Kunststoff nicht die einzige Baustelle des Unternehmens. Baumeister Köhler wird alle Hände voll damit zu tun, aus einem Aktienverlierer des Jahres 2014 einen Börsengewinner für sein zweites Amtsjahr zu gestalten.