Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Analysen >

Essen auf Rädern

Es war einmal eine Firma, in Amerika natürlich, die hatte zu den Boomzeiten des Neuen Marktes die Idee, sich über das Internet rufen und bitten zu lassen – und brachte dann, so die Theorie, Lebensmittel frei Haus. Das Ganze auch noch börsennotiert und als letzter Schrei der Technisierung. Das Konzept ging schief, die Firma namens „Webvan“ geistert in Form wertloser Aktien noch heute durch die Kurszettel, wohl weil das Geld nicht gereicht hat, um nach den Lieferwagen auch noch die Notierung stoppen zu lassen.

BÖRSE am Sonntag

Es war einmal eine Firma, in Amerika natürlich, die hatte zu den Boomzeiten des Neuen Marktes die Idee, sich über das Internet rufen und bitten zu lassen – und brachte dann, so die Theorie, Lebensmittel frei Haus. Das Ganze auch noch börsennotiert und als letzter Schrei der Technisierung. Das Konzept ging schief, die Firma namens „Webvan“ geistert in Form wertloser Aktien noch heute durch die Kurszettel, wohl weil das Geld nicht gereicht hat, um nach den Lieferwagen auch noch die Notierung stoppen zu lassen.

Zehn Jahre später steigt der Buch- und Elektronikhändler Amazon in die Vermarktung verderblicher Ware ein und feiert das per Eil-Pressemeldung als neuesten Coup. Vielleicht geht heute ja gut, was vordem nicht gelingen wollte, wobei an den guten alten englischen Milchmann erinnert sei, der das Konzept seit Jahr und Tag täglich aufs Neue beweisen muss. Wobei dessen Service je nach persönlicher Absprache auch noch das kurze Aufpassen auf den Hund oder die Besorgung der Zeitung umfasst, was Amazon mit Sicherheit nicht bietet. Dennoch will der amerikanische Händler nach Deutschland nun auch die britischen Inseln versorgen. Wohl nach dem Motto, wer es in Deutschland schafft, schafft es überall. Dabei ist der Erfolg noch nicht garantiert. Zwar hat Amazon einige Dinge des täglichen Bedarfs im Angebot, die auch nicht überteuert sind (einen Liter fettarme Milch für 0,60 Euro zum Beispiel), allerdings dürfte es eine Weile dauern, bis sich der Konsument an die Lieferzeiten gewöhnt hat (es können bis zu drei Tage werden, haben Tests ermittelt). Und trotz der schieren Größe des Angebots könnte es einmal just das nicht geben, was dringend und möglichst heute noch gebraucht wird – und dann ist ohnehin wieder der Gang in den Supermarkt fällig. Ganz abgesehen von dem Problem, bei der Lieferung zu Hause sein zu müssen, was für viele schlecht einzurichten ist, die berufstätig sind. Bei der herrschenden Witterung die Schokolade aus der Postfiliale loszueisen, dann auch noch wohl erst am Folgetag, könnte zu einer Tasse lauwarmem Kakao führen, an Ort und Stelle. Derart logistische Probleme aber sollten lösbar sein, und Amazon hat aufgrund der schieren Präsenz und Marktmacht eben andere Startbedingungen als die Konkurrenz. Denn natürlich versuchen die Großen der Branche schon länger, mit der Lebensmittellieferung im Internet Fuß zu fassen. Ein Massengeschäft ist es bisher jedoch nicht geworden. Amazon enthebt sich mancher Probleme, indem der Händler am Ende gar nicht derjenige ist, der liefert. Es sind vielmehr zahlreiche Unterlieferanten, die, ähnlich wie bei Anbietern gebrauchter Bücher etwa, die Plattform gegen Provision nutzen. Das mag ein Win-Win-Geschäft sein: Mancher Hersteller oder Vertrieb erreicht so eben Kundenkreise, die ihm sonst verschlossen sein mögen. Und der Amazon-Aktie dürfte es nicht schaden.

Eine deutsche Besonderheit werden die Internet-Essenverteiler allerdings noch knacken müssen: Abgesehen von der erbitterten Schnäppchenjagd neigt man ja dazu, das „Look and Feel“ bei Lebensmitteln eher hoch zu schätzen. So weit, dieses zu ersetzen, ist das Internet aber nicht – noch nicht. Geruch und 3D-Darstellung kommen vielleicht noch. Oder die GPS-unterstützte Milchorder: Man peile den Lieferanten an, der gerade in der Nähe ist ... Dann aber stellt sich wieder die Frage, warum der Mann mit dem guten alten Gemüse-Lieferwagen aus dem Stadt- und Landbild verschwunden ist. Der bot einstmals schließlich alles, und das noch zum Anfassen.