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Von allen bösen Geistern verlassen

Wenn man einmal gut gepflegt träumen möchte, dann lehnt man sich zurück, schließt die Augen und erlebt tatsächlich das Folgende: Zu Brüssel, altehrwürdige Metropole im Reiche der Flamen und Wallonen, die das lobenswerte Zusammenleben mehrerer Volksgruppen lange vor der Europäischen Union zu reicher Blüte brachten, treffen sich die ehrwürdigen Repräsentanten aus vielen Ländern, einem Europa, in welchem zwar die Sonne noch hin und wieder untergeht, welches aber seit Napoleon in dieser Zusammensetzung niemand zu vereinen trachtete, und das auch noch ganz friedvoll.

BÖRSE am Sonntag

Nun also reisen die Staatslenker an, allesamt die würdigsten Repräsentanten ein- und desselben Friedensnobelpreisträgers, und heben an zu sprechen miteinander, auf dass die Kümmernisse und auch Freuden des Alltags ihrer Völker dem jeweils anderen kund werden und man sich gemeinsam sorgen oder, je nachdem, über das Erreichte so recht freuen kann. Denn die Staatslenker sind von allen bösen Geistern verlassen; und mit ihren zu Recht von den Wählern kontinentauf, kontinentab erkannten und durch unerschütterliche Zustimmung gelobten Gaben haben sie alle Voraussetzungen, auch schlimmste Beschwernisse aus dem Weg zu räumen. Und nun wachen wir auf und sind in einem ansichtslosen Hochhausviertel einer architektonisch schwer herausgeforderten Großstadt, wo die Missgunst, wenn nicht zu Hause ist, so doch regelmäßig Station macht. Und ein jeder redet nicht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, schon gar nicht flämisch oder Katalan oder Klartext, sondern verschleiert sein Begehr, welches selbstverständlich jedem offen liegt wie ein Buch, aus welchem man flüssig lesen kann. Es scheint unfassbar, ist aber wahr, dass die deutsch-französische Freundschaft abkühlt, weil der eine so schnell wie möglich die Banken an der Südflanke auf Gemeinschaftskosten saniert haben will, während der andere trickreich zwar Ja gesagt hat zur Vergemeinschaftung vieler Dinge, die alle mit Geld oder besser fehlendem Geld zu tun haben – davor aber die Hürde der Europäischen Bankenaufsicht gesetzt hat. So mancher aus der Südkurve fühlt sich wohl zu Recht hinters Licht geführt, aber selber schuld: Wer wie Herr Monti aus dem sonnigen Italien nach einem anderen, ebensolchen Gipfeltreffen herausplustert, wie sehr er doch gewonnen habe gegen die Teutonen und ihre freudlosen Vasallen aus dem dunklen, kalten Norden – der muss sich nicht wundern, wenn eine Angela Merkel später mal brunhildenhaft grinst und ihren Sieg einfordert. Nun bekommt sie so keine Freunde in nah und fern und will sie womöglich auch gar nicht, denn die wählen nicht in Ratzeburg und Runkel. Eigentlich schade. Aber Herr Monti wurde weder da noch anderswo gewählt und Monsieur Hollande hauptsächlich von jenen, deren Wünsche er nun nicht erfüllen kann, weil Brunhilde, Verzeihung Frau Merkel, die Bankenaufsicht verschleppt. Und niemand weiß, ob die bei der Europäischen Zentralbank überhaupt rechtlich einwandfrei angesiedelt werden darf. Und so weiter. Weshalb die Zustimmung zu deren Errichtung ein Lapsus des Südens war, ohne einen vereinbarten Zeitplan wenigstens. Dergestalt sind die Sorgen des friedlichen Nobelpreisträgers und man darf grübeln, ob sie in der Tradition eines Jassir Arafat stehen oder eines Shimon Peres oder einer Mutter Theresa. Man kann es aber auch lassen, sich den Briten zuwenden, die es in all dem Tumult beleidigenderweise niemand mehr unternimmt zu beachten, und ihnen sagen: Lass uns noch diesen Ärger aus der Welt schaffen, dann seid ihr dran.