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Aufschwung, Müh’ und Sorge

Es geht prächtig voran, die Situation ist schon fast surreal: Deutschland erlebt einen Aufschwung und einen Fortschritt auf fast allen Wirtschaftsgebieten, wie es das seit vielen Jahren nicht mehr gegeben hat. Das sind neue Töne aus einer Analyse des "World Economic Forum" (WEF), das durch seine jährlichen Wintertreffen im schweizerischen Davos bekannt geworden ist, sich aber sehr viel mehr als Think Tank begreift und Studien zu wirtschaftlichen Verhältnissen weltweit unternimmt.

BÖRSE am Sonntag

Es geht prächtig voran, die Situation ist schon fast surreal: Deutschland erlebt einen Aufschwung und einen Fortschritt auf fast allen Wirtschaftsgebieten, wie es das seit vielen Jahren nicht mehr gegeben hat. Das sind neue Töne aus einer Analyse des "World Economic Forum" (WEF), das durch seine jährlichen Wintertreffen im schweizerischen Davos bekannt geworden ist, sich aber sehr viel mehr als Think Tank begreift und Studien zu wirtschaftlichen Verhältnissen weltweit unternimmt.

Aktuell nun hat sich Deutschland auf den fünften Rang vorgearbeitet, nur knapp hinter den USA auf dem vierten Platz. Schweiz, Schweden, Singapur liegen davor – die vormals bei den Euroländern führenden Finnen fielen zurück. Nun also Deutschland als erstes Land der Eurozone: Maßvolle Löhne, hohe Innovationskraft im Mittelstand und kluges Verhalten der Politik und der Unternehmen in der Wirtschaftskrise tragen Früchte. Ohne dass große Verwerfungen zu erwarten wären, deuten sich im Herbst sinnvolle Tariferhöhungen für die Arbeitnehmer an, und sowohl der Eurokurs als auch die Staatskrisen in Südeuropa schlagen nicht mehr auf die Stimmung durch. Konsum erweist sich, ganz ungewöhnlich für Deutschland, als mittragendes Element des Aufschwungs. Der mag sich im Laufe des Herbstes verlangsamen, auch muss man bei den Wachstumsraten die schwere Delle des vergangenen Jahres berücksichtigen – alles in allem aber gibt es keinen Grund für Trübsal. Also – gibt es eben Trübsal ohne Grund. Aus unerfindlichem Anlass zeigen sich in aktuellen Umfragen die Deutschen überwiegend bedrückt. Fast zwei Drittel fürchten sich vor Konjunktureinbrüchen, Terrorattacken oder Naturkatastrophen, gern auch alles zusammen. Arbeitsplatzverlust, Vulkanausbrüche, Aschewolken und Ölpest belasten das Gemüt. Vielleicht ist es wie an der Börse: Erst eine wirklich pessimistische Haltung schafft die Voraussetzungen für eine Kurserholung. Es steht aber doch zu befürchten, dass sich die negative Stimmung direkt äußern könnte: in höheren Sparraten, geringerem Konsum und allgemein depressiver Herangehensweise an tatsächlich ja durchaus vorhandene Probleme. Das scheinbare Paradox der Börsenweisheit entfaltet seine Wirkung im Alltag eher nicht. Aus negativer Geisteshaltung resultiert erfahrungsgemäß auch eher Negatives. Es ist müßig, wer nun an der Diskrepanz schuld ist im Lande: Ist es die Politik, die raue Wirklichkeit oder schlicht der Nationalcharakter – wichtig allein wäre, den unbestreitbar vorhandenen Fortschritt mutig zu begleiten, statt verzagt zu befürchten. Gerade im Mutterland des (meist erfolgreichen) Kapitalismus gehört eine Grundausstattung an Optimismus, mag er auch manchmal naiv erscheinen, zu den selbstverständlichen Wohlstandsvoraussetzungen. Nachdem man die Amerikaner auf der Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit überrundet hat, könnte man es mal mit deren Rezepten versuchen. Vielleicht führt das im nächsten Jahr dann noch weiter nach vorn.