Milch zum heißen Wasser?
Großbritannien lebt von seinem Empire und betrachtete es stets als eine Art gottgewollte Segnung für das gestählte Inselvolk, das seit 1066 jeder Invasion widerstand, seinerseits dagegen alle möglichen Erdteile maximalinvasiv behandelte. Imperiale Träume waren denn auch nur verpönt, wenn sie beispielsweise von einem deutschen Kaiser ausgingen: Imperial wurde ein Schimpfwort, Empire hingegen nicht.
Auf die weltweite Bedeutung hat sich der Brite seit Jahrhunderten vorbereitet – die Schöpfer der legendären Asterix-Comics zeichneten schon das Bild des etwas dünkelhaft wirkenden antiken Britanniers, der mit „stiff upper lip“ am Lagerfeuer sitzt und stocksteif sein heißes Wasser mit Milch trinkt, dergestalt darüber sinnierend, ob nicht die Eroberung Indiens mitsamt der dort verfügbaren Ausbeute an feinstem Tee nicht schon genetisch verankert war, als man in den Pariser Salons noch nicht einmal Toiletten kannte (und sonst wo natürlich auch nicht). Bei dieser Sicht der Dinge muss das Schicksal des Königreichs wie ein stets schmerzender Stich vorkommen. Die Ländereien jenseits der Weltmeere sind verloren; Großbritannien ist darauf zurückgeworfen, sich mit den Kleingeistern vom europäischen Kontinent herumzuärgern. Das trieb den Premierminister Ihrer Majestät, David Cameron, dieser Tage dazu, eine Schimpfkanonade gleich zweimal abzulassen: Daheim, um die Anhänger einer „Weg mit Europa“-Partei möglichst wieder in einstellige Umfrageregionen zurückzutreiben, andererseits in Davos beim World Economic Forum, um zu signalisieren, dass der Brite sich nicht von Bleistiftspitzern in Brüssel vorschreiben lässt, wie er zu leben hat. Schade eigentlich, dass die vorgetragene Empörung und die selbstgewisse Vorlesung darüber, wie man es einzig richtig macht in der Wirtschaft, darauf angelegt zu sein schien, zweifelnde Sympathisanten endgültig über den Kanal zu treiben. Denn jenseits der Polarisierung gibt es definitiv britisch-kritische Ansätze, was man auch hier besser machen könnte. Nicht dazu gehören allerdings die mit Stolz hervorgehobenen Leistungen Londons auf dem Gebiet des Eindampfens von Sozialleistungen zum Beispiel. Schon vor Cameron war das britische Sozialsystem nicht üppig und die Förderung von Bildung und ärmeren Jugendlichen hat auch nicht funktioniert. Hin und wieder wird ja mal hingeschaut von auswärts, wenn bürgerkriegsähnliche Zustände nicht nur in den verfallenden Einwandergebieten, sondern auch in bürgerlichen Vierteln ihre Opfer fordern. Die kontinentaleuropäische Überversorgung und der Pamperismus, der gottvaterähnliche Staat in manchen Ländern, der tätschelt und lenkt, ist aber nun ja auch nicht das Wahre – eine Mischung wäre nicht schlecht, aber schon das Wort „Kompromiss“ lässt Cameron offensichtlich frösteln. Das verhindert leider gute Chancen und er gab in Davos beim Weltwirtschaftsforum ein nicht ganz so günstiges Bild europäischen Problembewusstseins ab. Andere Kontinente haben ganz andere Sorgen. Solche, die Großbritannien aber durchaus noch bekommen kann: fehlende Industrie, fehlende Mittelschicht zum Beispiel. Für Cameron war es ein Merkmal höchst ansehnlicher Internationalität, als er hervorhob, dass Briten und Inder gemeinsam die neueste Version des Jaguars entwickeln. Nun, zum einen gehört der Autohersteller den Indern und zum anderen drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, dass Briten früher einmal Autos auch ganz allein bauen konnten.