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Das größte Missverständnis im Goldsektor

Wir glauben, dass im Goldsektor ein elementares Missverständnis vorherrscht. Ein Großteil der Marktteilnehmer und Analysten messen der jährlichen Produktion, aber auch der jährlichen Nachfrage deutlich zu viel Bedeutung bei. So liest man häufig, dass der Goldpreis niemals unter die Produktionskosten fallen könne. Nachfolgend wollen wir auf diesen Irrtum eingehen.

BÖRSE am Sonntag

Jedes Gramm Gold, das gehalten wird, ist zu einem bestimmten Preis verkäuflich. Manche Eigentümer würden bereits zu einem geringfügig über dem aktuellen Spot-Preis notierenden Preis verkaufen, viele erst in deutlich höheren Preissphären. Wenn eine Privatperson – infolge stark gestiegener Preise – ihre vor Jahrzehnten gekauften Goldbestände veräußern will, verringert dies nicht den Gesamtbestand von Gold. Es findet lediglich eine Verlagerung von einem Privatbestand zu einem anderen Privatbestand statt. Für den Käufer ist es völlig egal, ob das Gold vor drei Wochen oder drei Jahrtausenden gefördert wurde.

Die jährliche Goldproduktion von knapp 2.600 Tonnen ist deshalb für die Preisfindung vergleichsweise unbedeutend. Vielmehr setzt sich die Angebotsseite aus allem jemals geförderten und verfügbaren Gold zusammen. Das Recycling von Altgold ist ein wesentlich größerer Teil der Angebotsseite als bei Rohstoffen. Gold ist deshalb paradoxerweise nicht selten, im Gegenteil: Es ist eines der am weitesten verbreiteten Güter der Welt. Nachdem die industrielle Bedeutung gering ist, ist der Großteil des jemals geförderten Goldes noch immer verfügbar.

Anders als bei Rohstoffen besteht bei Gold und Silber eine enorme Diskrepanz zwischen jährlicher Produktion und dem gesamten verfügbaren Bestand (= hohes Stock-to-flow-Ratio). Wie bereits im Vorjahr formuliert (vgl. Spezialreport Gold 2011 „In Gold we Trust“) gehen wir davon aus, dass das hohe Stock-to-flow-Verhältnis das wichtigste Spezifikum von Gold (und Silber) darstellt. Das gesamte jemals geförderte Gold beläuft sich auf fast 170.000 Tonnen. Dies bezeichnet man als „stock“. Die jährliche Produktion belief sich 2011 auf knapp 2.600 Tonnen. Dies nennt man „flow“. Dividiert man die beiden Beträge, so erhält man das Stock-to-flow-Ratio von 65 Jahren.

Jährlich wächst der Goldbestand um ca. 1,5% und somit weitaus langsamer als alle Geldmengenaggregate rund um den Globus. Das Wachstum entspricht in etwa dem Bevölkerungswachstum. Das Vertrauen in die aktuelle und zukünftige Kaufkraft von Geld hängt maßgeblich davon ab, wie viel Geld derzeit vorhanden ist und wie sich die Quantität im Laufe der Zukunft verändern wird.

Was bedeutet dies nun konkret? Würde sich die Minenproduktion verdoppeln (was äußerst unwahrscheinlich ist), so würde dies für den Gesamtbestand an Gold lediglich ein Plus von 3% bedeuten. Dies wäre nach wie vor eine relativ unbedeutende Inflationierung des Goldbestandes, insbesondere im Vergleich zur derzeit stattfindenden Notenbankinflationierung. Würde die Produktion hingegen für ein Jahr ausfallen, so hätte dies ebenfalls wenig Bedeutung für den Gesamtbestand und die Preisfindung. Würde hingegen ein signifikanter Teil der Ölproduktion über längere Zeit ausfallen, so wären die Lagerbestände nach wenigen Wochen aufgebraucht. Starke Produktionserweiterungen bzw. -ausfälle können deshalb beim Gold wesentlich leichter absorbiert werden.

Gold wird so viel Wert beigemessen, weil die jährliche Produktion in Relation zum Bestand so gering ist. Diese Eigenschaft wurde im Laufe der Jahrhunderte erworben und kann sich auch nicht mehr ändern. Diese Stabilität und Sicherheit ist eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung von Vertrauen. Dies unterscheidet Gold und Silber als monetäre Metalle ganz klar von Rohstoffen und den anderen Edelmetallen. Dies erklärt auch, wieso man herkömmliche Angebots-/Nachfragemodelle am Goldmarkt nur bedingt einsetzen kann.