Wie grün ist Siemens noch?
Joe Kaeser reformiert den Technologieriesen im Stile eines großen Architekten. Hier und da werden dabei auch tragende Säulen eingespart und Räume für die Ideen des Vorgängers Peter Löscher verkleinert. So werfen Kritiker Siemens vor, dass mit dem Abgang Löschers auch ein Stück Umweltbewusstsein über Bord gegangen ist. Mit Kalkül?
Joe Kaeser reformiert den Technologieriesen im Stile eines großen Architekten. Hier und da werden dabei auch tragende Säulen eingespart und Räume für die Ideen des Vorgängers Peter Löscher verkleinert. So werfen Kritiker Siemens vor, dass mit dem Abgang Löschers auch ein Stück Umweltbewusstsein über Bord gegangen ist. Mit Kalkül?
In Fachkreisen wird Joe Kaeser auch „Schmelzer“ genannt. Nicht etwa wegen der Ähnlichkeiten mit dem Nationalspieler, sondern viel mehr wegen Kaesers Drang Sparten, Abteilungen oder Berichte zu verschmelzen. So wird es ab Oktober die von Löscher vorgenommene Einteilung in die vier Hauptgeschäftsfelder Energie, Medizintechnik, Industrie sowie Infrastruktur und Städte nicht mehr geben. Auch die bisher 16 Divisionen sollen nun auf neun komprimiert werden. Besonders in der renditestarken Medizintechnik deutet sich ein Umbau an. Schon lange sahen Analysten in der Ausgliederung der Sparte großes Potential.
Nun wagt Siemens zumindest den Börsengang mit der Hörgerät-Abteilung, zu der 4.000 Mitarbeiter gehören. Der Markt für Hörgeräte gilt als Wachstumsmarkt. Ihm wird ein Wachstumspotential von drei bis sieben Prozent pro Jahr zugetraut. Nebst Siemens sind bereits die Branchenbrüder Sonova (Schweiz), William Demant sowie GN Store Nord (beide Dänemark) an der Börse notiert. Grund für die Teilausgliederung der Hörgerätesparte von Siemens ist die Flexibilität, die der Konzern dadurch dazugewinnen möchte. Gerade in einem solchen Wachstumsmarkt müssten sich Unternehmen flexible Bedingungen schaffen, so ein Branchenexperte.
Ebenfalls verschmolzen sind der Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht des Berliner und Münchener Konzerns. Womöglich schmilzt auch dieser Doppelsitz zu Einem zusammen. Niederbayern - (fast) in der Mitte zwischen München und Berlin und gleichzeitig Heimat des Vorstandsvorsitzenden - böte sich vielleicht an. Doch hinter der Vereinigung des Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichtes steckt für Umweltbewusste und Gutmenschen ein alarmierendes Signal. Der im Jahr 2012 noch 76 Seiten dicke Report über vorbildlich grüne Siemens-Themen, wirkt neuerdings nur wie ein Anhang für das gute Gewissen.
Verwunderlich ist der gewagte Schritt zur Distanz von Umwelttechnologien allerdings nicht, wenn man sich die Geschäftszahlen des Konzerns vergegenwärtigt. Denn Auftragsrückgänge im Energiegeschäft von 28 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal des Vorjahres, sind schon beachtlich. Der Energie-Sektor soll künftig übrigens aus den Vereinigten Staaten heraus geleitet werden. Insgesamt erhofft sich Siemens von den Verschmelzungen und Umbauarbeiten eine „zusätzliche Produktivität von rund einer Milliarde Euro“. Über solche Zahlen würde sich wohl jeder Controller ungefähr so freuen wie Angela Merkel über Deutschlandtor in Brasilien.
All die Veränderungen geschehen unter den drei Leitbegriffen „Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung“. Mit diesen markanten Worten möchte Siemens voranschreiten, um weiterhin zu den größten Technologiekonzernen weltweit zu gehören. Von einer „Grünisierung“ ist dabei nicht direkt die Rede. Statt das Portfolio an erneuerbaren Energietechnologien auszuweiten, kaufte Siemens kürzlich das Gasturbinen- und Kompressorengeschäft von Rolls-Royce, um am Wachstum der Öl- und Gasindustrie mitzumischen. Umgerechnet hat sich der Technologieriese dieses Geschäft 950 Millionen Euro kosten lassen.
