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Warum die Börsen keine nüchtern-rationalen Berechnungen der möglichen Zukunft kalkulieren, ist eines der letzten Rätsel der Menschheit, kann unerschrockene Naturen aber immerhin reich machen.

Warum die Börsen keine nüchtern-rationalen Berechnungen der möglichen Zukunft kalkulieren, ist eines der letzten Rätsel der Menschheit, kann unerschrockene Naturen aber immerhin reich machen.

Von Reinhard Schlieker

Man kann sich dieser Tage auf gar nichts verlassen, nicht einmal das Gegenteil. Der altgediente Fondsmanager Klaus Kaldemorgen wunderte sich in diesen Tagen in einem Interview über das Ausmaß des Schreckens, bestätigte aber immerhin eine simple computergestützte Wahrheit unserer Zeit: Wo äußerst empfindliche, ja womöglich gar feinsinnige Algorithmen den Handel übernommen haben, kann der Mensch nur zusehen und staunen. Da wird halt automatisch verkauft, wenn alle verkaufen, und es sinken logischerweise alle ETF-Kurse, wenn die zugrundeliegenden Indizes übereinander purzeln, das kauft man bei diesen Papieren gleich mit – und bei Rekordjagden rund um Märkte und Segmente beschwerte sich ja nun auch niemand. Der Stand des Wissens und der Erfahrung in Sachen Viren und Epidemien sagt uns, dass es eine unbekannte Verbreitungsdichte des Corona-Erregers geben wird, deren Tempo von sinnhaften Isolationsmaßnahmen gebremst werden kann – womit Zeit gewonnen ist und die Systeme des Staates womöglich besser nachkommen mit Vorbeugung und Pflege, was wiederum die Opferzahlen senken dürfte.

Unterdessen kann man nach Impfstoffen suchen und Heilverfahren, und das war es. Warum die Börsen keine nüchtern-rationalen Berechnungen der möglichen Zukunft kalkulieren, ist eines der letzten Rätsel der Menschheit, kann unerschrockene Naturen aber immerhin reich machen – je nach Vermögen springt vielleicht nur ein Abendessen mit dem Gemahl heraus statt einer Drittjacht, aber immerhin. Wenn man nicht unbedingt zu einem festen Datum futtern oder segeln muss. Dieses nämlich wird auch davon bestimmt, wie groß oder klein die nun täglich zu beobachtende Auswahl an Kopflosigkeit ausfällt. Italien macht es vermutlich richtig, musste aber auch erst vor einem gewaltig wachsenden Problem stehen. Da wo Könige in Quarantäne gesteckt werden müssen, zeigt sich das Staatsvolk ebenfalls eher beeindruckt. In Deutschland dagegen wird erwartbar über Schwachsinn debattiert – ob 499 Teilnehmer oder 999 tragbar seien bei Festivitäten oder jeweils einer mehr? Wer noch ganz bei Trost ist, geht weder zum einen noch zum anderen Event. Soll man Schulen schließen? Dann muss ja das Krankenhauspersonal zuhause bleiben und auf die Kinder aufpassen statt heilend einzugreifen in der Klinik – niemand hat offenbar von Betreuern gehört, die ja vielleicht gesund sind und helfen könnten.

Im Klein-Klein der Debatte kann man sich eigentlich nur auf eines verlassen: Das Virus schert sich nicht darum und verbreitet sich ungeachtet jedes Föderalismus und kommunaler Hoheitsrechte halt wie es so seine Art ist. Milde Worte aus der Regierungsspitze lullen ein wenig, weil Plattitüden doch immer so schön ablenken, während der Rest der Welt jeweils tut, was er kann. Und keineswegs nur an der Börse ist mindestens die Hälfte Psychologie: Wer Mundschutz trägt, den jedes durchschnittlich begabte Virus schlicht durchdringen wird, einfach wegen der Kleinheit des letzteren und der zu geringen Dichte des ersteren (wenn es wirksam wäre, bekäme man keine Luft dadurch), und wer sich damit besser fühlt – warum nicht? Schließlich lernte man ja auch mal in unseren Breiten, dass man sich bei einem Angriff mit radioaktiven Kriegswaffen oder einem Atomunfall mit seiner Aktentasche bedecken solle, ersatzweise einer Zeitung, um sich zu schützen – in Zeiten von Rucksäckchen und E-Paper ist das leider ganz in Vergessenheit geraten.

Wem nichts mehr einfällt, und das sind viele und nicht die schlechtesten unter uns, der wartet auf den Sommer, welcher das Virus schwächt und die Körperkräfte stählt. Es könnte mit der Gesamtheilung auch ein wenig schneller gehen, wenn die teilhysterisierten Medien ein anderes Thema entdecken, das an Unerhörtheit einige Wochen die Corona-Thematik verdrängt – aber ob wir uns das wirklich wünschen sollten, ist eine andere Frage. Vielleicht kommen ja auch ein paar alte Bekannte zurück – Sie erinnern sich? Diesel, Klimawandel, Fluch und Fluten? Ganz ohne so etwas wird es nicht mehr gehen, die Zeit der beruhigenden Aktentasche kommt nicht wieder.