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Britain go home?

Der veritable Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist kein undenkbares Szenario mehr. Das ist eine erschütternde Feststellung, denn die Briten auf ihrer Insel, die nun gefühlt immer weiter vom Festland wegdriftet, sind und waren doch ein skurriles, aber sehr beliebtes Völkchen und bereicherten die Europäer mit ihrem Humor und ihrem Königshaus, mit schrägen Vögeln und tatkräftigem Großmachtmilitär, das einst Falkland bezwang. Das ging offenbar ganz gut, weil man weiß, wie man Inseln beherrscht, jedenfalls besser als das mit Wüsten und schiitischen Sümpfen gelungen ist, obwohl ja Lawrence von Arabien …

BÖRSE am Sonntag

Nun gut, wir geraten ins nostalgische Schwärmen, das soll hier nicht sein. Aber man erinnert sich: Einst wollten die Deutschen England dabeihaben, zu Zeiten Adenauers, als der Traum von Europa noch gar nichts Albtraumhaftes hatte. Damals sperrte sich Charles de Gaulle und es schien wie ein Witz, dass die frisch besiegten Feinde die Briten hereinholen wollten, diejenigen aber, denen das Vereinigte Königreich mehr oder weniger das Leben gerettet hatte, ihre Vettern von jenseits des Kanals lieber draußen halten wollten. Es bewies alles nur den ewig gültigen Satz, dass Nationen keine Freunde haben, nur Interessen. Nirgendwo sieht man das deutlicher als in den täglichen Irrungen und Wirrungen der EU. Der 7-Jahres-Haushalt der Gemeinschaft erhitzt die Gemüter, und das wohl auch zu Recht, denn dort wird alles teurer. Aber die Brüsseler Spitzen erwarten halt angesichts der Integration stetigen Machtzuwachs; hinzu kommen die vielen (genauer: mindestens 27) Egoismen und dann noch die allseits bekannte Krise. Optimisten nehmen ja an, dass die EU geläutert aus jener Krise hervorgehen wird, aber das sind sehr weitsichtige und abgeklärte Köpfe – dem Normalbürger erschließt sich die strahlende Zukunft derzeit eher nicht. Dem britischen Normalbürger schon mal gar nicht, und der hat einen Draht zu seinem Wahlkreisabgeordneten, der daraufhin bereit ist, seinem eigenen Parteichef im Parlament eine krachende Niederlage beizubringen und ihn wie einen begossenen Pudel nach Brüssel zu schicken. Er soll dort den bekannten Spruch von Margaret Thatcher zu Gehör bringen: „I want my money back“, und man denkt sich förmlich die eiserne Lady dazu, wie sie in Chruchtschow-Manier mit dem Schuh aufs Pult haut. Dafür ist Premierminister Cameron nicht gemacht, für eine Erläuterung, warum die Briten Europa brauchen, aber auch nicht. Es ist aber so. Jenseits der von Strategen bereits entworfenen neuen Kraftlinien in einer EU ohne die Insulaner, mit Schweden und Dänen und Polen und einer neuen Südschiene, drängt sich doch erst einmal der Gedanke auf, dass Großbritannien viel beizutragen hat; dass es gar nicht schlecht ist, eine Prise Marktwirtschaftsradikalismus zumindest im Portfolio der 27 zu haben, und dass die weltweite Bedeutung der Europäer schon von allein schrumpft, da braucht man nicht noch Austritte. Andererseits – auch wenn die emotionalen Aktionen und Reaktionen jeweils Entfremdung zwischen den aneinander geketteten EU-Mitgliedern erkennen lassen: Emotionen helfen ja nicht weiter. Man sollte auch mal in den besseren politischen Kreisen ganz offen schimpfen und wettern und dann das rationale Alltagsgeschäft verrichten. Im Krisenkampf geht sowieso schon so viel verloren, was man eigentlich als Grundsubstanz angesehen hatte. Schade, dass es keine glaubwürdige Simulation gibt, die allen Beteiligten ihr Schicksal ohne Europa vor Augen führen könnte – so bleibt nur der Rückblick, aber der sollte eigentlich überzeugend genug sein.