Rechtsfreie Räume
Die Schweden haben den Ruf, ein eher friedliches Volk zu sein, das nicht hitzköpfig in globale Debatten eingreift, dafür aber ein Sozialsystem besitzt, das seinesgleichen sucht. Getragen vom Verständnis für das Los der Schwächeren. Allenfalls leise Kritik gibt es hin und wieder an der umfassenden Fürsorge des Staates, die etwas erzieherisch daherkommt. Aber von den wilden Zeiten spricht niemand mehr, von Raubzügen und Eroberungen vor einigen Hundert Jahren.
Dennoch, ganz harmlose und von jedermann im gemeinsamen Rechtsraum durchaus verstandene Maßnahmen katapultieren ab und zu das moderne Schweden in die haudegenhafte Auseinandersetzung, die heutzutage elektronisch aus der Ferne angezettelt wird. Da war ja mal was mit dem Gründer jener Organisation, die Transparenz in staatliches Handeln bringen wollte und in diesem Sinne vertrauliche persönliche Daten von Regierungsmitarbeitern veröffentlichte (und damit vermutlich für ein paar böse Entwicklungen von Einzelschicksalen verantwortlich ist). Die Polizei und die Staatsanwaltschaft interessieren sich für Julian Assange, der dahinter fiese Geheimdienste vermutet, die ihn auch physisch zur Strecke bringen wollen, in den USA vor allem. Dabei erging es ihm, wie es jedem ergehen kann, gegen den wegen eines Verbrechens ermittelt wird: Es wird ihm Vergewaltigung vorgeworfen und da darf (und soll ja wohl) die Strafverfolgung nicht einfach unterbleiben. Man kann dann nur hoffen, dass eine etwaige falsche Beschuldigung auch erkannt wird. Nun, da Assange bei den transparent lupenreinen Demokraten von Ecuador in deren Londoner Botschaft Zuflucht gesucht hat, stockt der Fortgang der Geschichte. Was einem ganzen Land, seiner Wirtschaft und seinen Bewohnern aber drohen kann, wenn sie einfach nur das tun, was ihr gutes Recht ist – nun, das konnte man diese Woche beobachten. Schwedische Behörden beschlagnahmten Server, auf denen sich illegale Inhalte befinden sollen, Tauschbörsendaten etwa. Als Reaktion legt eine „Netzwerk Anonymous“ genannte Gruppierung die Internet-Präsenz der Regierung lahm, stört nach eigener Selbstbezichtigung Finanztransaktionen und will gar die schwedische Notenbank ins Taumeln gebracht haben – was diese dementieren zu müssen glaubt. Per Youtube erläutern die Unbekannten den Sinn ihres Tuns: Es soll als eine Art Vorgeschmack dessen gelten, was droht, falls es Schweden weiterhin wagen sollte, gemäß seiner Rechtsordnung zu leben. Stockholm also kann es sich aussuchen: Man lässt Kriminelle machen, was sie wollen, und hat seine Ruhe oder man verfolgt sie, dann setzt es was von anonymen Drahtziehern. Angesichts der Grundhaltung jener Anonymen, die offenbar eine Art Weltgericht zu sein glauben, wird man sich vermutlich eines Tages nach der alten Mafia zurücksehnen. Die ist zwar ebenfalls brutal und hat genauso wenig eine Ahnung, was Recht ist, aber bleibt in vielen Fällen doch regional begrenzt, was sie theoretisch verfolgbar macht, sofern es im betroffenen Staatswesen noch unabhängige Verfolger gibt. Dass es so etwas in Zukunft weltweit möglichst nicht mehr gibt, scheint das erklärte Ziel der Netzwerkkriminellen zu sein. Fast erscheint es wie ein Glück, dass sich jene mit den Finanzstrukturen der Global Economy einen Gegner ausgesucht haben, der eine Nummer zu groß für sie sein dürfte. Aber dass sie Ärger einer neuen Dimension bringen, das sollte man inzwischen einpreisen.