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In Asien auf dem Sprung

Blicken wir nach Vietnam. Der Globus ist einfach zu groß, als dass man ihn auf täglicher Basis im Auge behalten könnte. Mag sich jedenfalls ein großer Teil der deutschen und europäischen Wirtschaft und definitiv der Politik so denken. Dabei sind die asiatischen Länder des Südostens mit Sicherheit beachtenswert, und man könnte mittlerweile viel von ihnen lernen. Vietnam ist ein gutes Beispiel, wie Reinhard Schlieker bemerkt.

BÖRSE am Sonntag

Blicken wir nach Vietnam. Der Globus ist einfach zu groß, als dass man ihn auf täglicher Basis im Auge behalten könnte. Mag sich jedenfalls ein großer Teil der deutschen und europäischen Wirtschaft und definitiv der Politik so denken. Dabei sind die asiatischen Länder des Südostens mit Sicherheit beachtenswert, und man könnte mittlerweile viel von ihnen lernen. Vietnam ist ein gutes Beispiel, wie Reinhard Schlieker bemerkt.

Vietnam – was Donald Trump wohl von diesem Land kennt. Bereits vor seinem Amtsantritt hat er jedenfalls damit begonnen, dort und in der ganzen Region Indochina einen erheblichen Schaden anzurichten, indem er das Pazifische Handelsabkommen TTP in Bausch und Bogen verdammte. Wüsste er, was er seinem eigenen Land damit zufügt, würde es das nicht tun – oder vielleicht doch? Die Einschätzung, was den USA nützt oder schadet, ist bei ihm offensichtlich nicht besonders gut ausgeprägt; was man sich nicht vorstellen kann, muss man dann eben erleben.

Derweil besetzt China die dominante Rolle, wo Washington sich als ausgleichender Faktor plaziert hätte. Dagegen wiederum wappnen sich Länder wie Vietnam. Der übermächtige, nördliche Nachbar des aufstrebenden Landes ist seit jeher mit gesundem Misstrauen betrachtet worden – Ende der siebziger Jahre gab es sogar Krieg in der Grenzregion Nordvietnams mit China. Vietnam beeilt sich, Fakten zu schaffen: Einige Inselgruppen im Einflussbereich des Landes werden demonstrativ von vietnamesischen Truppen bevölkert, die Philippinen, Thailand und andere beobachten das mit leichter Beruhigung.

Viel wichtiger aber in einer Region, die wirtschaftlich emporstrebt, ist das Wachstum – gerade in Zeiten, in denen Chinas Konjunktur eher schwächer ausfällt. Die kommunistischen Führer in Hanoi haben es nach fast zwei verlorenen Jahrzehnten geschafft, die vietnamesische Wirtschaftspolitik an den Realitäten auszurichten. Während die Partei noch immer die Hoheit über das politische und soziale Leben zementiert, sind seit 1986 wie in einem Big Bang private Unternehmen entstanden, die in der Region inzwischen teils zu Marktführern gehören. So wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Vietnam seitdem jährlich um sechs Prozent. Das gerät angesichts des alles überstrahlenden China – die Deutschen schauen ja immer gerne reflexartig auf ihre Autoexporte – gelegentlich ein wenig aus dem Blick.

Der Tourismussektor in Vietnam wächst atemberaubend, die Direktinvestitionen betrugen allein im ersten Halbjahr 2016 11,3 Milliarden Dollar – eine Steigerung von mehr als 100 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Dies deutet zumindest darauf hin, dass der Aufschwung sich fortsetzt, im Gegensatz zum Vorbild Thailand, wo die Konjunktur schwächelt. In diesen Tagen gerade titelte die englischsprachige Tageszeitung „Vietnam News“, der Premierminister rufe zu mehr Engagement in der Wirtschaft, zu weltweiter Absage an den Protektionismus und zur Bekämpfung der Korruption auf. Etwas erstaunlich, einen kommunistischen Führer zu erleben, der die Grundprinzipien der Marktwirtschaft hochhält, welche in den europäischen und amerikanischen Ökonomien gerade dabei sind, in Vergessenheit zu geraten.

Folgerichtig hat die Regierung in Hanoi bereits angekündigt, weitere große Staatsbetriebe zu privatisieren – allein im vergangenen Jahren wurden Anteile an 200 staatseigenen Betrieben verkauft. Auch fiel die gesetzliche Bestimmung, dass ausländische Investoren nur bis zu 49 Prozent an großen Staatsunternehmen halten dürfen. Durch solche Maßnahmen hat es Vietnam bereits geschafft, aus dem Kreis der armen in den der Länder aufzusteigen, denen ein mittleres Einkommen bescheinigt wird – damit entfallen zwar gewisse Vergünstigungen etwa das Weltbank, aber das Selbstbewusstsein des Landes dürfte sich enorm steigern, und mit ihm der Unternehmungsgeist. Angesichts eines Durchschnittsalters der Bevölkerung von nur gut 30 Jahren ist auch nicht zu befürchten, dass der Elan des 90-Millionen-Volkes so schnell nachlässt. Die alternden, übersättigten und bürokratisch-sklerotischen Gesellschaften Europas könnten hier viel lernen – wenn sie denn nur einen Funken der Wissbegier hätten, der zwischen den Metropolen von Saigon, Da Nang und Hanoi allerorten anzutreffen ist.