Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Analysen >

20 Jahre Xetra: Börse ohne Geschrei

Am 28. November 1997 ging das elektronische Handelssystem Xetra an den Start. Damit begann ein Epochenwechsel: Die gestikulierenden Händler auf dem Parkett wurden nun zu einer aussterbenden Spezies. Nach und nach verlor der Börsensaal seine Bedeutung als Handelsplatz. Heute ist das „Image“ des Saals mit seiner klackernden DAX-Tafel mehr wert als alles, was dort noch umgesetzt wird.

BÖRSE am Sonntag

Am 28. November 1997 ging das elektronische Handelssystem Xetra an den Start. Damit begann ein Epochenwechsel: Die gestikulierenden Händler auf dem Parkett wurden nun zu einer aussterbenden Spezies. Nach und nach verlor der Börsensaal seine Bedeutung als Handelsplatz. Heute ist das „Image“ des Saals mit seiner klackernden DAX-Tafel mehr wert als alles, was dort noch umgesetzt wird.

Die Börse liebt das „X“. X-markets, Xetra, X-change: Aus dem angelsächsischen Kurzsymbol für „Börse“ bastelte man in Deutschland schon viele Begriffe. Seit 20 Jahren gibt es nun den Xetra-Handel, das Kunstwort steht für „Exchange Electronic Trading“ und bezeichnet ein computergesteuertes Orderbuch, das 1997 Transparenz, Kostensenkungen und Schnelligkeit ins Geschehen bringen sollte. Ein Erfolg, gewiss, denn die Plattform ist national und international von Anfang an heiß begehrt gewesen.

Natürlich konnte noch niemand all die vielen kleinen Plattformen kennen, über die der Handel heute auch außerbörslich zusätzlich läuft – Daytrader waren teils noch in Windeln, und der ultraschnelle Handel in Nanosekunden stand erst bevor. Jedenfalls konnten sich professionelle Investoren über mehr als halbierte Transaktionskosten freuen – Privatanleger erhielten Zugang erst ein knappes Jahr später. Auch sie profitierten, denn die Kursausführung konnte man, wenn man ein Internetbrokerkonto besaß, quasi mit einem Wimpernschlag verfolgen.

Trotzdem rumpelte es zu Beginn gewaltig. Die Energie solcher Teilnehmer, die ihre Mitmenschen übervorteilen wollten, war offenbar in der Computereuphorie unterschätzt worden. Das offene Orderbuch lud ein, fiktive Angebote einzustellen und blitzschnell wieder zurückzuziehen, oder aber Liquidität vorzutäuschen, wo keine war. Auch nahm der Computer zunächst keine nennenswerte Plausibilitätsprüfung vor. Kursverläufe wie 10-11-180-11-11 waren tatsächlich vorstellbar und passierten auch. Derartigen Unsinn verzapfen zwar auch menschliche Trader, etwa im Falle des Übernahmerauschs von Porsche für VW vor wenigen Jahren, aber auf das Elektronenhirn ist man gern und besonders sauer.

Die Deutsche Börse bügelte am Xetra-System herum, zog Leitplanken ein und schaffte es, grobe Auswüchse zu unterbinden. Dennoch schlug damals auch die Stunde der stationären Frankfurter (und Stuttgarter oder Düsseldorfer) Börse: Wer wollte, dass seine Order noch einmal durch die Hände eines Betreuers ging, wählte etwa die FWB als Plattform und fühlte sich besser aufgehoben. Außerdem geht der Handel früher an den Start und überdauert den Xetra-Handel um zweieinhalb Stunden am Abend. Dennoch: Neben Xetra ist zwanzig Jahre nach dem ersten Gongschlag alles andere nur Beiwerk.

Unterdessen arbeitet die Börse natürlich an den nächsten Generationen der Digitalisierung. Etwa die Hälfte der Börsenmitarbeiter beschäftigen sich mit computerbasierter Entwicklung: Genau genommen ist die Deutsche Börse am ehesten noch ein Technologieunternehmen, zugehörig zur IT-Branche. Auch wenn die maßgeblichen Leute im Hause sich nicht so empfinden mögen. Dabei ist Xetra schon wieder auf dem Weg nach draußen. Galt damals die Orderausführung binnen zwei Sekunden als revolutionär, so gilt heute, wie es die Börse gern erzählt, eine Zehntausendstel Sekunde als Maß der Dinge. Das ist mit dem menschlichen Auge nicht mehr verfolgbar. Was allerdings verfolgbar ist: Die Aktivitäten, und zwar alle, auch im Nachhinein.

Die generell als etwas schläfrig titulierte Börsenaufsicht hat es seit Xetra definitiv leichter, Handelsverstößen nachzugehen. Denn eines konnte und kann auch das beste Computer-Handelssystem nicht ausschließen: Den Kampf zwischen Gier und Angst, den schon Börsenguru André Kostolany als konstituierendes Element des Handels ausmachte, aus dem Geschäft zu verbannen. Wäre wohl auch kontraproduktiv: Wüßte der Computer alles, könnte er faire Kurse ermitteln und todsicher Prognosen abgeben, wäre das das Ende des Börsengeschehens. Nicht realistisch, und wohl auch kaum wünschenswert. Die Elektronik bleibt im Wertpapiergeschäft die dienende Instanz. Dummheiten macht der Mensch besser.