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Warnen, bis es kracht

Es gibt Probleme, die müssen wir hegen und pflegen und in Ehren halten, denn außer uns hat die keiner. Damit wir immer wieder neu lernen, wie übel es um uns herum aussieht, wie schlimm wir von der Industrie abgezockt, ja vergiftet werden; damit wir stets nach dem Besseren und Höheren streben und uns auch bewusst sind, dass wir was Besseres verdient haben, dafür hat das Schicksal uns Nichtregierungsorganisationen zur Seite gestellt. Die haben ein so enorm empfindliches Gewissen und so feine Fühler, dass sie das Grauen erahnen und erkennen, schon ehe es sich manifestiert.

BÖRSE am Sonntag

Daher sind sie stets in den Medien präsent, und sei es auf der Ratgeberseite, in schöner Gesellschaft mit Hintergrundberichten zu Themen wie „scharfe Küchenmesser nicht Kindern zum Spielen geben“ oder „so trägt man Spinnen ins Freie, ohne ihnen ein Bein zu brechen“. Gern gesehener Gast ist dort immer „Foodwatch“, eine selbst ernannte Wächterorganisation über das Wahre, Gute und Schöne im Lebensmittel. Völlig überraschend brach diese mit Anstand bis an die Zähne bewaffnete Truppe kürzlich aus dem Buschwerk hervor und deklamierte das Lied der bösen Vergifter aus der Braubranche, die alkoholfreies Bier anbieten, welches – Alkohol enthält. Für Alkoholkranke sei das eine lebensgefährliche Sache. Aber rechtens im Staate Deutschland. Nun gibt es immer wieder die Mär, dass ein Abhängiger nur eine Schnapspraline zu kosten habe, um unweigerlich wieder Alkohol konsumieren zu müssen, bis die Lichter ausgehen. Das darf man getrost ins Reich jener Legenden verweisen, aus welchem auch immer wieder tödliche Spinnen in der Yucca-Palme oder Giftschlangen in der Bananenkiste stammen. Dennoch, das ist richtig, raten Ärzte davon ab, dass Süchtige etwas konsumieren, was dem Suchtstoff ähnelt – also auch von völlig alkoholfreiem Bier die Finger zu lassen, einfach wegen der dann möglicherweise erwachenden Erinnerung an den Suchtstoff. Nur – darum geht es hier gar nicht. Foodwatch kritisiert die Industrie, dass sie solche Biere auf den Markt bringt, die bis zu 0,45% Alkohol enthalten, angeblich bis auf eine Ausnahme, die auch mit dem Namen „0,0“ bezeichnet sei (Bitburger). Es gibt im Gegensatz zu der Behauptung natürlich inzwischen mehrere Brauer, die das anbieten, denn im Gegensatz zu früher wird dem Bier nicht mehr nachträglich der Alkohol (weitestgehend) entzogen, sondern es wird gebraut, ohne dass er überhaupt entsteht. Dieses verfeinerte Verfahren wird sich wohl durchsetzen. Was bedenklich an der Ratgeberkampagne erscheint, ist die Vermischung von Verantwortlichkeiten. Es ist nämlich der Staat, der jenes Etikett erlaubt hat und nicht vorschreibt, den genauen Alkoholgehalt auf dem Produkt anzugeben. Das wäre denn auch schwierig, denn Apfelsaft, eine Schale Erdbeeren und eine Flasche Essig enthalten den Stoff ebenfalls. Sollte man also die Früchte künftig als „alkoholarme Erdbeeren aus der Pfalz“ anbieten müssen? Die gewählten Volksvertreter müssen dies entscheiden. Die private Essenswacht an der Spree jedenfalls traut, ganz deutsch in der Tradition, dem Bürger nicht zu, sich selbstverantwortlich zu verhalten und wirkt deshalb aufklärerisch, bis es kracht. Im Gegensatz zu Institutionen wie etwa der Stiftung Warentest mit zahlreichen Gremien und Aufsichtsmechanismen werkeln aber viele andere so vor sich hin und warnen, wie es ihnen gerade beliebt. Dank der wertvollsten Währung, die es gibt, nämlich der Publicity, können sie gleichwohl ganze Wirtschaftszweige in Bedrängnis bringen. Ein bedenklicher Faktor, wenn man die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit über den Buchstaben hinaus ernst nimmt. Freie Meinungsäußerung gilt natürlich ohne Ansehen der Person oder Organisation. Gegen Panikmacher hülfe also nur: Keine Panik!