Wacker Chemie: Spekulative Käufe erwägenswert
Die wegen der drohenden nuklearen Katastrophe in Japan vielerorts geführte Debatte um den Einsatz der Atomenergie hat auch bei den Investoren den Fokus stärker auf Alternativen gelenkt. Aktien aus dem Bereich erneuerbare Energien wie der Photovoltaik standen plötzlich wieder hoch im Kurs. Vielleicht wird daraus ja mehr als nur ein Strohfeuer. Mittel- bis langfristig dürfte die Solarenergie beim künftigen Energiemix aber wohl in jedem Fall eine große Rolle spielen. Ein Wachstumstrend, der auch vielversprechende Anlagechancen bietet. Interessant könnte beispielsweise die Aktie des Spezialchemiekonzerns und Halbleiterzulieferers Wacker Chemie sein, der jüngst seine vollständige Bilanz 2010 vorlegte, einen positiven Ausblick gab und den Ausbau der Produktionskapazitäten ankündigte.
Das Unternehmen ist jedoch nicht direkt in der von intensiven Preiskämpfen geprägten Solarindustrie tätig, stellt also keine Solarzellen, Module oder Anlagen her. Dennoch profitiert Wacker Chemie von dem Wachstumstrend in der Branche. Schließlich produziert der Konzern mit polykristallinem Reinstsilizium (hochreines Polysilizium) den wichtigsten Ausgangsstoff für den Bau von Solarzellen – gehört dabei zu den größten Herstellern weltweit. Das Geschäft hat Zukunft, was wohl auch durch die jüngst angekündigten Vorhaben zur Ausweitung der Produktionskapazitäten unterfüttert wurde.
Steigender Bedarf
Wacker Chemie will insgesamt 130 Mio. Euro in seine beiden deutschen Standorte investieren. Am Stammsitz in Burghausen soll die Kapazität von 32.000 auf etwa 37.000 Tonnen steigen. Für die gegenwärtig im Bau befindliche Anlage in Nünchritz, die noch vor Jahresende den Betrieb aufnehmen soll, war bislang eine Produktionsleistung von rund 10.000 Jahrestonnen geplant. Dort ist nun eine Kapazität von 15.000 Tonnen vorgesehen. Erste Mengen aus den Erweiterungen sollen 2012 zur Verfügung stehen. Mit dem Ausbau trägt der Konzern eigenen Angaben zufolge dem erwarteten weltweit weiter steigenden Bedarf an Polysilizium Rechnung. Wie er weiter erläuterte, sind in den vergangenen Monaten eine Reihe großvolumiger Mehrjahresverträge mit Kunden aus der Solarindustrie abgeschlossen worden. Diese sehen auch Vorauszahlungen auf künftige Liefermengen vor. Damit sind die laufende Polysiliziumproduktion in Burghausen sowie die bisher geplanten Kapazitäten in Nünchritz und am US-Standort Tennessee bis 2014 nahezu vollständig unter Vertrag.
Wachstumsstark und profitabel
Das Geschäft mit Polysilizium ist im Segment WACKER POLYSILICON angesiedelt. Mit seinem umfangreichen Spektrum an polykristallinem Reinstsilizium, Chlorsilanen und pyrogenen Kieselsäuren zählt es laut Firmenangaben zu den weltweit führenden Herstellern von Polysilizium, das neben der Solar- auch in der Halbleiterindustrie genutzt wird. Vor allem der Absatz an die Solarindustrie ist in den vergangenen vier Jahren besonders stark gewachsen, sodass sich das Segment inzwischen gemessen am Umsatz zur zweitgrößten Säule gemausert hat. 2010 setzte Wacker Chemie hier 1,37 Mrd. Euro um (Konzernanteil: 28,8%). Gleichzeitig ist es das ertragsstärkste Segment. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) lag bei 586,7 Mio. Euro, steuerte damit fast 77% zum gesamten Konzern-EBIT bei.
Breit aufgestellt
Wacker Chemie liefert jedoch nicht nur Polysilizium. Der Spezialchemiekonzern und Halbleiterzulieferer entwickelt und produziert mehr als 3.500 Produkte, die an Kunden in mehr als 100 Ländern geliefert werden. Zu den Erzeugnissen gehören Grundstoffe (Silane, siliconbasierte Öle, Emulsionen, Elastomere, Dichtstoffe, Harze) für die Silikonproduktion, Siliziumwafer sowie Bindemittel, polymere Additive (Dispersionspulver, Dispersionen) und andere feinchemische Produkte. Der größte Teil dieser Produkte basiert auf anorganischen Ausgangsmaterialien, vor allem Silizium und Ethen. Beliefert werden fast alle wichtigen Abnehmerbranchen und die Produkte kommen in unzähligen Dingen des täglichen Lebens zum Einsatz.
