Die Bundesmelkmaschine
Es ist faszinierend zu sehen, wie der Kampf um Mittel der nördlichen EU-Länder neue Fronten, neue Verbündete schafft in Europa. Das gemeinsame Interesse mag bei einigen tatsächlich der Erhalt der Gemeinschaft sein, aber über den Tag hinaus denken sicher auch viele schon allein, um bestehende, durchaus vertraute Strukturen zu erhalten. Die gemeinsame Haftung ist ja seit dem Machtwort der EZB zu ihren geplanten Anleihekäufen mehr oder weniger festgezurrt und wird erst wieder in die Diskussion geraten, wenn es ans Bezahlen geht. Dann aber sicherlich sehr vehement, denn mancher wird erst da aufwachen und sehen, dass mitgefangen auch wirklich mitgehangen bedeutet. Bisher ging es glimpflich ab, und, man muss es der Fairness halber sagen, die betroffenen Länder von Griechenland bis Irland haben massive Lasten geschultert, um den Weg aus dem Schlamassel zu finden. In Portugal mussten Staatsdiener auf 30%, Rentner auf 15% ihres Einkommens verzichten. Weder in Deutschland wäre so etwas ohne Bürgerkrieg zu machen noch erst recht in Frankreich, wobei in Frankreich etwas Ähnliches durchaus nötig werden könnte, in Deutschland zum Glück wohl nicht.
Die harten Unterschiede innerhalb der EU sind historisch bedingt und werden auch so schnell nicht überwunden werden. Innerhalb der Bundesrepublik haben wir die Gemeinschaftshaftung aber schon seit Jahrzehnten und im Alltag regt sich kaum jemand auf – bis vor einigen Jahren. Da lief die Sache aus dem Ruder. Ähnlich wie in der EU, auch deren demografischer Entwicklung sehr ähnlich, zahlten immer weniger sogenannte Reiche für immer mehr Arme. Bei uns heißt das „Angleichung der Lebensverhältnisse“ und das Gebot dafür findet sich (nur indirekt) im Grundgesetz. Den Verfassungsvätern und ihren Interpreten vom Gericht in Karlsruhe schwebte ein Schreckgespenst vor Augen: Arme Agrarländer mit rückständigen Strukturen vereint in einem Staate mit wohlhabenden Industriestandorten, jeder Urlaubstrip eine Zeitreise. Der Länderfinanzausgleich war die Lösung und ist heute das Problem. Inzwischen zahlen drei Länder für den Rest im Jahr etwa 8 Mrd. Euro. Hamburg, einst sprichwörtlich für die reichen Pfeffersäcke, hat sich aus der Spendengala jüngst verabschiedet. Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zahlen weiter, es ist wie bei den zehn kleinen Negerlein: Jedes Jahr fehlt einer mehr. Nun wollen Hessen und Bayern dagegen klagen, dass sie jährlich mehr abdrücken müssen. Denn die „Angleichung der Lebensverhältnisse“ kann ja wohl nur eine Annäherung bedeuten. De facto aber leben manche ganz gut mit gebremstem eigenen Schaum, was die heimische Sanierung angeht, von den Zuschüssen anderer: Schlemmen ohne Reue? Man könnte diesen Eindruck gewinnen, wenn man sieht, dass beispielsweise Berlin jedes Jahr den Gegenwert eines nicht funktionierenden Flughafens kassiert und damit weiteren Unsinn anstellt. Die Kernfrage in Hessen: Warum kann das Empfängerland Rheinland-Pfalz kostenlose Kinderbetreuung anbieten, das Geberland Hessen nebenan muss sich so etwas aber verkneifen und überweist stattdessen? Das ist die Krux mit der Solidarität: Man gibt gerne, wenn eigenes Bemühen um Besserung auch beim Empfänger zu sehen ist. Der Anreiz dafür ist in unserem System nicht da – die Eurozone ist da fast schon weiter. Höchste Zeit also, dass das Bundesverfassungsgericht ein paar Pflöcke einschlägt. Am besten auch noch zügig, ehe die letzten drei Musketiere selbst k. o. sind.