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Bescherung für Hasardeure

Diesen Winter wird es den Spekulanten ganz warm ums Herz: Es ist fast die beste aller Welten für Anleihefans. Die jahrelang als langweilig geltenden Papiere, allenfalls Beimischung für wachstumsorientierte Depots, genießen plötzlich höchste Aufmerksamkeit. Schnell und geschickt haben es Investoren geschafft, die Krise und die Krisenmechanismen für sich arbeiten zu lassen. Wer eine 100-Euro-Staatsanleihe zu 70 kaufen kann, zweistellige Renditen kassieren und am Ende sein Geld noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wiederbekommen will, der greift zu im Euroland.

BÖRSE am Sonntag

Diesen Winter wird es den Spekulanten ganz warm ums Herz: Es ist fast die beste aller Welten für Anleihefans. Die jahrelang als langweilig geltenden Papiere, allenfalls Beimischung für wachstumsorientierte Depots, genießen plötzlich höchste Aufmerksamkeit. Schnell und geschickt haben es Investoren geschafft, die Krise und die Krisenmechanismen für sich arbeiten zu lassen. Wer eine 100-Euro-Staatsanleihe zu 70 kaufen kann, zweistellige Renditen kassieren und am Ende sein Geld noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wiederbekommen will, der greift zu im Euroland.

Die Rettungsschirme, die Europäische Zentralbank und die Politik machen es möglich. Es ist wie eine Bescherung für die Hasardeure, die sich in Irland bereichern und schon über Belgien spekulieren: Haben die nicht hohe Schulden? Ist der Staat nicht etwas bröckelig da rund um Brüssel? Höchste Gefahr also einerseits, sichere Rettung andererseits – keine EU-Kommission würde Portugal retten und ihrerseits in einem „failing state“ residieren wollen. Wenn es also gelingt, genügend Panik zu schüren, sollte ein hübscher Gewinn drin sein. Diese Entwicklung zeigt, dass es längst nicht mehr um realistische Risikoprämien geht am Bond-Markt oder gar um fairen Handel. Die Politik lässt sich vorführen, aber was soll sie auch machen? Das Risiko, einen gigantischen Kollateralschaden zu verursachen, wenn man hartleibig den Warnsignalen widersteht, ist einfach zu groß – selbst ein Staatsmann, der nicht wiedergewählt werden will, würde die Gefahr nicht einfach ignorieren wollen, das Unheil über sein Land und Schande über die Währungsunion gebracht zu haben. Deshalb ist jeder schnell bereit, bei den ersten Anzeichen steigender Renditen zur Beruhigung beizutragen –, auch wenn das kontraproduktiv ist. Jede offizielle Äußerung zu Befürchtungen, zu denen aber auch gar kein Anlass bestehe, lässt alles wie gebannt auf den Rauch blicken, zu dem es ja irgendwo auch Feuer geben muss. Schweigt die Politik, wird es als Furcht gewertet. Verspricht sie Hilfe, bestätigt das nur das Ausmaß der Krise. Wägt man das alles gegeneinander ab, bliebe doch am besten nur: schweigen. Aber dies international zum Standard zu machen fällt schwer – es findet sich immer einer, der seine Einschätzung loswerden will. So äußerte sich just zum Wochenende IWF-Direktor Sagun dahin gehend, dass man EU-Staaten nicht pleitegehen lassen werde. Aha. Da ist es wieder: Offenbar gibt es die Möglichkeit, dass die Pleite eines EU-Staates droht. Die dann unter anderem vom IWF abgewendet wird. Wenn es noch einen Beleg für den „moral hazard“ gebraucht hätte, da wäre er. Und ein Investor, der risikolose 8 oder 9% liegen lassen würde, wäre schnell seinen Job und jede Reputation los. So wird sich wohl die Karawane weiter aufschaukeln und was am Ende dieser Hysterie steht, darf man nur ahnen – es müsste ganz schnell eine andere Globalthematik her, ehe die Retter des Abendlandes das Schlimmste heraufbeschwören. Und nein, der Wintereinbruch ist keine Lösung. Denn auch der ist von Konjunkturgurus soeben schon entdeckt worden als möglicher Plattmacher des deutschen Wachstums. Es fehlt tatsächlich ein gnadenlos attraktives, völlig wirtschaftsfreies Thema zum Aufregen. Vorher verlässt uns die Krise nicht.