Vorteil Verbundproduktion
Wacker Chemie ist aber nicht nur regional und bei den Abnehmerbranchen breit aufgestellt. Der Konzern betont ferner die hoch integrierten Stoffkreisläufe als wesentlichen Wettbewerbsvorteil. Hier kommt das Grundprinzip der Verbundproduktion zum Tragen, in dem anfallende Nebenprodukte aus einem Produktionsschritt als Ausgangsmaterial für weitere Produkte dienen und zudem benötigte Hilfsstoffe in einem geschlossenen Kreislauf bewegt werden. Im Vergleich zu offenen Produktionsprozessen verringern sich dadurch die spezifischen Herstellungskosten. Gleichzeitig sinkt der Energie- und Ressourcenverbrauch.
Rekordergebnisse und Zuversicht
Das Geschäftsmodell von Wacker Chemie sieht somit insgesamt sehr vielversprechend aus. Auch die Zahlen für 2010 mit neuen Rekorden bei Umsatz und Ertrag sprechen eine klare Sprache. Der Konzern konnte damit die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise schneller als erwartet hinter sich lassen und sogar die bisherigen Höchstmarken aus dem Jahr 2008 übertreffen. Der Umsatz kletterte um 28% auf 4,75 Mrd. Euro. Das EBIT schnellte von 26,8 auf 764,6 Mio. Euro. Beim Nachsteuerergebnis konnten nach einem Verlust von 74,5 Mio. Euro im Vorjahr nun mit 497 Mio. Euro Profit wieder deutlich schwarze Zahlen geschrieben werden. Davon sollen auch die Aktionäre profitieren und der Vorstand kündigte eine von 1,20 auf 3,20 Euro je Aktie erhöhte Dividende an. Zudem geht Wacker Chemie mit Zuversicht in das Jahr 2011. Firmenlenker Rudolf Staudigl erklärte: „2011 wird erneut ein sehr gutes Jahr für Wacker werden.“ Etwas Sorge bereiten ihm allerdings die infolge des robusten Aufschwungs der Weltwirtschaft steigenden Rohstoff- und Energiepreise. Für die nächsten Monate rechnet er mit weiter steigenden Rohstoffkosten. Eine der wesentlichen Herausforderungen für 2011 ist es daher, den Kostenschub zu kompensieren. Konkret stellte Wacker Chemie ein Umsatzwachstum auf mehr als 5 Mrd. Euro in Aussicht. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) soll wegen steigender Rohstoffpreise und Kosten für den Hochlauf der neuen Polysiliziumanlagen am Standort Nünchritz auf dem hohen Level des Vorjahres liegen. 2010 hatte sich das EBITDA (1,19 Mrd. Euro) zum Vorjahr fast verdoppelt.
Fazit
Der 2010 mit Rekordzahlen gekrönte wieder aufgenommene Wachstumskurs sollte sich 2011 fortsetzen. Einerseits könnten die Chemiebereiche vom anhaltenden weltweiten Wirtschaftsaufschwung, insbesondere in Schwellenländern, profitieren. Daneben verspricht das Halbleitergeschäft weitere Zuwächse. Hier könnten zudem die Preise für Siliziumprodukte angesichts der Kapazitätsausfälle in Japan anziehen. Mittel- bis langfristig besonders vielversprechend ist ferner das Geschäft mit Polysilizium für die Solarindustrie, das angesichts der jüngst heftigen Diskussion um den Einsatz von Atomenergie verbunden mit der Suche nach Alternativen zusätzlich an Wachstumsfantasie gewonnen haben könnte. Vielleicht hat dies mit zu der jüngsten Kursentwicklung beigetragen. Die Aktie legte in der vergangenen Woche entgegen dem allgemeinen Trend kräftig zu. Sie kletterte über den Abwärtstrend seit Herbst 2010 und scheint auch einen nachhaltigen Bruch vollzogen zu haben. Gelingt es nun, das Zwischenhoch von Oktober 2010 (150,75 Euro) zu überwinden, an dem jüngst bereits gekratzt wurde, könnten zunächst der Widerstand bei 169,64 Euro und später das Allzeithoch von 200 Euro in den Fokus rücken. Insgesamt könnten somit spekulative Käufe erwägenswert sein.