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Endspiel für Merkel – Endspiel an den Börsen?

Frankreich und Kroatien kämpfen um die Krone im Weltfußball. Ganz im Gegensatz dazu ist in Berlin von Feierstimmung keine Spur. Von der CSU demontiert, von der AfD gejagt, von den Wählern abgestraft, in Europa isoliert – Angela Merkel ist liegt gefühlt mit 0:4 hinten, und für sie hat die Nachspielzeit längst begonnen. Speziell für die Finanzmärkte und die Anleger ist dies Signal fatal. Eine vielleicht stürzende Merkel könnte die Börsen mitreißen.

BÖRSE am Sonntag

Frankreich und Kroatien kämpfen um die Krone im Weltfußball. Ganz im Gegensatz dazu ist in Berlin von Feierstimmung keine Spur. Von der CSU demontiert, von der AfD gejagt, von den Wählern abgestraft, in Europa isoliert – Angela Merkel ist liegt gefühlt mit 0:4 hinten, und für sie hat die Nachspielzeit längst begonnen. Speziell für die Finanzmärkte und die Anleger ist dies Signal fatal. Eine vielleicht stürzende Merkel könnte die Börsen mitreißen.

Von Marc Friedrich, Matthias Weik, Christof Völlinger und Sebastian Sigler

Schicksalstage für die Kanzlerin und das Land: Von der mächtigsten Frau der Welt zur Getriebenen, die um ihr politisches Erbe und Überleben kämpft. Die offensichtliche  Endphase ihrer Kanzlerschaft erinnert stark an den unrühmlichen Abgang Kohls. Ebenso wie einst ihr Mentor ist Merkel der Realität entrückt: Unbeirrt hält sie am Mantra der „offenen Grenzen“ fest, während andere Schutzwälle hochziehen wollen. Parallel ist das Land in eine handfeste Regierungskrise geschlittert, meistert diese nur ungenügend und erleidet international einen fühlbaren Ansehensverlust.

Statt Einzug ins Endspiel das Aus in der Vorrunde – die Nationalmannschaft war zuvor vom eigenen Verband degradiert worden. Aus der deutschen Nationalmannschaft wurde „Die Mannschaft“. Statt Jubel und zählbarem Erfolg auch für Merkel: das Aus. Durch sie ist das Land vom Exportweltmeister zur Bananenrepublik abgestiegen. Wir erleben eine historische Zeitenwende. Die letzten Wochen und das ganze Hickhack mit dem Höhepunkt durch Horst Seehofers Rücktritt vom Rücktritt haben dem Ansehen Deutschlands weltweit geschadet und die Bürger massiv verunsichert. Der faule Kompromiss mit der CSU wird Merkel nur temporär Luft verschaffen, die Demoskopen lügen nicht.

Schickt Merkel die Börsen auf Talfahrt?

Dass Angela Merkel im Ringen um die Asylpolitik noch eine europäische Lösung schafft, ist nach den Gipfeln der letzten Tage mehr als fraglich. Fast alle Länder Osteuropas und nun auch Österreich scheren aus und wollen ihre Grenzen schützen – von Italien ganz zu schweigen! Mit Blick auf die Geschichtsbücher will die CDU-Chefin ihren historischen Fehler aus dem Jahr 2015 nicht zugeben, denn ihre Vorgänger stehen für positive Dinge: Adenauer für die Heimkehr der Kriegsgefangenen, Erhard für das Wirtschaftswunder, Schmidt bot der RAF die Stirn, und natürlich ist Kohl der „Kanzler der Einheit”. Sie wird die „Kanzlerin der Einwanderung“ sein. Letztlich trägt sie mit ihrer einsamen Entscheidung die Verantwortung für den Kontrollverlust des deutschen Staates und die tiefe Spaltung Europas.

Und selbst wenn – wider Erwarten – die Asylpläne der EU-Kommission eine Mehrheit finden sollten, steht Deutschland ein teures Fiasko bevor: Einerseits kennt die EU keine Obergrenze, andererseits verficht gerade sie als deutsche Regierungschefin eine großzügige Linie bei Familienzusammenführungen. Nur deshalb steht auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der sie wahrscheinlich auch lieber von hinten als von vorne sieht, noch in Nibelungentreue zu Merkel: Sein erklärtes Ziel ist, die Zuständigkeit für die Asyl- und Flüchtlingspolitik in fast allen Punkten von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern. Und Deutschland soll im Zweifel alle Menschen aufnehmen, die nirgends anders unterzubringen sind – also nahezu alle. Die Probleme für Deutschland sind absehbar, der Niedergang der Finanzmärkte wird die mittelbare Folge sein. Millionen von anlegern werden große Teile ihres Vermögens verlieren.

