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Insel im Sturm

Während uns die spanische Krise beschäftigt, die italienischen Sorgen und die griechischen Aufräumarbeiten, schleicht sich der Wahnsinn ins Lokale ein und zeigt uns, wie machtlos der Mensch gegenüber den selbst geschaffenen Regulierungen ist. Selbst im ganz Kleinen geht schief, was nur schiefgehen kann, und wer wollte da noch Hoffnung haben, dass die Rettung eines ganzen großen Kontinents gelingt?

BÖRSE am Sonntag

Während uns die spanische Krise beschäftigt, die italienischen Sorgen und die griechischen Aufräumarbeiten, schleicht sich der Wahnsinn ins Lokale ein und zeigt uns, wie machtlos der Mensch gegenüber den selbst geschaffenen Regulierungen ist. Selbst im ganz Kleinen geht schief, was nur schiefgehen kann, und wer wollte da noch Hoffnung haben, dass die Rettung eines ganzen großen Kontinents gelingt?

Der Fall ist nämlich der: Auf einer Insel im großen Strom, dem Rhein, ist man neuerdings (fast) abgeschnitten von der Welt und diese Tatsache hat sich so unvermeidlich entwickelt wie die Verschuldung Südeuropas. Das Inselchen heißt Rettbergsaue, gut drei Kilometer lang und bis zu 400 Meter breit, 68 Hektar Landschaft im Fluss zwischen Wiesbaden und Mainz, geschätzt als Naherholungsgebiet. Es finden sich darauf seit Menschengedenken Campingplatz, Freizeitgelände, Strandbad und mehr. Man reist an in einer mehrminütigen Schifffahrt von Wiesbaden aus oder zu Fuß über eine Wendeltreppe, die vom Fußgängerweg seitlich der Autobahnbrücke abgeht, welche den Rhein hier überquert. Doch der Zugang, er ist nicht mehr. Alle, nun ja fast alle, waren jahrzehntelang glücklich damit, bis jüngst die staatliche hessische Forstverwaltung (Hessenforst) feststellte, dass der Fußweg auf der Insel nicht sicher sei, da Weiden und Pappeln dort umstürzen oder Äste verlieren könnten – die Insel im Sturm, das Grauen. Nun beginnt die Maschinerie zu laufen, zumal auch noch Natur im Spiel ist, und da wird es bitterernst. Denn der Weg, ob mit oder ohne Pappel und Weide, ist sowieso illegal. Er durchquert jene 90% des Auengeländes, welches „FFH“ ist: Flora-Fauna-Habitat. Geschützt. Dort darf nicht gelaufen werden. Flora-Fauna-Habitat, das ist etwas, was der Planet Erde allen anderen Himmelskörpern voraushat: Es leben Pflanzen und Tiere dicht beieinander und fühlen sich wie zu Hause. Das gibt es also nicht nur auf einer Rheinaue, sondern erdenweit, aber nicht überall führt ein Weg durch, der nicht sein darf. Nun aber kommt das endgültige Katastrophenelement ins Spiel, und es heißt: Brüssel. Keine Regelung im FFH ohne EU. Hessenforst, untere und obere Naturschutzbehörde, Landeshauptstadt Wiesbaden und alle anderen An-Rheiner blicken bang nach Brüssel und wissen: Dieses Jahr wird das nichts mehr mit der Öffnung des Weges und der Wendeltreppe. Der Fährschiffer ist vermutlich der Einzige, der es gut gelaunt zur Kenntnis nimmt. Wer zu früh kommt oder zu spät, muss schwimmen. Nun aber der Clou: Das alles war seit Jahrzehnten bekannt, die Bäume wurden von den Behörden scharf beobachtet und niemandem ist etwas aufgefallen. Dem Gesetzesbruch war dennoch Tür und Tor geöffnet, der Wilde Westen muss ein Hort der gesetzmäßigen Ordnung dagegen gewesen sein. Nun schreien alle auf, sind aber gebunden an Recht und Gesetz, zumindest nachträglich. Sollte jetzt noch eine bisher unbekannte Fledermaus oder Kröte dort wohnen, kann man den Campern und Sonnenbadern vermutlich den Räumungsbefehl ausstellen. Was nun lehrt das? Die Regelungswut verpufft manchmal, aber nicht auf Dauer. Es werden Fakten geschaffen, die Menschen nur das Leben schwer machen, viel Geld kosten und deren Beseitigung dann langwierig und noch mal teurer wird. Man verwendet Zeit und Mittel auf puren Nonsens, während die Welt andernorts diese Ressourcen bräuchte. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, wenn man derartige Verfahren und verfahrene Situationen auf die Lage der Wirtschaft überträgt. Fast macht so etwas die Klagen des deutschen Mittelstands über bürokratische Gängelung noch viel vorstellbarer.