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Geschäft und Moral

Der Souverän hat gesprochen. Eine große Koalition der Wählerschaft hat eine Bundesregierung gewollt, die in sozialen Fragen Augenmaß walten lässt. Das war offenbar noch wichtiger als die Frage nach der ratio an den Finanzmärkten und in Währungsfragen. Sonst hätte die FDP stärker reüssieren müssen, trotz aller Stockfehler der vergangenen Jahre. Und wenn die ängstlichen Stammtische landauf, landab es wirklich gewollt hätten, dann hätte die AfD die Fünfprozenthürde spielend genommen. So scheint die wichtigste Botschaft tatsächlich zu sein, dass wirtschaftliche Prosperität gewünscht wird, aber nur in Verbindung mit sozialem, moralisch vertretbarem Handeln. Eine große Koalition der Werte.

BÖRSE am Sonntag

Der Souverän hat gesprochen. Eine große Koalition der Wählerschaft hat eine Bundesregierung gewollt, die in sozialen Fragen Augenmaß walten lässt. Das war offenbar noch wichtiger als die Frage nach der ratio an den Finanzmärkten und in Währungsfragen. Sonst hätte die FDP stärker reüssieren müssen, trotz aller Stockfehler der vergangenen Jahre. Und wenn die ängstlichen Stammtische landauf, landab es wirklich gewollt hätten, dann hätte die AfD die Fünfprozenthürde spielend genommen. So scheint die wichtigste Botschaft tatsächlich zu sein, dass wirtschaftliche Prosperität gewünscht wird, aber nur in Verbindung mit sozialem, moralisch vertretbarem Handeln. Eine große Koalition der Werte.

Was angesichts der Bundestagswahl nur am Rande wahrgenommen wurde: die Moral rückt zunehmend ins Blickfeld – gerade auch international. Zwei Bücher, die von den jeweils Gläubigen nicht nur als heilig, sondern vor allem auch als moralische-soziale Richtschnur gesehen und gelebt werden, haben die Wirkung entfaltet, die bei buchstabentreuer Lektüre nicht überrascht. Hier die Bibel, dort der Koran – hier Franziskus’ Worte zur Barmherzigkeit, dort das Drama von Nairobi, die Anschläge auf Kirchen in Ägypten und Nigeria und Pakistan, aber auch – und nicht zuletzt! – die innerislamischen Bombenanschläge im Irak und Syrien. Dies ist eine Momentaufnahme, gewiss. Aber eine immer wieder unbestritten auftretende  Kohärenz zwischen Lehre und Wirkung ist es, die hier wie dort aufhorchen lässt. Es gibt weltweit eine äußerst stark divergierende Interpretation von Markt und Moral, und es gibt eine Kongruenz zwischen der jeweiligen religiösen Mehrheitsprägung des betreffenden Lands. Das tangiert die Finanzmärkte unmittelbar, auch wenn hier zwar die Moral, nicht aber die Religion eine Rolle spielen sollte.

In Nairobi war es eine Shopping-Mall, die angegriffen wurde. Gezielt wurde Menschenjagd auf Nicht-Muslime gemacht. Parallelen tun sich auf. Aus Al-Qaida-Kreisen wurde nach den Anschlägen vom 11. September kolportiert, man habe das Herz der westlichen Welt angegriffen. Die Einkaufsmeile in der kenianischen Hauptstadt war glitzernder Konsumtempel, lokaler Leuchtturm des Kapitalismus mit Strahlkraft bis in die Nachbarländer. Was folgt, letzten zwei Jahrzehnte weltweit bedenkend, daraus? Die prinzipielle Frage nach der Moral beim Fortbestehen internationaler Finanzmärkte ist gestellt, erneut, dringlicher als zuvor. Es ist, ganz anders buchstabiert, eine Frage nach der Moral. Auch aus Rom kommt eine solche Frage. An den Finanzmärkten sollten folgende Überlegungen bald zu Ergebnissen führen: Wie viel weltweite soziale Balance tut not? Werden hier keine zuträglichen Antworten gefunden, wird das Mitarbeiter von großen und kleinen westlich geprägten Firmen das Leben kosten.

Wenden wir den Blick zurück nach Berlin. Auch das Ergebnis der Bundestagswahl deutet, unter völlig anderen Vorzeichen, in eine ähnliche Richtung. Die soziale Frage wird angesichts der theoretischen Mehrheit, die das linke Lager im Bundestag nun hat, die Gretchenfrage bei den Koalitionsverhandlungen sein. Die „Moral“ – sie ist auch bei uns das Thema dieser Zeit.