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Hilfe, Gedankenkurzschluss!

Agrarrohstoffe werden weltweit teurer. Daran sind nur die Spekulanten schuld. Die verdienen am Elend anderer. Ende der Meldung.

BÖRSE am Sonntag

Agrarrohstoffe werden weltweit teurer. Daran sind nur die Spekulanten schuld. Die verdienen am Elend anderer. Ende der Meldung.

Man sollte, ja man kann sich nicht darauf verlassen, dass in der öffentlichen Debatte nachgedacht wird, ehe eine Botschaft, ein Kommentar, eine Meinung das Licht der weiten Welt erblickt. Gedankenkurzschlüsse haben seit jeher ihre ganz eigene Verlockung und offenbar nimmt diese mit dem Trend zu immer schnellerer Verbreitung von Informationen zu. Eigentlich paradox, doch in dem Wort „schneller“ steckt auch schon die Erklärung: Man nimmt sich auf Autorenseite oft nicht die Zeit, Dinge zu durchdringen, auch im Journalismus nicht, und bedient damit – leider nur teils ohne es zu wollen – bereits vorhandene Vorurteile und abgespeicherte Halbwahrheiten. Und der Konsument, der Nachrichtenkonsument, kann ohne eigenen weiteren Zeitaufwand das Gelesene und Gesehene abspeichern als „verstanden“. Kein Wunder. Es passt ja alles so gut ins Weltbild.

Wenn ein Potenzial für moralische Empörung drinsteckt, wird auch das Volk der Dichter und Denker zur Furie. Nahrungsmittel! Spekulation! Hunger! Die logisch daherkommende Mutmaßung, dass das eine vom anderen kommt, ist fast schon Standard in der veröffentlichten Meinung. Genau wie man immer wieder lesen kann, selbst in Leserzuschriften angesehener Magazine, dass es „der Börse gut geht, wenn es den Menschen schlecht geht“. In solchen Plattheiten steckt allerdings dermaßen viel Nonsens, dass man versucht ist, den Urheber der Aussage als verloren für den Diskurs zu betrachten: Die Behebung all der Gedankenkurzschlüsse, die dahinter stecken, würde einen enormen Energie- und Zeitaufwand erfordern. Und gliche einem Kampf gegen die Hydra – Beispiel: Wie falsch auch immer der Begriff „Neoliberalismus“ seit einigen Jahren verwendet wird, vor allem von Leuten, die keine Ahnung haben, wovon sie reden – es wäre völlig aussichtslos, diesen den Usurpatoren wieder entreißen zu wollen und ihm seine angestammte Bedeutung zurückzugeben. Die Masse ist stärker. Die echten Neoliberalen müssen sich umbenennen.

Nun besteht beim Thema „Nahrungsmittel und Geld“ noch eine kleine Chance. Man kann da nämlich in mühevoller Kleinarbeit vieles nachweisen: Dass der Hunger vor allem in Afrika großteils den herrschenden Diktatoren geschuldet ist (weshalb es in einigen afrikanischen Staaten auch keinen Hunger gibt, dort nämlich, wo mal kein Irrer das Land regiert). Man kann nachweisen, dass die Agrarpreise bis zum Ende des 20. Jahrhunderts fast ständig nur sanken – bis der Gegentrend kam mit dem Aufstieg von Entwicklungs- zu Schwellenländern und dem Bevölkerungswachstum. Man kann nachweisen, dass der staatlich und international verordnete Schwachsinn der Spritgewinnung auf dem Acker die Nahrungsmittelproduktion verdrängt, weil er künstlich lukrativer gemacht wird, und dann bei einer Dürre keine Reserve mehr da ist. Man kann nachweisen, dass hohe Energiepreise die Nahrungsmittelproduktion verteuern und dass die sogenannten Spekulanten nur 1% der Welternte überhaupt mit ihren Geschäften abdecken. Man kann noch viel mehr nachweisen, nur – es könnte so kommen wie beim „Neoliberalismus“: Die Vernünftigen geben irgendwann auf und sind einfach still.