Es bröckelt
Dies ist die gefühlt 100. Kolumne, die sich mit der Finanz- und Schuldenkrise beschäftigt. Bei der verzweifelten Suche nach anderen Themen blieb bislang die Krise stets Sieger: Wen kümmern die Ertragsnöte bei Air Berlin? Wem bereitet die Malaise des britischen Königreichs schlaflose Nächte? Wer interessiert sich noch für die bröckelnde Wirtschaftskraft der USA? Richtig, kaum jemand.
Dies ist die gefühlt 100. Kolumne, die sich mit der Finanz- und Schuldenkrise beschäftigt. Bei der verzweifelten Suche nach anderen Themen blieb bislang die Krise stets Sieger: Wen kümmern die Ertragsnöte bei Air Berlin? Wem bereitet die Malaise des britischen Königreichs schlaflose Nächte? Wer interessiert sich noch für die bröckelnde Wirtschaftskraft der USA? Richtig, kaum jemand.
Obwohl das zu anderen Zeiten echte Krisenherde wären – zu anderen Zeiten eben. Die Eurozone beherrscht das Geschehen. Wobei die gut gemeinten, aber keineswegs guten Ratschläge aus Washington zum Beispiel die Sache nicht besser machen: Da müsste man schleunigst vor der eigenen Tür kehren, dann würde der Finanzmarkt schon ein wenig neues Vertrauen gewinnen. Ein Präsident Obama, der immer mehr einem Land vorsteht, das in puncto Infrastruktur einem der Dritten Welt ähnelt, hätte wahrlich genug zu Hause zu tun. Unser Zuhause aber ist eben Europa. Und da wir davon profitieren, geht uns das Schicksal der Nachbarn enorm an. Eine Art Offenbarungseid war in der vergangenen Woche die Auktion spanischer Anleihen. Mit knapp unter 7% Rendite und noch dazu nicht ausgeschöpftem Volumen hat die Regierung einen Flop gelandet. Macht nichts, denn sie wird am heutigen Sonntag vermutlich ohnehin abgewählt. Aber so einfach ist es nicht. Denn Spanien hat seine Hausaufgaben gemacht und wird dennoch gnadenlos abgestraft. Warum? Die wirtschaftlichen Kennzahlen sind, bis auf die enorme Arbeitslosigkeit, durchaus respektabel. Die Reformen greifen, die Immobilienkrise wird langsam, aber sicher überwunden. Die Finanzmärkte, und das ist vielleicht des Rätsels Lösung, geben den Ländern nicht die Zeit, die sie benötigen. Da müsste ein neuer Denkansatz greifen: Wir brauchen Zeit. Zeit, die momentan im Finanzsektor im Millisekundentakt nicht mehr zählt. Schnelligkeit geht vor Sorgfalt: Das ist ein Prinzip, das Finanzmärkte in einen fundamentalen Widerspruch zum Leben und Wirtschaften der Menschen bringt. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Die Finanztransaktionen haben mit der Lebensweise der Menschen, auch jener, die in der Finanzindustrie arbeiten, kaum noch etwas zu tun. Die Politik täte gut daran, sich einmal intensiv mit diesen Widersprüchen zu befassen, auch wenn das kurzfristig keine Wählerstimmen bringt und dem Publikum schwer zu vermitteln sein wird. Der Lohn aber wird kommen: in Form von neuem Vertrauen, in Form von Mitnahme weiter Bevölkerungskreise und nicht zuletzt in Form von neuem Zutrauen der Finanzmärkte in die Stabilität des europäischen Hauses. Wie viele schlimme Schlagzeilen brauchen wir noch, damit dies allgemeiner Konsens wird? Ohne solche Maßnahmen, das sollten wir wissen, bröckelt alles, und vor allem die Zuversicht.