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10 Thesen für das nächste Börsenjahr

Der DAX liegt seit dem Tiefpunkt Ende September knapp 20 Prozent im Plus. In Summe dürfte das Anlegerjahr damit für viele versöhnlich enden. Mit welchen Herausforderungen und Chancen sollten Privatanleger im Jahr 2016 rechnen und wie sollten sie sich aufstellen?

BÖRSE am Sonntag

Allmählich schwenkt die Börse auf die Zielgerade ein. Anleger rund um den Globus haben ein sehr abwechslungsreiches Kapitalmarktjahr 2015 erlebt. Nach einem unterm Strich sehr positiven ersten Halbjahr an den Aktienmärkten, drehte die Stimmung im Sommer. Griechenland-Krise, Wachstumssorgen um China, geldpolitische Unsicherheit und geopolitische Risiken sorgten im zweiten Halbjahr vermehrt für Schwankungen und teils deutliche Rückschläge an den Kapitalmärkten.
 
Der DAX liegt seit dem Tiefpunkt Ende September knapp 20 Prozent im Plus. In Summe dürfte das Anlegerjahr damit für viele versöhnlich enden. Mit welchen Herausforderungen und Chancen sollten Privatanleger im Jahr 2016 rechnen und wie sollten sie sich aufstellen? Hierzu habe ich zehn Thesen entwickelt:

1. Politik: Sorgen um Europa, Ruhe in den USA

In Europa können viele politische Themen für Unruhe sorgen: die anhaltenden Probleme der Peripherieländer und der nach wie vor schwelende Ukrainekonflikt ebenso wie die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens. Ob im späteren Jahresverlauf auch ein möglicher EU-Austritt Großbritanniens wieder auf den Tisch kommt, bleibt abzuwarten. Dagegen dürfte es in den USA – trotz der anstehenden Präsidentschaftswahlen im November – vergleichsweise ruhig bleiben. Auch wegen des jüngst erzielten fiskalischen Kompromisses zwischen Republikanern und Demokraten könnte die US-Wirtschaft im kommenden Jahr von innenpolitischen Risiken weniger betroffen sein als die Volkswirtschaften in Europa oder Asien. 

2. Wachstum: Schwacher Trend, stabiler Zyklus

Das weltweite Wachstum dürfte sich zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder leicht beschleunigen: von 3,1 Prozent 2015 auf fast 3,5 Prozent. Dabei lösen Binnenkonsum und Dienstleistungen die Industrieproduktion voraussichtlich als Wachstumstreiber ab. Für Deutschland rechne ich mit 1,9 Prozent, für die USA mit 2,5 und für Japan immerhin noch mit 1,5 Prozent Wachstum.

3. Geldpolitik: Notenbanker handeln auf unerforschtem Gebiet

Die Geldpolitik behält ihren starken Einfluss auf die Entwicklung der globalen Kapitalmärkte bei. Ob die Notenbanken die Märkte eher stützen oder weiter verunsichern, wird davon abhängen, wie stringent und nachvollziehbar Fed, EZB & Co. ihre Politik gestalten. Aufgrund der positiven wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erwarte ich Mitte Dezember 2015 eine erste Leitzinsanhebung der Fed, gefolgt von ein bis zwei weiteren im kommenden Jahr. Die EZB dagegen könnte neben der Senkung des Einlagezinssatzes bald auch eine Ausweitung ihres Anleiheankaufprogramms bis zum März 2017 beschließen. Das schwächt den Euro und sollte der nach wie vor kriselnden Eurozone wirtschaftlich weiter auf die Beine helfen.

4. Währungen: Wechselkurse als Performance-Treiber

Der bestimmende Faktor an den Devisenmärkten bleibt der US-Dollar. Ich gehe davon aus, dass der „Greenback“ gegenüber allen bedeutenden Währungen weiter an Stärke gewinnen wird. Die Ausweitung der lockeren Geldpolitik der EZB und die Leitzinsanhebungen der Fed im Jahresverlauf 2016 dürften mindestens zu einer Euro-Parität führen. Für Schwellenländer wie China oder Indien sollten sich die negativen Auswirkungen einer sukzessiven Dollar-Aufwertung in Grenzen halten. Bei Ländern mit Defiziten in der Leistungsbilanz und dem Haushalt sowie stockender Reformen muss jedoch mit kurzfristigen, auch größeren Wechselkursschwankungen gerechnet werden.

