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Die Crash Queen von München

Eine Frau aus einfachen Verhältnissen, also sozusagen dem Subprime-Niveau im München des 19. Jahrhunderts, sorgte für den ersten großen Anleger-Betrugsfall des jungen Kaiserreichs. Ähnlich wie Robin Hood, nur anders, nahm sie von den Ärmeren und gab – niemanden. Das von ihr gegründete Bankhaus bestand aus Schall und Rauch und einer Menge Geldsäcke in Truhen und Schränken. Ein Sittenbild mit Bezug zur heutigen Börsenlandschaft.

BÖRSE am Sonntag

Eine Frau aus einfachen Verhältnissen, also sozusagen dem Subprime-Niveau im München des 19. Jahrhunderts, sorgte für den ersten großen Anleger-Betrugsfall des jungen Kaiserreichs. Ähnlich wie Robin Hood, nur anders, nahm sie von den Ärmeren und gab – niemanden. Das von ihr gegründete Bankhaus bestand aus Schall und Rauch und einer Menge Geldsäcke in Truhen und Schränken. Ein Sittenbild mit Bezug zur heutigen Börsenlandschaft.

Von Adele Spitzeder, so hieß die stets sittsam gekleidete und auftretende Abzockerin, hätte Bernard Madoff noch etwas lernen können. Hat er vielleicht ja auch. Jedenfalls ist die Ein-Frau-Betrugsmaschine aus der Versenkung geholt worden: Der Autor Julian Nebel hat gerade im Finanzbuch Verlag eine Monographie veröffentlicht: „Adele Spitzeder. Der größte Bankenbetrug aller Zeiten“. Das Schneeballsystem der flotten Adele wuchs lawinenartig: Vom eingezahlten Geld der durch Mundpropaganda erreichten Kunden, meist kleine Handwerker und Landarbeiter, wurden die horrenden versprochenen Erträge gezahlt, zehn Prozent im Monat.

Finanziert durch neue Anlagen, denn die wundersamen Fähigkeiten der Frau Spitzeder sprachen sich in München schnell herum. Zumal Adele Vermittlunsgprovisionen einführte – der Geldregen wurde zum reißenden Strom. Dann, gegen Ende der sechziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts, begann sie, Kredite zu vergeben – gegen hohe Zinsen, aber nicht so hohe, wie bei den Wucherern üblich. Etwas Refinanzierung also gelang der Frau, die durch ihre fast männliche Erscheinung auffiel und wohl äußerst überzeugend auftreten konnte.

Die Menschheit wollte betrogen sein – und will es wohl noch immer. Bei Adele lohnte es sich für die ersten der Kunden, die immerhin ihre monatlichen zehn Prozent kassierten. Da haben unsere Zeitgenossen, die vor der Finanzkrise wegen lumpiger zwei Prozent (und zwar jährlich) Zinsdifferenz eine isländische Kaupthing Bank der heimischen Sparkasse vorzogen, bitteres Lehrgeld für nichts bezahlt. Auch heute finden sich genügend Anleger, die auf nigerianische Geschäftsanbahnungen hereinfallen, wertlosen Schmuck bei Kaffeefahrten und Billigreisen in die Türkei erwerben und tatsächlich glauben, dass in Zeiten ohne Zinsen vier Prozent Rendite risikolos möglich seien – wenn man nur schlau genug ist, den „richtigen“ Anbieter zu wählen.

Der eingangs erwähnte Bernie Madoff sitzt mehrfach lebenslänglich im Gefängnis – was für seine durchweg schwerreichen Kunden kein Trost ist, welchen wohl die Peinlichkeit stärker zugesetzt hat als der pekuniäre Verlust. Adeles Opfer hingegen waren Leute, die kaum etwas hatten – und nach der Erfahrung mit ihr oft gar nichts mehr. Insofern ähnelt eher die Firmengeschichte einschlägiger Kandidaten des seligen Neuen Marktes an der Frankfurter Börse an dieses Konzept: Da wurden Leute angelockt, die mit Aktien zuvor nichts am Hut hatten, und kräftig ausgenommen – bei solchen Läden wie Gigabell etwa gab es nichts Werthaltiges, allerdings einen zeitweise astronomischen Aktienkurs.

Niemand war gezwungen, dort anzulegen? Natürlich nicht – aber auch Adele Spitzeder versprach nichts, riet den Kunden, gut zu überlegen, aber die drängten ihr das Geld geradezu auf. Millionen waren es. So muss Betrug laufen, dachte sie sich. Bis zum Ende. Fast hätte sie es geschafft, mit ihrer Privatbank noch auskömmliche echte Renditen zu erwirtschaften – gelungene Immobiliengeschäfte halfen etwas. Der nie endenden öffentlichen Kritik begegnete sie mit großzügigen Spenden und Bestechungsgeldern, durch Erwerb eines Medienimperiums - aber die Skeptiker ließen sich nicht beruhigen. Anders als bei späteren Schneeballsystemen kam der Verdacht nicht erst spät oder gar überraschend. Man hätte es wissen können.

Den Behörden war das Treiben der Privatbank ohne Lizenz schon lange unangenehm aufgefallen: Viele Hunde wurden des Hasen Tod: Die Spitzeder’sche Bank wurde 1872 unter tumultartigen Begleitumständen geschlossen, Säcke voll Geld beschlagnahmt, aber nicht genug Säcke: Viele vertrauensselige Kunden verloren ihr Vermögen. Nach Prozess und fast vier Jahren im Gefängnis machte sie im kleineren Maßstab da weiter, wo sie aufgehört hatte: Erneut rannten ihr Kunden mit Geld die Türen ein, damit sie es für sie anlege. Der Erfolg aber blieb auf Dauer aus – bis zu ihrem Tod 1895 kam die fromme Adele nicht mehr richtig auf die Beine. Die Menschheit, die betrogen sein will, musste sich neue Betrüger suchen.