Propheten und Professoren
Man kann es alles wirklich auf die Spitze treiben, natürlich auch den völlig in neue Sphären vordringenden, potenzierten Unsinn. Solch gehobener Nonsens schafft es spielend in die Medien des Mainstreams.
Seit den Dadaisten haben vermutlich keine Aktionskünstler das Publikum mehr verzaubert, als es heute die ganz Entschlossenen unter den Zukunftsforschern schaffen, die Klimapropheten und Untergangswarner. Wohliger Schauder inbegriffen und dazu gleich das bisher abgedrehteste Beispiel, das unlängst auf uns Irdische, die im Hier und Jetzt gefangen sind, herniedergekommen ist. Erst einmal aber zur Erinnerung die unumstößliche Logik des Seins: Die Zukunft ist ungewiss und die meisten unter uns sind sich auch ziemlich sicher, dass sie außerdem noch unbestimmt ist. Unvorhersehbar. Sie bricht über uns herein und man kann ihr nicht entrinnen. Das kann jeder bezeugen, der sich schon einmal den Ellbogen an einer Türkante gestoßen hat. Wenn man das bloß früher gewusst hätte! Nun ist die Verlockung groß, es früher wissen zu wollen, und das ist eine mächtige Triebfeder, an der Börse zum Beispiel. Mit welch raffinierten Modellen an der Erkennbarkeit des morgigen Geschehens gearbeitet wird, das beschäftigt die Besten unter den Weisen und die am wenigsten Schlichten unter den Gemütern. Dennoch – ohne Ungewissheit wäre ein Börsenhandel gegenstandslos, denn was soll ich noch groß spekulieren, wenn ich schon jetzt weiß, was der DAX am 14. Mai wert ist? Oder am 23. Juni? Also: Wissen ist das Ende des Hoffens und Bangens. Nun behaupten ja die Zukunftskenner unter beispielsweise den Klimaforschern, dass sie genau das können: komplexe Systeme untersuchen, je komplexer, desto besser, und sagen, was die in 20, 30 oder 100 Jahren so machen werden. Die Krone der Gaga-Forschung gebührt da bis auf Weiteres dem britischen „National Center for Atmospheric Science“ (knapp gefolgt von all den Zeitungen, die deren Einlassungen diese Woche unbekümmert abdruckten). Das Center nämlich geht mit seinem Forscher Paul Williams weit über das bisherige Maß des Unerhörten hinaus: Klimawandel führt zu mehr unerwarteten Turbulenzen über dem Atlantik, sagt er. Fluggäste, seid auf so einiges gefasst: Die sogenannten Clear Air Turbulences (CAT), die weder mit dem Auge noch dem Radar am wolkenlosen Himmel zu erkennen und deshalb so unangenehm sind, werden zunehmen. Um 10% bis 40% an Heftigkeit. Um 40% bis 170% (!) an Häufigkeit. Innerhalb der kommenden 40 Jahre. Stellenweise über dem Nordatlantik. Von Dezember bis Februar. So. Da hat es der Williams nun allen gegeben, vor allem dem Flugverkehr: Der sei mitverantwortlich für den Klimawandel und „dafür rächt sich das Klima“, so Williams. Rache aus der Cloud sozusagen. Nun mal abgesehen davon, dass sich die Klimakarawane angesichts der seit rund 15 Jahren anhaltenden Nicht-Erwärmung des Globus langsam abzusetzen und davonzustehlen beginnt, und nur wenige wie etwa Williams (oder auch unsere wackeren Untergangspropheten aus Potsdam) den Schuss nicht gehört haben, bringt uns der tapfere Zukunftsprofessor in eine Logikfalle. Denn diese Turbulenzen sind eben nicht erkennbar – es sei denn, man fliegt in sie hinein. Und nur da, wo man fliegt, sind sie also mess- und zählbar. Woanders nicht. Was also genau soll hier um 40% oder 170% zunehmen? Alle Turbulenzen oder nur die erlebten? Was ist, wenn mehr Flugverkehr herrscht, gibt es dann auch mehr Rache des Klimas? Und ist es dem Klima nicht egal, wie es ist, Hauptsache es ist überhaupt? Hier kühl, dort feucht und da hinten warm? Also, Klima ist immer, Dummheit auch. Und da dachte man, dermaßen irre Professoren gäbe es nur im Comic. Schade, denn die real existierenden kosten uns eine Menge Geld. Es kann einen frösteln, und das liegt nicht am Wetter.