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Der große Ausverkauf

War das nun die – lang ersehnte, möchte man fast sagen, – Panik? Kollabierende Börsen, abstürzender Euro, trübe Ausblicke der Wirtschaft und zögerliche Verbraucher sind die Zutaten zum Albtraumszenario.

BÖRSE am Sonntag

Anleger, die es noch ausgehalten haben an den Börsen, erwarteten den großen Ausverkauf wie einen Tag der Errettung. Und dazu gehören auch all diejenigen, die jüngst gekauft haben in der Erwartung, dass es nach unten eine natürliche Begrenzung geben muss. Womit sie sicherlich recht haben, und die man auch in Zahlen vermutlich so in etwa ermitteln kann. Das setzte aber voraus, dass wir es an der Börse mit einem rational unterfütterten Handel zu tun haben, was momentan ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Niemand wird glaubhaft erzählen können, dass ein Unternehmen, wie die Deutsche Bank oder Daimler, am Mittwoch ein Drittel mehr wert ist als am Freitag. Gerade Daimler: Das Unternehmen kann man inzwischen für den doppelten Preis seines Bargeldbestandes erwerben. Rational ist das nicht, selbst wenn man einbezieht, dass die Autoverkäufe zurückgehen werden und dass Daimler natürlich erhebliche Verpflichtungen für die Zukunft hat.

Das panikartige Abstoßen von Aktien könnte also tatsächlich die letzte, wirklich schockierende Wendung an den Börsen sein, die von der gegenwärtigen Finanzkrise ausgelöst wird. Genau wird man das allerdings erst sagen können, wenn einige Wochen oder gar Monate ins Land gegangen sind. Außerdem geht diese Annahme aufgrund früherer Erfahrungen davon aus, dass die Panik einem Großreinemachen gleichkommt, also die von Kostolany einst so betitelten „zittrigen Hände“ aus dem Markt verschwunden sind und nur die stabilen, wetterfesten Anleger übrigbleiben. Wie alles, ist aber auch Wetterfestigkeit relativ. Wenn von der Verbraucherfront weiter schlechte Nachrichten kommen, könnte auch deren Panzer noch bröckeln. Gerade in den USA sind die Aussichten da noch weit ungewisser als in anderen Teilen der Welt. Die Verschuldung der privaten Verbraucher ist riesig, manche leben nur von den wenigen Dollars, die sie monatlich noch mit ihrer Kreditkarte bezahlen dürfen, ehe sie wieder ans Limit geraten. Die Zwangsversteigerungen von Privathäusern gehen weiter, und nur zu aberwitzigen Niedrigpreisen finden sich Käufer – im mittleren Westen gehen 680.000-Dollar-Häuser nur noch für wenig mehr als 100.000 weg. Wer da heute es sich leisten kann und so ein Haus kauft, könnte zur neuen glücklichen Klasse derer gehören, die nach der Krise ihren Aufstieg perfekt machen.

Derweil stehen nach Expertenmeinung immer noch zahlreiche Hedgefonds vor dem Aus. Sie müssen angesichts ihrer gehebelten Engagements viel schneller verkaufen als herkömmliche Fonds, wenn Anleger ihr Geld abziehen wollen. Niemand wird sie retten wollen, aber das Buchgeld, was da noch verschwinden dürfte, ruft schon eine gewisse Ehrfurcht hervor. Von Billionen spricht man in den USA, wenngleich die Berechnung schwierig sein dürfte: Die Werte in den Depots der Hedgefonds sind zusammengeschmolzen, aber verschwunden sind sie größtenteils nicht.

Insgesamt aber hat sich am Wochenschluss gezeigt, dass die Finanzkrise sich viel schneller als erwartet in eine Weltwirtschaftskrise verwandelt. Und man kann es nicht mehr anders nennen. Rund um den Globus sinken die Kurse ja nun nicht mehr, weil einzelne Banken gefährdet sind – dafür gibt es ja inzwischen weltweit die entsprechenden staatlichen Rettungspakete. Für global einbrechenden Absatz, für fehlendes Verbrauchervertauen und Käuferstreik aber gibt es nichts – außer abwarten, bis es vorbei ist. Das Schlimme ist: Die Regierungen haben getan, was sie konnten. Nun aber, wo es erst richtig losgeht, haben sie keine Pfeile mehr im Köcher.