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„Sonst fehlen uns 2023 die Nahrungsmittel“

Steht die deutsche Energiewende als Folge des Ukraine-Kriegs vor dem Blackout? Ist Atomkraft die Lösung? Darüber muss man streiten - so wie gerade auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2022.

Steht die deutsche Energiewende als Folge des  Ukraine-Kriegs vor dem Blackout? Ist Atomkraft die Lösung? Darüber muss man streiten - so wie gerade auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2022.

Von Anke Henrich

Die Niederlande legen vor. In spätestens acht Monaten wollen sie unabhängig von russischem Gas werden. Und Deutschland? „Ein sofortiger Ausstieg aus der russischen Gasversorgung ist unverantwortlich“, teilte Klaus Josef Lutz beim Energie-Summit auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee gleich aus. Der Chef des Agrarkonzerns BayWa, befürchtete, „ohne wirklichen Gas-Ersatz werden wir ab dem ersten Quartal 2023 in Deutschland nicht nur Probleme in der Industrie, sondern auch mit der Nahrungsmittelversorgung haben. Wir brauchen das Gas zur Herstellung von Dünger, Fleisch, Käse, Grundnahrungsmittel. Was ist eigentlich mit dem Eid des deutschen Bundeskanzlers, Schaden vom deutschen Volk abzuhalten?“

Nun sind die Niederlande mit Deutschland nur schlecht zu vergleichen, die Gasimporte aus Russland sind deutlich geringer. Deutschland bezog 2021 rund 55 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland, im ersten Quartal waren es wegen des Angriffs auf die Ukraine nur noch 40 Prozent. Der Anteil soll weiter sinken, wird aber dauern.

Um Schaden von der Bevölkerung abzuhalten, schlägt Baywa-Chef Lutz vor, die letzten drei deutschen Atomkraftwerke befristet weiterzubetreiben. Das sei eine „absolute Notwendigkeit“.
Wie weit will die Bundesregierung der Wirtschaft entgegenkommen? Und was hält der britische Energieminister vom deutschen Weg? Darüber diskutierten Industrie, Politik und Kommunen heißblütig beim Entscheidertreffen am Tegernsee.

Ricarda Lang, Vorsitzende der Grünen und Bundestagsabgeordnete, widersprach sofort: „Atomenergie bietet keinen ernsthaften Beitrag zur deutschen Versorgungssicherheit.“ Ein Wiedereinstieg in die Kernkraft mache keinen Sinn, sei aus Sicherheitsgründen, wegen langjähriger Genehmigungsverfahren und hoher Investitionskosten nicht machbar. Zudem könne Atomstrom kein Gas ersetzen.
Das sah Michael Ebling, Mainzer Oberbürgermeister und Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen, ähnlich. Ihn treibe eine ganz andere Sorge um. „In Anbetracht auch  des Krieges können wir uns nicht mehr stur an alten Energie-Agenden abarbeiten. Wie lange wollen wir zum Beispiel noch über Kohle diskutieren? Wir brauchen Öffnungsklauseln.“ Gerade die kommunalen Energieversorger könnten dezentral aufgestellt zum Treiber der Energiewende werden. Sein dringender Wunsch an die Politik: „Entfesselt uns! Die Stadtwerke haben ambitioniertere Klimaziele als der Bund.“

Die Chefin der Eon-Tochter Westenergie, Katherina Reiche, betont, dass das energiepolitische Zieldreieck aus Energiesicherheit, Wertschöpfung und Klimaschutz wieder in Balance kommen muss. „Sicher, nachhaltig, bezahlbar und frei – das sollte das Ziel für unsere zukünftige Energieversorgung sein.“ Dem grünen Molekül Wasserstoff komme hierbei eine Schlüsselrolle zu. „Wasserstoff ist ein Freiheitsstoff. In vielerlei Weise. Er macht uns frei von Emissionen, frei von fossilen Brennstoffen und damit frei von geopolitischen Abhängigkeiten. Es geht hier um einen noch ambitionierteren Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Wir brauchen leistungsfähige und sichere Lieferketten, einen raschen Aufbau der notwendigen Infrastruktur und neue internationale Partnerschaften für Wasserstoffbrücken nach Europa – mit Wertepartnern wie Australien. Dafür müssen wir nicht nur größer denken, sondern vor allem auch im größeren Maßstab schneller handeln. Und dazu brauchen wir noch mehr politischen Rückenwind.“

Die Frage ist, wie lang das dauert. Denn eine bundesdeutsche Realität brachte alle Experten auf die Zinne: Die Dauer von Genehmigungsverfahren rund um erneuerbare Energie. Sechs Jahre für ein neues Windrad seien inakzeptabel. Grünen-Politikerin Lang versprach Abhilfe.

Greg Hands, britischer Energieminister, folgte der deutschen Aufregung während der Diskussion zurückgelehnt und mit großer Gelassenheit. Der Rat des britischen Regierungsmitglieds lautete: „Wir müssen alle so schnell wie es geht aus dem russischen Gas und Öl raus.“ Atomkraft sei viel grüner als klimaschädliche Kohle oder das Flüssiggas LNG mit seinen doppelt so hohen Emissionen. „Wir Briten haben lange Erfahrung mit sicherer, grüner Atomkraft und sind damit von niemandem gefährlich abhängig. Wir würden sie unseren Partnern empfehlen.“ Eines sei in Anbetracht des Ukraine-Krieges aber aus seiner Sicht unverhandelbar: „Nach dem Krieg darf es absolut kein Business as usual mit Putin geben. Wir müssen die Kontakte nach Russland neue aufbauen. Eine Zusammenarbeit mit Putin ist unvorstellbar.“