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Die vielen Chinas

Es gibt nur eine Sorte Leute, die weiß, was ihr blüht: die Gärtner. Alle anderen müssen hilflos herumraten und bestenfalls über den grünen Daumen gepeilt annehmen, was so kommt. Früher beschäftigte man im Umgang mit dem Ostblock regelrechte Wahrsager und Polit-Auguren, um aus dem Rauschen des Windes in der großen Halle des Volkes zu ermitteln, wohin die Reise geht.

BÖRSE am Sonntag

Heute liefert die Kommunistische Partei Chinas, die erst ihren 18. Parteitag abhält und somit kaum Übung hat, eine relativ klare Analyse dessen, was sein wird und was ist, nicht hingegen, was war. So weit geht die Offenheit dann doch nicht. Aber wenn man die Prämisse einfach mal akzeptiert, nämlich die, dass der Sozialismus ewiglich währt und westliche Normen keine Chance haben, im Riesenreich derer zu Hu und Wen und ihrer Nachfolger, dann kann man eigentlich ganz entspannt analysieren. Sicherlich, man ist hier pikiert über den Beharrungswillen der Kader, wobei sich eigentlich weder „FAZ“ noch „Welt“ noch sonst jemand groß wundern sollte, denn andere beharren mindestens genauso, kommen aber weit weniger gut voran. Also, mal angenommen, der Sozialismus bleibt, wie ja auch die Berliner Mauer, bis ans Ende aller Tage, dann fällt zunächst auf, dass da etwas beschworen wird, was entweder noch nie da war oder was sich irgendwie im Laufe der Jahre davongestohlen hat. Was für ein Sozialismus soll das denn sein? Eine reiche Oberschicht, badend im Golde des eigenen Glanzes und im Glanze des eigenen Goldes, die alles zusammengerafft und in Amerika angelegt hat, was man halt so braucht, und ansonsten in der Hoffnung lebt, nach dem Abtritt von der Bühne nicht noch irgendwie gemetzelt zu werden (so wie Bo Xilai, den es erwischte und der neben dem Rauswurf aus dem Politbüro nun auch noch vor den Richter kommt). Es gebe Korruption und Selbstbedienungsmentalität, sowie „Formalismus“: Der scheidende Parteichef beklagt damit auch typisch westliche Unwerte, wobei man Formalismus mit Behördenwillkür und Schikane übersetzen darf. Auch zu viele unsinnige Projekte würden finanziert – da schütteln Wowereit und Platzeck leise lächelnd und wissend das Haupt: Oh du geheimnisvolle östliche Weisheit!

Die Folgerungen aus den Missständen, die es der jetzigen Führungselite nicht vergönnt war zu beheben, sind weder westlich noch östlich, sondern erst mal vernünftig: Mehr Rechtssicherheit, mehr Kontrolle der Funktionäre, eine gleichere Verteilung des künftig angestrebten bescheidenen Wohlstands für alle. Da war kein Sozialismus und da kommt auch keiner – man muss die autokratische Herrschaft immerhin zusehends jünger werdender parteigebundener Männer schon anders bezeichnen, aber wenn sie nun mal Wert darauf legen, warum nicht Sozialismus. Hat ja jeder so seine Marotten. Was wir uns merken sollten: China kommt mit Macht aus dem Feudalismus in die moderne Autokratie und hält sich selbst vermutlich für eine wohlmeinende Diktatur eines gütigen Proletariats. Das sind Voraussetzungen, um vom Billigproduzenten und Raubkopierer zur echten Wirtschaftsmacht (und das mit ordentlich Militär) zu werden. Demokratie braucht sehr lange und ist immer „work in progress“. So ähnlich haben es ein paar Außenseiter und Hinterwäldler angegangen, so etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts, nur schlechter organisiert. Es gab Kriegsgräuel, Gesetzlosigkeit, Verfolgung und Hybris, aber heraus kamen die Vereinigten Staaten von Amerika.

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