Die EU hebelt nationale Parlamente aus

Gaben bisher weitgehend EU-Richtlinien den einzelnen Mitgliedstaaten ein Ziel vor, das in nationales Recht umzusetzen war und wenigstens teilweise noch die Berücksichtigung von nationalem Recht erlaubte, so werden diese im Zuge der Reform weitgehend durch direkt anwendbare EU-Verordnungen ersetzt. Und diese lassen den Staaten keinen Spielraum mehr: EU-Verordnungen gelten unmittelbar in jedem EU-Mitgliedstaat. Abweichungen im nationalen Recht sind nicht möglich – den EU-Staaten ist es nicht einmal gestattet, gleichlautendes nationales Recht zu erlassen.

Das bedeutet schlicht: Immer dann wenn ein Rechtsgebiet durch eine EU-Verordnung geregelt wird, hat der EU-Mitgliedstaat keine Befugnis mehr in diesem Rechtsgebiet, um  irgend etwas zu regeln. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) bedeutet daher nichts anderes als: Im Bereich des Flüchtlingsrechts gibt es kaum noch Befugnisse für die EU-Mitgliedstaaten, eigene Regelungen zu treffen.

Eine Lehre der vergangenen Jahre war: Solidarität in Europa gibt es im Asylbereich nicht. Nur ein Beispiel: Deutschland hat 2017 mehr als 64.000 Übernahmeersuchen an andere EU-Staaten gerichtet, weil nach hiesiger Auffassung andere EU-Länder für die Bearbeitung dieser Asylanträge zuständig waren. In etwa 46.000 Fällen haben andere EU-Staaten den Ersuchen zugestimmt. Nur: Tasächlich erfolgt sind etwa 7.000 Überstellungen, nicht zuletzt deshalb, weil EU-Staaten – auch wenn sie einer Überstellung zugestimmt hatten – tatsächlich nicht zurücknehmen.

Es gibt keine Dublin-Solidarität

In das Bild passt, dass Deutschland von Januar bis April 2018 laut Eurostat über 50.000 Asylbewerberzugänge registriert hat. Das ist weit mehr als in jedem anderen EU-Land.  Frankreich hat nicht einmal 28.000 (bis März), Schweden weniger als 6.000, Griechenland etwa 13.000 und Italien – von dem nur Zahlen bis Februar vorliegen – nahm nur etwas mehr als 12.000 auf. Die neue Populisten-Regierung in Rom macht seitdem mit zunehmender Härte die Häfen dicht, um ihre „Wehrhaftigkeit“ zu demonstrieren. Nur Spaniens Sozialisten präsentieren sich als humanitäre Nothelfer – verschweigen aber, dass die meisten Migranten an Bord direkt nach Frankreich und Deutschland weiterziehen. Tatsache ist: Das europarechtliche Zuständigkeitssystem nach der Dublin-Verordnung steht nur auf dem Papier, wie jüngst auch das Drama um die „Aquarius“ vor Augen geführt hat. In der Realität existiert es nicht. Willkommen in der Wirklichkeit!

Dieser harten Realität müsste sich endlich auch Merkel stellen. Wenn Deutschland quasi über Nacht seine Grenze für bereits in der EU registrierte Flüchtlinge schlösse, könnten Staaten wie Italien auf die Idee kommen, Neuankömmlinge erst gar nicht mehr zu registrieren, mahnt die Kanzlerin vor einem Durchwinken wie 2015. Doch sie blendet aus, dass das deutsche Grundgesetz in dem Fall eindeutig ist: Wer aus einem „sicheren Drittstaat“ einreist, egal ob registriert oder nicht, kann sich nicht mehr auf das Grundrecht auf Asyl berufen! Und wer wollte bestreiten, dass EU-Staaten sicher sind? Die Kanzlerin müsste lediglich ihren eigenen Worten von 2015  Taten folgen lassen: Wenn sie die Grenzen schließen ließe, würde die Mittelmeeranrainer keine Neuankömmlinge mehr registrieren – und nach Nordafrika sowie in den Nahen Osten abschieben!