Das große Pokerspiel um Alstom
Viel einschneidender ist aber noch der geplante Deal mit der französischen Industrie-Legende Alstom: Siemens hat ein milliardenschweres Angebot für den Energiekonzern auf den Tisch gelegt. Zusammen mit Mitsubishi Heavy Industries kontert Siemens ein Angebot von General Electrics (GE), die 12,35 Milliarden Euro für eine Übernahme von Alstom boten. Die Offerte von Siemens und Mitsubishi grenzt sich vom amerikanischen Angebot insofern ab, dass sie ein partnerschaftliches Konzept vorschlägt, bei dem Alstom weitgehend selbständig bleibt.
Siemens hat vor allem Interesse am Gasturbinen-Geschäft der Franzosen, dafür allein bietet der deutsche Technologiekonzern 3,9 Milliarden Euro. Insgesamt soll sich das Angebot von Siemens und Mitsubishi auf sieben Milliarden Euro belaufen. Ganz allein kann Alstom aber nicht über seine Zukunft entscheiden - die französische Politik hat ihre Finger ebenfalls im Spiel. Dafür reiste Siemens-Boss Kaeser eigens nach Paris, um der Regierung und dem Wirtschaftsausschuss der Nationalversammlung das komplexe Angebot zu erläutern. Obwohl GE mehr Geld bietet, könnte Siemens mit Mitsubishi erfolgreich sein. Denn für die Politik hat der Erhalt und Ausbau vieler Arbeitsplätze im eigenen Land sowie die Eigenständigkeit Alstoms oberste Priorität. Die französische Regierung tendiert daher eher zu einer europäischen Lösung. Die Alstom-Führung ist hingegen skeptisch. (Update: Inzwischen hat Alstom sich tatsächlich für die amerikanische Alternative entschieden, auch die französische Regierung steigt mit ein).
Eins ist gewiss: Mit der Übernahme der Gasturbinen-Sparte von Alstom könnte Siemens einen großen, wenn auch nicht grünen, Schritt nach vorne machen. Das deutsch-japanische Angebot ist sehr geschickt, denn Siemens könnte bei aktueller Lage die Sanierung des kompletten Alstom-Konzerns wohl kaum bewältigen. Mit geringem Aufwand könnte es aber gelingen, die Gasturbinen-Sparte zu bekommen, sodass beide Seiten profitieren. Auch wenn Gasturbinen auf den ersten Blick nicht unbedingt nach einer grünen Technologie aussehen, so wirbt Siemens doch damit für eine Energiespartechnik, die Siemens eigens für derartigen Turbinen entwickelt hat und nun verkauft. So konnten nach Konzernangaben schon im Jahr 2012 332 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
„Grüne“ Siemensianer hin oder her. Die Siemens-Aktie ist ein großer Erfolg. Innerhalb des letzten Jahres hat sich ihr Wert um ein Viertel gesteigert. Analysten bewerten die Siemens-Aktie nach wie vor positiv. Die Investmentbank Goldman Sachs hat als Kursziel 110 Euro ausgegeben. Jedoch warnt die Analystin Daniela Costa davor, dass die durchschnittlichen Wachstumsraten der nächsten fünf Jahre nur halb so hoch ausfielen wie die der letzten zehn Jahre. Auf eine angenehmen Dividende von drei Euro können sich die Aktionäre auch in diesem Jahr wieder freuen. Das entspricht bei aktuellem Kurs einer Dividendenrendite von rund drei Prozent.
Fazit
Joe Kaeser, der Schmelzer, muss kräftig Stühle rücken und Abteilungen zusammenschmelzen. 11.000 der über 360.000 Mitarbeiter sind davon betroffen. Dabei geraten grüne Themen ein wenig in den Hintergrund. Doch gänzlich aufgehoben wird Energiewende aus Unternehmenssicht nicht. Seit 40 Jahren gehört Umweltschutz zu Siemens und auch Kaeser wird ihn selbstverständlich nicht vernachlässigen. Denn aus Umweltfreundlichkeit lässt sich heutzutage Profit schlagen. Jede Menge sogar. Und frisches Geld kann Siemens bestens gebrauchen, um beispielsweise kostspielige Übernahmen wie die der Alstom Gasturbinen-Sparte zu finanzieren. Anleger werden mit einer Dividende und dem hohen Aktienkurs belohnt.