5. Renten: Viel Ärger für wenig Rendite

Anleihen mit geringem Risiko, wie z.B. zehnjährige Bundesanleihen dürften kaum interessante Renditen bringen. Bei US-Unternehmensanleihen mit Investment Grade sehe ich dagegen Potenzial: Rund 3,5 Prozent Rendite könnten möglich sein. Für noch mehr Rendite ist ein überproportional hohes Risiko einzugehen, während, im US-High-Yield-Bereich die Ausfallraten deutlich steigen dürften.. Bei Schwellenländer-Anleihen hängt viel von der Währungsentwicklung ab: Stabilisieren sich die Wechselkurse gegenüber Euro und US-Dollar könnten wieder einträgliche Renditen möglich sein. Überrascht Chinas: Volkswirtschaft positiv, dürften Schwellenländer-Anleihen davon profitieren.


6. Aktien: Mit „Sicherheit“ dabei bleiben

Nach sieben Jahren Bullenmarkt könnten sich die Aktienkurse im kommenden Jahr verhaltener entwickeln. Unter anderem weil die Unternehmensgewinne nur einstellig zulegen dürften – mit positivem Überraschungspotenzial in der Eurozone. Für Anleger kommt es darauf an, in einem breit diversifizierten Portfolio die richtigen Akzente zu setzen: Auf regionaler Ebene erscheinen mir die entwickelten Märkte – etwa die Eurozone, Japan und die USA – aussichtsreicher als die Schwellenländer. Bei den Branchen und Unternehmen gilt es diejenigen zu identifizieren, die ihre Umsätze und Margen gegen den allgemeinen Trend weiter steigern können.

7. Aktien: Hohe Bewertungen bleiben hoch

Aktien dürften ein gefragtes Investment bleiben. Hauptgrund dafür ist das erwartete einstellige Gewinnwachstum der Unternehmen. Bei stabilen bis leicht anziehenden Bewertungen, etwa in China und den USA, könnten die Aktienpreise im mittleren einstelligen Bereich zulegen – zuzüglich Dividendenzahlungen. Auf Sektorenebene dürften zunächst Zykliker – Finanzen, Technologie, Nicht-Basiskonsum – und im weiteren Jahresverlauf defensivere Werte, etwa Gesundheit und Basiskonsum, im Anlagefokus stehen. Stützend auf die Aktiennachfrage sollte sich das niedrige Zinsumfeld auswirken: Aktienmärkte werden dadurch für Investoren auf der Suche nach rentierlichen Anlagen immer interessanter.

8. Rohstoffe: Im Schatten von Dollar und Angebot

Prognosen zum Ölpreis sind aufgrund vieler Einflussfaktoren schwierig. Ich gehe aber davon aus, dass zumindest die Tiefststände bald erreicht sein dürften. Angebot und Nachfrage sollten sich gegen Ende des Jahres 2016 annähern und die Preise anziehen. Größere Sprünge sind dabei allerdings nicht zu erwarten – sollte die OPEC nicht doch noch überraschend ihre Förderquoten drosseln. Ebenso unsicher sind Prognosen zum Gold: Zwar könnten einige Notenbanken vor allem in den Schwellenländern ihre Bestände ausbauen, für Gegenwind dürften jedoch steigende Zinsen in den USA und ein starker US-Dollar sorgen. Bei Gold erwarte ich seitwärtstendierende oder sogar leicht fallende Preise.

9. Immobilien: Metropolen gehört die Zukunft

Weltweit zieht es Menschen in die Metropolregionen. Mit der damit verbundenen Nachfrage nach Immobilien dürfte das Angebotswachstum nicht Schritt halten – steigende Preise wären die Folge. In Europa erscheinen insbesondere deutsche Standorte interessant, da sie im Gegensatz zu bereits weit gelaufenen Märkten wie London nach wie vor fair bewertet scheinen – eine Blasenbildung ist am deutschen Immobilienmarkt derzeit nicht in Sicht. In den USA sehe ich den intakten Arbeitsmarkt weiter als starken Treiber. Insgesamt rechne ich einem global breit gestreuten Immobilien-Portfolio die größten Renditechancen zu.


10. Risiken: Fragen Sie den Notenbanker Ihres Vertrauens

Neben geopolitischen Risiken dürfte die Geldpolitik der größte Unsicherheitsfaktor sein. So könnte im Zuge der Leitzinserhöhungen der Fed der US-Dollar zu stark aufwerten und Rohstoffpreise sowie Schwellenländerwährungen unter Druck setzen. Auch die Sorgen um das Wachstum Chinas scheinen noch nicht ausgestanden. Weitere Risiken sehe ich in einem möglichen Ausufern der Abwertungstendenzen bedeutender Währungen („Währungskrieg“) sowie einem Einbruch der Unternehmensgewinne in den USA. Alles in allem ist durch die Vielzahl regionaler und globaler Unsicherheitsfaktoren im kommenden Jahr weiter mit hohen Schwankungen an den Kapitalmärkten zu rechnen.

Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden Deutsche Bank