Europa ist ein Papiertiger

Aber die Augen bleiben weiter fest geschlossen. Kleinster gemeinsamer Nenner ist nun, die Ausgaben für Migration und zum Schutz der Außengrenzen, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, im neuen Jahrzehnt auf 35 Milliarden Euro fast zu verdreifachen. Damit soll von 2021 bis 2027 auch die Aufstockung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf 10.000 Beamte berappt werden. Doch Vorsicht: Die bei Frontex beschäftigten Mitarbeiter sind von den EU-Staaten entsandte Beschäftigte – die Frontex-Aufstockung bedeutet daher tatsächlich, dass insbesondere noch mehr deutsche Polizisten an die EU „ausgeliehen“ werden – folglich hierzulande fehlen, was bei der derzeitigen Personalausstattung zu neuen Problemen führen wird. Zudem soll ein mit fast zehn Milliarden Euro ausgestatteter Grenzmanagement-Fonds geschaffen werden – zur Bekämpfung von Menschenschmuggel, für Rettungsmaßnahmen auf See und für eine schnelle Unterstützung besonders belasteter Staaten. Das war’s dann aber auch schon mit dem Gemeinsinn!

„Die Basis eines funktionierenden Staates ist doch, dass ein Land auch selbst darüber entscheidet, welche und wie viele Menschen zuwandern dürfen“, positioniert sich Österreichs Kanzler Sebastian Kurz gegen Merkel und die mächtige EU-Kommission. Statt über die seit Jahren nicht funktionierende Verteilung von Flüchtlingen nach festen Quoten zu debattieren, will er lieber mit CSU-Chef Horst Seehofer und Italiens Innenminister Matteo Salvini eine „Achse der Willigen“ zur Bekämpfung der illegalen Migration schmieden. EU-Grenzschützer sollen in Nordafrika tätig werden, um Migranten an der Überfahrt über das Mittelmeer zu hindern – im Extremfall unterstützt vom Militär.

EU-Pläne zur Neuansiedlung: de facto ein Geheimnis!

Kurz’ Pläne stehen der von Brüssel verfochtenen „humanen und effizienten Asylpolitik“ diametral entgegen, finden aber viel Zustimmung. Neben Italien und etwa Dänemark wissen auch die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die sich gegen die Zwangsumverteilung von Flüchtlingen stemmen, was ihnen durch das Gemeinsame Europäische Asylsystem blühen würde. Ist zum Beispiel in Deutschland bislang für Asyl und Flüchtlingsschutz das Asylgesetz maßgeblich, träten an dessen Stelle neue, übergeordnete EU-Verordnungen. Deren Zielsetzung ist nicht nur eine vollständige Angleichung der nationalen Asylsysteme innerhalb der EU. Geregelt würde auch nahezu lückenlos, was als Verfolgungshandlung gilt oder unter welchen Voraussetzungen ein Schutz erlischt. Die Folgen wären tiefgreifend.

Was derzeit in den Planungen ist, ist ein Geheimnis. Warum? Niemand hatte die Zeit, alles durchzuarbeiten. Es ist schlicht zuviel Papier. Die EU-Kommission hatte im September 2016 ihre wesentlichen Vorschläge für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem an den Bundesrat zur Stellungnahme gesandt. Der äußerst komplexe Text der Vorschläge umfasste über 250 Seiten. Die Stellungnahmen der Bundesländer mussten binnen weniger Tage abgegeben werden – auf Antrag von Nordrhein-Westfalen wurde dann der Tagesordnungspunkt von der an sich am 28. September 2016 vorgesehenen Bundesrats-Sitzung genommen, weil die Zeit viel zu kurz war, um Stellung zu nehmen. Bis Ende 2016 wurden dann die Stellungnahmen in den Bundesländern eingeholt, woraufhin sich die EU-Kommission mit Schreiben vom 9. März 2017 beim Bundesrat bedankte und schrieb, dass man hoffe, die offenen Fragen zu klären. Ob und inwieweit die vielfachen Bedenken von deutscher Seite inzwischen berücksichtigt wurden, weiß man in den Bundsländern nicht.

Ist der Berliner Koalitionsvertrag bereits Makulatur?

