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Die Brexit-Dealer

Manche vergleichen es schon mit der Suez-Krise 1956: Im Glauben, noch das unbesiegbare Empire des 19. Jahrhunderts zu sein, hatten die Briten zusammen mit Frankreich und Israel versucht, den vom ägyptischen Präsidenten Nasser verstaatlichten Suez-Kanal militärisch zurückzuerobern. Ein leichter Klaps durch die amerikanischen „Vettern“ genügte, um dem Spuk ein Ende zu machen.

BÖRSE am Sonntag

Manche vergleichen es schon mit der Suez-Krise 1956: Im Glauben, noch das unbesiegbare Empire des 19. Jahrhunderts zu sein, hatten die Briten zusammen mit Frankreich und Israel versucht, den vom ägyptischen Präsidenten Nasser verstaatlichten Suez-Kanal militärisch zurückzuerobern. Ein leichter Klaps durch die amerikanischen „Vettern“ genügte, um dem Spuk ein Ende zu machen.

Das Konzept, längst verlorene einstige Großartigkeit mit Gewalt zurückzugewinnen, treibt die Hardliner in der erbitterten Brexit-Schlacht an – und mag dabei auch das Land in Geiselhaft genommen werden und hart dafür bezahlen am Ende. Dann nämlich, wenn die Drohungen jener Parteifreunde der britischen Premierministerin Theresa May wahr werden, indem das Parlament gegen den gerade ausgehandelten Deal stimmt.

Der Wutpunkt für die Brexiteers ist die offene Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland. May hatte versprochen, dass es zwischen diesen beiden keine „harte“ Grenze für Menschen und Güter geben dürfe – und hat sich damit nach Ansicht der Hardliner erpressbar gemacht. Mit dem Hinweis auf Irland konnten die EU-Verhandler um Michel Barnier eine weitere Mitgliedschaft der Briten im europäischen Zollsystem erreichen, und in einer 20monatigen Übergangsfrist auch die Einbindung des Vereinigten Königreichs in EU-Regulierung, ohne jedoch freilich mitbestimmen zu dürfen. Insgesamt vier Minister und Staatssekretäre gingen nun von der Fahne, weitere Kabinettskollegen von Frau May überlegen noch. In der Fraktion der Konservativen sammeln May-Gegner Stimmen für ein Misstrauensvotum, Ihrer Majestät Opposition wird nicht einmal gebraucht, wenn es um Opposition geht: Das machen die Tories schon selber.

Die „Financial Times“ sieht die Konservative Partei am Rande eines Bürgerkriegs.

Das Chaos in London schickte das Pfund auf Talfahrt und prügelte die Aktienkurse solcher Unternehmen, die von einer gut laufenden britischen Binnenkonjunktur profitieren, so etwa Regionalbanken und Unternehmen der Bauindustrie. „Dies ist überhaupt kein Brexit“, schäumen die Gegner im Parlament und in der Partei über das 585-Seiten-Vertragswerk, das ohnehin noch einen weiten Weg der Zustimmung durch die verbleibenden 27 Mitglieder der EU vor sich hätte. Noch niemand redet über das Erpressungspotential kleinerer EU-Staaten, die sich ihre Zustimmung von Wohltaten aus Brüssel versüßen zu lassen versucht sein könnten. Diese Büchse der Pandora bleibt vorerst zu, was angesichts der schwindenden Zustimmung für Frau May wohl auch durchaus so bleiben könnte: Nach einer Ablehnung des Entwurfs durch das Parlament in Westminster wäre anschließend ja wohl niemand mehr gefragt. In der Tat würde die dauerhaft offene Grenze auf der irischen Insel dafür sorgen, dass Großbritannien entweder auf Dauer in den EU-Handelssystemen gefangen bliebe, oder aber es müsste auf Dauer eine andere Lösung für Irland geben, sprich: Wiedervereinigung mit der Republik Irland.

Aus diesen Perspektiven speist sich die ungeheure Wut vor allem der DUP, der Partei nordirischer Protestanten, auf die Theresa May im Parlament angewiesen ist. Jede auch noch so kleine Änderung des Status der „Provinz Ulster“ wird von ihnen erbittert bekämpft. Ironischerweise könnte das Chaos im Königreich genau zu dem führen, was definitiv keine Partei auf dem Zettel hat: Ein erneutes Referendum über den Brexit als solches. Außerhalb des Parlaments erstarkt die Bürgerbewegung für eine Revision. „Plebiszite werden zur Tyrannei, wenn die Bürger keine Gelegenheit bekommen, ihre Meinung zu ändern und neu abzustimmen“, heißt es in der Londoner Presse.

Womöglich entpuppt sich die Brexit-Affäre eines Tages als Spuk ohne historische Dimension. Falls das so sein wird, darf man aber wohl vermuten, dass kein Politiker in Westminster dies so in der Hinterhand hatte. Ihnen erscheint im Moment nur die Entscheidung zwischen dem vorliegenden „Deal“ oder einem ungeregelten Ausstieg im März 2019 als denkbar und realistisch. „Die Konservativen befinden sich auf einer langen, dunklen Reise zu sich selbst – und nehmen das ganze Land mit sich“, sagt ein Londoner Finanzjournalist. Da spricht in der Tat wenig britische Glorie, sondern eher Resignation. Womöglich hatten die Finanzmärkte recht in der abgelaufenen Woche mit ihren düsteren Reaktionen.

Reinhard Schlieker