Der drohende Abweg
In den letzten Zwischenkriegsjahren, in denen in Deutschland freie Forschung und Lehre möglich waren, wurde von Freiburger Nationalökonomen die soziale Marktwirtschaft entwickelt. Über Dietrich Bonhoeffer und Carl Goerdeler gelangte diese Lehre in die Planungen des Kreisauer Kreises unter Moderation der Grafen Moltke und Yorck. „Die Freiburger“ wurden dafür samt und sonders verfolgt, viele von der Gestapo eingekerkert. Später, unter Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, wurde diese soziale Marktwirtschaft zum Leitfaden des Regierungshandelns der jungen Bundesrepublik. Lang, lang ist’s her.
In den letzten Zwischenkriegsjahren, in denen in Deutschland freie Forschung und Lehre möglich waren, wurde von Freiburger Nationalökonomen die soziale Marktwirtschaft entwickelt. Über Dietrich Bonhoeffer und Carl Goerdeler gelangte diese Lehre in die Planungen des Kreisauer Kreises unter Moderation der Grafen Moltke und Yorck. „Die Freiburger“ wurden dafür samt und sonders verfolgt, viele von der Gestapo eingekerkert. Später, unter Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, wurde diese soziale Marktwirtschaft zum Leitfaden des Regierungshandelns der jungen Bundesrepublik. Lang, lang ist’s her.
Die Fragen nach der Wirtschaftsordnung betreffen bei weitem nicht nur Deutschland. Papst Franziskus geißelt das heutige Gebaren mancher Akteure an den Finanzmärkten als ungerecht, unsozial, unsolidarisch. Das ist durchaus nachvollziehbar. Deutschland ist indes, historisch gesehen, daran so unschuldig wie kaum ein anderes Land – der Blick an die Freiburger Universität, damals, um 1930, beweist es eindrücklich.
Doch bleibt Deutschland ein Musterknabe? Der ansteigende Anteil von Beziehern minimaler Löhne, die zu wenig verdienen, um ihren Lebensunterhalt davon zu bestreiten, läßt ebenso Zweifel aufkommen wie die unverkennbarer Hang zu immer mehr Reglementierung. Im großen Koalitionsvertrag, der in dieser Woche von der übergroßen Parlamentsmehrheit beklatscht wurde, hätte man gegensteuern können. Stattdessen kommt der wohlfeile Mindestlohn. Arbeitnehmer sehen höhere Zahlen auf dem Girokonto – ein Erfolg für’s Schaufenster. Denn am Seiteneingang der sozialen Marktwirtschaft, sozusagen im Hinterhof, werden die Schlangen derer größer, die eben nicht teilhaben: weil sie am unteren Ende der Lohnskala wegrationalisiert wurden. Die Prognose, dass das, was sie SPD als „sozial“ apostrophiert, eine starke unsoziale Nebenwirkung haben wird, ist nicht von der Hand zu weisen, zumal nun wohl damit zu rechnen ist, dass ein vorweihnachtlicher Erzengel Gabriel im Bundeswirtschaftsministerium einschweben wird – mit Vornamen heißt er übrigens Sigmar. Und wes Geistes Kind er ist, hat die bravourös und couragiert fragende ZDF-Moderatorin Marietta Slomka am 28. November vor großem Publikum klargelegt.
Doch Gabriel will mehr. Die eventuelle radikale Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft durch den Koalitionsvertrag nur aufgeschoben. Niemand weiß, wie lange. Die SPD hat unmissverständlich angekündigt, was sie tut, falls die große Koalition platzt: sie verhandelt offen in alle Richtungen, auch mit der SED-Nachfolgeorganisation, deren Akteure heute nur noch einfach „Linke“ sein wollen. Als Oppositionsführer übernimmt Gregor Gysi, als DDR-Jurist einschlägig bekannt, derweil die Rolle, die ab sofort für die SPD koalitionsfähige „Linke“ weiter hoffähig zu machen – falls es dessen noch bedarf.
Ja, das ist das eigentliche Dilemma für die Bundeskanzlerin, aber mehr noch für diejenigen, die als Arbeitgeber in diesem Lande verantwortungsvoll Arbeitsplätze schaffen: sie alle haben mit der SPD einen unsicheren Kantonisten, der am Steuerrad der Macht dreht. Darin liegt eine bedeutende Problematik dieser Tage.