Demnach befindet man sich auf EU-Ebene inhaltlich noch auf dem Stand von Ende 2016 – und diese seinerzeit von der EU-Kommission unterbreiteten Vorschläge haben es in sich:  Nur ein „Knackpunkt“ wäre die „Wahrung der Einheit der Familie“. Während die große Koalition in Berlin gerade den Nachzug von maximal 1.000 Familienangehörigen pro Monat auf den Weg gebracht hat, legt die EU-Kommission die Regelungen für Familienangehörige recht großzügig aus. Wird einer Person „internationaler Schutz“ zuerkannt, dann haben auch der Ehegatte, nicht verheiratete und in dauerhafter Beziehung lebende Partner, minderjährige Kinder und – sofern der Flüchtling minderjährig ist – Eltern oder andere verantwortliche Erzieher einen Anspruch auf Aufenthalt. Diese Angehörigen genössen die gleichen Rechte wie derjenige, dem Schutz zugesprochen wurde. Der Familiennachzug gälte auch in allen Fällen von subsidiärem Schutz – anders lautende nationale Regelungen wären damit ausgehebelt. Auch die mühsam zwischen Union und SPD im Koalitionsvertrag ausgehandelte Obergrenze, die offiziell nicht so heißen soll, wäre Makulatur.

Der Innenausschuss des Europaparlaments geht sogar noch zwei Schritte weiter als die EU-Kommission: Behauptet ein Flüchtling, Verwandte in einem Mitgliedstaat zu haben, die einen legitimen Aufenthaltsstatus haben, soll der betreffende Mitgliedstaat automatisch zuständig für den neuen Asylantrag werden. Auf gut Deutsch: Das wäre in vielen Fällen die Bundesrepublik! Antragsteller sollen sich auch zu Gruppen von bis 30 Personen zusammenschließen können. Eine Einladung, ganze Clans nach Europa zu bringen.

Parallel will die Brüsseler Bürokratie in sage und schreibe 62 Artikeln allen EU-Staaten vorschreiben, wie sie die Verwaltungsverfahren und später auch die gerichtlichen Verfahren nach einheitlichen Standards durchzuführen haben. Nicht allein, dass ein Schutzsuchender Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung via Anwalt haben soll, jede Anhörung ist auch audiovisuell aufzunehmen. Und stellt ein unbegleiteter Minderjähriger einen Antrag, müssen ihm die Behörden spätestens am fünften Arbeitstag nach Antragstellung einen Vormund bestellen. Käme dies zum Tragen, drohte nicht nur eine neue Kostenlawine. Wegen des Vorrangs von EU-Recht vertreten viele Juristen sogar die Auffassung, dass das Grundrecht auf Asyl in Art 16a GG gestrichen werden muss: Da die Anerkennungsverordnung der EU sehr genau die Definition eines Flüchtlings und dessen Schutzanspruch regelt und es neben einer EU-Verordnung kein nationales Recht geben dürfe, müsse auch Art 16a GG gestrichen werden.

Willkommen zum Endspiel!

So einig sich die europäische Schicksalsgemeinschaft beim besseren Schutz ihrer Außengrenzen ist, so wenig funktioniert die solidarische Verteilung von Schutzsuchenden. Besonders die Hotspots Italien und Griechenland betteln vergeblich um mehr Beistand. Die Gräben sind tief und weiterer Beweis das die EU nicht funktioniert. Österreichs Kanzler Kurz hält die Quote ohnehin für gescheitert. Sie treibe den Keil zwischen den Staaten nur noch tiefer. „Wir können nicht länger jeden aufnehmen, der es mit Hilfe eines Schleppers illegal in die EU schafft“, umreißt der ÖVP-Chef seine Linie. Die Flüchtlingsfrage wird für die Europa zum Lackmustest. Nicht nur für die EU, sondern auch für Merkel, die am Ende ihrer Kanzlerschaft steht. Mit unabsehbaren Folgen für Deutschland.

Ganz direkt in dieser Linie haben auch Anleger mit höheren Risiken zu rechnen. Das betrifft die Aktienmärkte ebenso wie die festverzinslichen Papiere. Auf einen Nenner gebracht: Merkel hat zehnjährige Bonds auf den deutschen Staat zu höchst riskanten Papieren gemacht. Von Deutschland redet derweil sowieso niemand mehr, nur noch vom „deutschen Staat“. Es gibt ja auch keine Fußball-Nationalmannschaft mehr, sondern nur noch „Die Mannschaft“. Willkommen zum Endspiel!