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Die Zinswende ist da - und sie ist gefährlich

Nun hat nach der Fed auch die EZB die Zinswende offiziell eingeleitet. Das Anleihekaufprogramm läuft aus, die Zinsen dürften wie in den USA spürbar anziehen. Damit steigen die Risiken für die Finanzmärkte erheblich.

BÖRSE am Sonntag

Nun hat nach der Fed auch die EZB die Zinswende offiziell eingeleitet. Das Anleihekaufprogramm läuft aus, die Zinsen dürften wie in den USA spürbar anziehen. Damit steigen die Risiken für die Finanzmärkte erheblich.

EZB-Präsident Mario Draghi macht es gaaaaanz langsam. Die Zinswende Europas soll in Zeitlupe erfolgen. Während die US-Notenbank ihre Leitzinsen in den vergangenen Jahren bereits sieben Mal erhöht hat, steht in der Eurozone weiterhin die Null. Frühestens ab Sommer nächsten Jahres sollen die Zinsen laut EZB wieder steigen dürfen. Immerhin soll das Anleihekaufprogramm zum Jahresende auslaufen. Seit Januar 2018 beträgt das monatliche Volumen noch 30 Milliarden Euro. In den letzten drei Monaten des Jahres 2018 soll es nochmals halbiert werden - und dann enden. An den Märkten wird die dieswöchige Entscheidung als „behutsamer Einstieg in die Zinswende“ begrüßt. Im Herbst 2019 steht die erste EZB-Zinserhöhung seit Juli 2011 an.

Doch die Märkte haben ihren eigene Meinung zum Thema Zinswende - und die kann zuweilen rabiat sein. Vor allem in großen Schwellenländer kann man derzeit beobachten, was Zinswenden in kurzer Zeit anrichten können. Denn wenn der Wind sich erst einmal dreht, reagieren die Anleger oft viel schneller als sich das Notenbanken mit ihrer Strategie der Behutsamkeit ausmalen.

Zahlreiche Schwellenländer hatten jahrelang von den historisch niedrigen Zinsen profitiert, weil Anleger auf der Suche nach Renditen auch riskantere Geldanlagen in fernen Ländern wagten. Jetzt ziehen die Investoren umgekehrt ihr Geld rasch wieder ab. Das verteuert für die Schwellenländer und deren Unternehmen den Schuldendienst. Besonders betroffen sind Länder wie die Türkei und Argentinien, an deren wirtschaftlicher Stabilität es ohnehin Zweifel gibt.

Doch auch in den USA und Europa kann der „Ketchup-Flaschen-Effekt“ seine Wirkung entfalten, wenn Anleger die Zinswende antizipieren. Und angesichts steigender Inflationsraten - vor allem durch Rohstoffpreise getrieben - antizipieren das immer mehr. Die Rendite 10-jähriger amerikanischer Staatsanleihen ist mittlerweile wieder auf den höchsten Stand seit 2011 geklettert. Noch vor zwei Jahren war sie nicht einmal halb so hoch.

An den Tankstellen spürt man in diesen Tagen die schnellen, direkten Auswirkungen der Twitterpolitik von Donald Trump. Das angekündigte Iran Embargo und die weltweiten Handelskrieg-Auswirkungen können Märkte sehr rasch bewegen.

Und so könnte das Ende der Anleihekaufprogramme ein höheres Risiko bergen als viele ahnen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, sieht an den Anleihemärkten sogar eine Finanzblase von historischem Ausmaß. Die Renditen für Staats- und Unternehmensbonds seien durch die gigantischen Anleihekäufe der Notenbank extrem nach unten gedrückt. Bei einem Ausstieg aus dem Kaufprogramm und einer Rückkehr zu positiven Leitzinsen könnte sich die Situation schlagartig umkehren. Folge wären stark steigende Anleihezinsen und einbrechende Kurse. Folkerts-Landau spricht von der größten Anleiheblase in der Geschichte der Menschheit und warf die Frage auf, ob die Wirtschaft ohne eine erneute Finanzkrise aus dieser Situation herauskommen könne.

