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Die Börsen und der Nikolaus

Die Amerikaner feierten 2019 eine ganz besondere „Santa Rally“ – mit dem Standard & Poor’s-Index um fast 29 Prozent wertvoller als im Jahr zuvor, dem traurigen 2018. Und den Klecks Sahne obendrauf eben im Dezember, der Nikolausrally zu verdanken (und keiner weiß, warum).

Die Amerikaner feierten 2019 eine ganz besondere „Santa Rally“ – mit dem Standard & Poor’s-Index um fast 29 Prozent wertvoller als im Jahr zuvor, dem traurigen 2018. Und den Klecks Sahne obendrauf eben im Dezember, der Nikolausrally zu verdanken (und keiner weiß, warum).

Von Reinhard Schlieker

Der ehrwürdige Bischof aus Kleinasien hat sicher keine Aktien im Aktienmarkt gehabt und gehört der glaubwürdigen Legende nach eher zu denen, die was bringen, oder denen, die ihren Mantel teilen, statt zu den Raffzähnen, von denen es immer noch und immer wieder welche gibt (davon wird noch zu reden sein). Jedenfalls gilt: Sind die amerikanischen Anleger glücklich, freut sich der Mensch, der europäische. Denn folgerichtig erhob sich auch der Dollar-Weltindex des FTSE deutlich mit 24 Prozent plus, ein zumindest flüchtig erhabener Anblick, dem DAX ging es ähnlich und dem bewährten MDAX auch. Angesichts trüberer Konjunkturaussichten und einer ganz und gar unweihnachtlich anzusehenden Welt suchen die Analysten, und vermutlich vor allem jene, die selbst nicht investiert sind, nach Erklärungen für das Phänomen – dabei schnell fündig werdend bei den Zentralbanken und ihren Nullzins-Inflationsphantasien.

Eine zinslose Anlage heute erscheint den Anlegern in Vermögenswerte, wie etwa Aktien oder Immobilien, denn auch derart deprimierend, dass sie ferne Gewinnzunahmen, unsicher wie sie auch sein mögen, dem ertraglosen Nullwachstum mit eingebautem Wertverlust vorziehen. Zumal bei Bundesanleihen etwa der Wertverlust zur Emission zeitweise garantiert ist, nämlich durch negative Renditen. Die Finanzminister der Eurozone haben noch immer keine Erklärung geliefert, warum sie angesichts dieser Ertragslage nicht auf neue Steuern und versteckte Bürgerbelastungen verzichten können – einzig sachdienliche Antwort: Sie wollen einfach nicht. Aber das ist dann schon Politik, und die erschließt sich nicht jedem, daher hier jetzt Schluss damit.

Es mag vermessen sein und unfair obendrein, Finanzpolitikern einen gehörigen Schuss Carlos-Ghosn-Mentalität zu bescheinigen – kein Arzt hat es schließlich je diagnostiziert. Aber ein genialisch eingestufter Manager, der einen Kontinent-übergreifenden Autokonzern schmiedete, dabei regulär Millionen verdiente und irregulär noch weit mehr, der betreibt ebenfalls den einnahmeorientierten Overkill. Kontinentübergreifend nämlich auch seine Immobilien (kluge Anlage!), Freunde und Genossen breit gestreut (exkl. Japan), sowie hier ein paar Millionen und da auch. Geheime Zahlungen von Nissan sollen den gefürchteten Konzern-Kostenkiller in eine finanziell bequeme Lage gebracht haben, während das von ihm geführte Konglomerat Renault/Nissan/Mitsubishi eher durchwachsen performt, wie man so sagt. Ghosn leistete sich derweil Themenpartys voller Grandeur auf Firmenkosten, ein Apartment in Rio (er ist auch brasilianischer Staatsbürger, dazu Franzose und Libanese) und zeitlos wertvolle Kunst, man ist ja nicht irgendwer. Nun also Beirut im eigenen Palast, während in Staaten entlang seiner Fluchtroute schon Helfer arretiert werden. Die japanische Justiz, die sich rechtsstaatlich einschätzt, aber wohl auch eher rustikal orientiert ist, sieht momentan düpiert aus. Und woher der nagelneue französische Pass des Herrn Ghosn wohl kam?

Das sind Fragen über Fragen, aber vielleicht sieht mancher Anleger in Renault-Nissan nunmehr ohne den dezent größenwahnsinnigen Chef eine Gewinnchance. Zumal wenn es gelingt, einen Teil der illegal abgezweigten Gelder wieder einzutreiben. Der britische „Economist“ jedenfalls sieht Ghosn als Absteiger des alten und des neuen Jahres: Statt als Lenker eines Weltkonzerns sehe der nun „eher aus wie ein Outlaw, eingezwängt in ein Land von der halben Größe New Jerseys“ und dort eher auf dem Rücksitz eines Autos kauernd, versteckt unter einer Decke. Womöglich lebenslang. Ist das besser als ein japanisches Gefängnis? Wir wollen es gar nicht wissen.

Ach so, ein neues Börsenjahr hat begonnen. Schon an den ersten beiden Handelstagen eine Lehre für alle, die glauben, sie müssten unter die Propheten gehen: Unvorhergesehener Senkrechtstart mit Rohrkrepierer einen Tag später, da hagelte es Bad News von der amerikanisch-iranischen Front. Und keiner hat’s in seiner Kristallkugel gehabt. Das Zittern mit China weitgehend abgehakt, verstärkt sich nun im Mittleren Osten. So kommt man mit Geldanlage um die ganze Welt, auch wenn man gar nicht auf der Flucht ist.

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