Die expansive Geldpolitik und die Anleihekäufe haben nach Ansicht des Deutsche-Bank-Chefökonomen zudem zu einer problematischen Umverteilung von Vermögen in der Gesellschaft geführt. Von den rasant gestiegenen Preisen für Immobilien und Aktien hätten die Eigentümer dieser Vermögenswerte profitiert, bei denen es sich vorwiegend um Personen mit hohen Einkommen und Vermögen handele.
Doch auch wenn die Anleihemärkte das Tapering und die Zinswende geschmeidig verarbeiten sollten, droht den Finanzmärkte Ungemach. Steigende Zinsen locken Aktienbesitzer zum Umstieg auf attraktiver gewordene Anleihen. Das kann die Aktienbörsen nach acht Jahren Aufschwung heftig einknicken lassen, wie zuletzt im Februar, als unter anderem steigende amerikanische Renditen den stärksten Kursverfall binnen eines Tages in der Geschichte der Wall Street auslösten.

Obendrein müssen Schuldner ab 2019 deutlich mehr für ihre Kredite ausgeben.Damit drohen Konjunkturdämpfer, vor allem aber ein Crash-Risiko auf den vielfach überhitzten Immobilienmärkten. Die jahrelangen Nullzinsen haben viele Immobilienmärkte in eine Preisblase getrieben.

Steigenden Zinsen bringen - aus jenseits des Immobiliensektors - hochverschuldete Unternehmen zunehmend in Bedrängnis. Wie die Financial Times berichtet, sind die Kapitalpuffer bei Firmen, welche Schulden mit variablen Zinsraten aufgenommen haben, bereits deutlich gesunken. Seit dem Ende der Finanzkrise sind die Schulden im amerikanischen Unternehmenssektor auf über 45 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen, was sogar die Höchstwerte während der Internet-Hausse und des Immobilienbooms übertrifft. Bemerkenswert ist, dass diese Relation von 45 Prozent zwischen Unternehmensschulden und Wirtschaftsleistung ziemlich genau jenen Wert darstellt, welcher kurz vor dem Ausbruch der beiden letzten Finanzkrisen in den Jahren 2008 und 2000 erreicht wurde.

Nach einer Studie der University of Pennsylvania ist auch das globale Volumen der Junk-Bonds bei zwei Billionen Dollar im Jahr angelangt - das sei zweieinhalb Mal so groß wie vor dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008. Vielen dieser Schuldeninstrumente liegt eine variable Verzinsung zu Grund, sollte das Zinsniveau also steigen, droht vielen Unternehmen eine Insolvenz. So wie derzeit bereits bei Schwellenländer-Unternehmen, die sich in Dollar geschuldet haben.

Und noch ein Problem taucht bei der Zinswende auf: Die verschuldeten Staaten verlieren politische Spielräume. Der Staat wird in der Zinswende zum größten Verlierer, denn von den Nullzinsen hat er aufgrund der Schuldenlast am meisten profitiert. Die Folgen einer Zinserhöhung um einen Prozentpunkt: Zwei Billionen Euro Schulden würden da für Mehrkosten von 20 Milliarden Euro pro Jahr sorgen. Professor Timo Wollmershäuser vom Münchner ifo-Institut macht plastisch klar, was das heißt: „Wenn man das mal in Relation setzt zu den 15 Milliarden, die gerade als Steuerentlastungen diskutiert werden, dann sieht man , wie schnell einem als Staat die verfügbaren Mittel verschwinden können, wenn es zu einer Zinswende kommt.“ Deutschland wird das noch gut verkraften, aber was ist mit Italien oder Griechenland. Die Krisenländer müssen die Zinswende fürchten. Für die angeschlagenen Staaten hat die EZB die Zinsen künstlich tief gehalten. Haben diese Länder die Zeit der Minizinsen genutzt? Obwohl die Konjunktur fast überall anzieht, sitzen die Krisenländer immer noch auf einem riesigen, teilweise drastisch gestiegenen  Schuldenberg. Insbesondere Italien würde eine Zinswende ungemütlich, vor allem wenn ihr nationaler Zinspatron Draghi im kommenden Jahr abtritt. Auch deswegen zielt der auf die gaaaanz langsame Zinswende.